Die ultimative Bilderfolge zum Werk der
„Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut“
„ö“!
„(ö)“!
„ö“!
Geschehen nachgestellt… 😉
Wir danken der Firma Klaus Böhme, Kirchscheidungen für ihr schönes Design-Etikett (und natürlich den leckeren Wein)!
Cornelie Becker-Lamers
Die AÖL! Da sitze ich hier am Rechner, natürlich mit einem Glas „Ö-Wein“ (laß niemals Requisiten verkommen! 😎 ), habe die Bilder eingestellt, und frage mich, ob, nüchtern betrachtet 😉 , dieser heitere Schluß der kleinen Artikelreihe eigentlich gerechtfertigt ist, denn, wenn Sie die Ergebnisse noch einmal Revue passieren lassen, im Grunde herrscht doch offenbar eine rechte Unordnung in Bezug auf die ö-Lieder, viel mehr, als ich es mir vorgestellt hatte! Und das nach 50 Jahren des Wirkens dieses Gremiums…
Mir haben sich ja, zu dem, was auf Wikipedia zur AÖL steht, einmal mehr leise die Nackenhaare gekräuselt. Geht es Ihnen vielleicht auch so? Weht nicht auch Sie über den Graben des vergangenen halben Jahrhunderts hinweg der Geist der damaligen Zeit an? Diese Mischung aus (allzu!) handfestem Pragmatismus und fröhlicher Selbstermächtigung, wie wir sie in ihrem regelmäßig verhängnisvollen Wirken auf so vielen Gebieten der Liturgie erdulden mußten und teils immer noch müssen?!
Verbunden auch hier mit einem weitgehend klandestinen Wirken und völliger Intransparenz hinsichtlich der Personalauswahl. So wie wir das hier auf PuLa exemplarisch in Bezug auf die Frage, wie die „Kunstwerke“ ins neue Gotteslob gekommen sind, herausgearbeitet haben, hier.
Gerne hätten wir noch ein wenig recherchiert, nach Kriterien, Personen, Projekten, aber – das Glas ist leer ? und so müssen wir das noch ein wenig verschieben!
Plaudereien zu einem bekannten Gute-Laune-Lied 3/3
Die Vertonungen des „Sommer-Gesangs“
Womit wir endlich wieder bei unserem eigentlichen Thema, dem Lied nach dem „Sommer-Gesang“ Paul Gerhardts, wären. Man liest von mindestens 40 Vertonungen, wobei den Anfang mal wieder die Adaption einer Melodie machte, die für einen anderen Text komponiert worden und schon eingeführt war. Sowas kennt man ja. Man konnte nicht zu jedem Text Noten stechen. Im Fall von „Geh aus, mein Herz“ hat der unvermeidliche Johann Crüger (1598-1662) 1653 darauf eine Melodie adaptiert, die vom Lied „Den Herren meine Seel erhebt“ seit 1640 geläufig war. Die erste eigentliche Vertonung des Sommer-Gesangs stammt von Johann Georg Ebeling und wurde 1666/67 erstmals publiziert. Eine schlichte, bewegungsarme Melodie. Mit dieser Melodie hätte das Lied meiner unmaßgeblichen Meinung nach niemals die Karriere gemacht, die es als Volkslied seit über hundert Jahren verzeichnen kann. Schauen Sie mal:
Abdruck zweier Stimmen des Chorsatzes der ersten auf Paul Gerhardts Text komponierten Vertonung von Gerhard Ebeling 1666/67 (Fotografie aus Christa Reich: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, in: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München: Beck 2009, S. 262-274, S. 265; eigenes Bild)
Doch auch August Harders Melodie, unter der das Lied heute so bekannt und beliebt ist, wurde nicht eigens für Gerhardts Text geschrieben, sondern als Vertonung des Gedichtes „Die Luft ist blau, das Tal ist grün“ von Ludwig Hölty durch den Gütersloher Organisten Friedrich Eickhoff (1807-80) 1836 erstmals dem Sommer-Gesang unterlegt („Wunderhorn“, S. 274 und hier.
Die Krux hierbei ist die von der Melodie geforderte Wiederholung der letzten Textzeile. Da, wie die Forschung betont, das Gedicht nicht für eine solche Wiederholung verfaßt ist, sind das nicht immer die gehaltvollsten Zeilen. Aber ich glaube, das fällt normalerweise keinem auf. Mit Harders Melodie kennt und liebt man das Lied:
Die Textteile des „Sommer-Gesangs“
Paul Gerhardt hat ja immer schon mal gerne viele Strophen geschrieben. Irgendwie erinnert mich das an meine eigenen Lieder, deren Ausführlichkeit auch schon dem einen oder anderen aufgefallen ist. Aber wenn man an einem Thema dran ist, dann muß es eben manchmal sein. Das hat man dann gar nicht allein in der Hand, als Schreibende/r. Der Text schreibt sich ja in gewisser Weise selbst, bis er fertig ist. 😉
Im Falle von Paul Gerhardts „Sommer-Gesang“ macht Christa Reich zu Recht darauf aufmerksam, daß jedes Einsparen gewisser Strophen die Textaussage bis zur Verfälschung verkürzt. In einer bilderreichen Sprache, die nicht unterrichtet, sondern alle Sinne weckt, werden sieben Strophen lang die Wunder der Natur besungen (das ist die lange Aufzählung, die Martin Grütter mit der Völkeraufzählung der Pfingsterzählung verglichen hatte – vgl. Beitrag 1/3 zum Thema).
Weizenfeld auf dem Weg nach Niedergrunstedt (eigenes Bild)
Dann kommt das lyrische Ich auf sich selber zu sprechen. In fünf weiteren Strophen erkennt es sich – wie Grütter schreibt – als „Teil der Aufzählung“ und reiht sich ein ins Lob Gottes. Zugleich beginnt in diesen Strophen bereits die Zuversicht auf das Himmelreich als noch viel tausendmal schönerem Garten – eine Zuversicht, die in das Gebet der letzten drei Strophen mündet, einst dieses Himmelreiches würdig zu sein. Diese Durchdringung von wahrgenommenem irdischen und erhofftem himmlischen Garten veranlaßt Christa Reich zur Warnung vor der üblichen Kürzung des Liedes. Die Beschreibung stelle sich
[…] als spannungsvolle Einheit dar, als Hier und Da, als Jetzt und Dann, als Außen und Innen. Zyklisch wird das entfaltet und nicht etwa nur linear in aufeinanderfolgenden Strophen. Die beiden Ebenen durchdringen einander, verweisen ständig aufeinander. Die einzelnen Strophen und ihre Details sind in ein Geflecht von Beziehungen eingebunden. Wenn hier, wie es weithin üblich ist, Strophen nur in Auswahl aneinandergereiht werden oder wenn nur die erste Hälfte des Liedes Beachtung findet, dann verliert das Ganze seinen Sinn.
(„Wunderhorn“, S. 265)
In der Tat habe ich bei meiner Suche auf YouTube nicht eine einzige Einspielung mit allen Strophen entdeckt. 🙁
Die überragende Rolle der Musik im „Sommer-Gesang“
Wichtig ist für die folgende Interpretation dann die herausragende Bedeutung der Musik. Die Strophen heißen schon als Gedicht „Sommer-Gesang“, und im Verlauf des Textes wird klar, daß nicht nur das Treiben der Natur ein einziger Lobgesang auf den Herrn und Seine Schöpfung darstellt („Ich singe mit, wenn alles singt“ Str. 8), sondern daß sich in „Christi Garten“ (Str. 10) alles Leben in Gesang erfüllt: „Wie muß es da wohl klingen,/ da so viel tausend Seraphim/ mit eingestimmtem Mund und Stimm/ ihr Alleluja singen.“ Wie auch Joseph Ratzinger, der Musiker-Papst Benedikt XVI., immer wieder betonte, ist die Musik, die alle Herzen öffnet, kein Zuckerguß über dem Wort, sondern zentraler Bestandteil der Verkündigung. Die Förderung der Kirchenmusik und besonders des geistlichen Gesangs der Kinder und Jugendlichen – sprich der Kinder- und Jugendchöre in der Pfarrei – hat daher normalerweise in einer Gemeinde die oberste Priorität. Aber daß das so sein muß, war uns ja auch schon vorher klar.
Musik und Garten: Stefan Lochners „Madonna im Rosenhag“, um 1450 (Bild: Wikimedia Commons, The Yorck Project)
Zur Rezeptionsgeschichte des „Sommer-Gesangs“
Zur Rezeptionsgeschichte in den evangelischen Gesangbüchern, aber auch als Volkslied, führt Christa Reich, angefangen bei der „Praxis Pietatis Melica“ von 1653 (in der es mit Crügers Tonsatz erschien) viele Ausgaben an, hält aber fest: „Eine katholische Rezeption gibt es nicht.“ („Wunderhorn“, S. 271) Nun stammt das Buch aus dem Jahr 2001, auch wenn ich hier eine Wiederauflage von 2009 zitiere. Eine überarbeitete Neuauflage existiert, soweit ich sehe, nicht. Dennoch war auch 2001 bereits im Erfurter Bistumsanhang des Gotteslobes von 1975 das Lied „Geh aus, mein Herz“ mit Harders Melodie unter Nr. 933 zu finden. Wie sieht es in den anderen Bistümern aus?
Was das alte GL betrifft, dürfte eine Recherche zur Verbreitung des Liedes aufwendig sein. Ich habe sie nicht unternommen, sondern mich lediglich bemüht, die Aufnahme von „Geh aus“ in den Regionalteilen des 2013 erschienenen Gotteslobes nachzuhalten. Die DBK ist da wenig hilfreich. Hier findet man im Netz zum einen die Pressemitteilung zur Einführung des neuen GL sowie zum andern (über ein Portal der Fernseharbeit der DBK) sehr ordentliche Videos zu den Liedern des Stammteils. Auch die Seite mein-gotteslob.de hilft explizit nicht weiter – und ist übrigens ein Service des Benno Verlages Leipzig.
Und so ist es denn ebenfalls ein Verlags-Service, und zwar der des Carus Verlages Echterdingen, der in puncto Regionalverzeichnisse Aufschluß gibt. Demnach finden wir Paul Gerhardts Lied in den 24 Eigenteilen der 38 am neuen Gotteslob beteiligten Diözesen nicht nur im Regionalteil der (Erz-)Bistümer Berlin, Magdeburg, Erfurt, Dresden-Meißen und Görlitz unter der schon erwähnten Nr. 826, sondern auch in den südlich bzw. westlich angrenzenden Diözesen, also der norddeutschen Kirchenprovinz (das sind die Bistümer Hamburg, Osnabrück und Hildesheim) unter Nr. 865, in Fulda unter Nr. 833 und in Bamberg unter Nr. 863.
Soviel zur katholischen Rezeption dieses wunderschönen geistlichen Liedes. Wir können das 20 Jahre Urteil von Christa Reich also getrost revidieren. Die schon 1938 erfolgte Aufnahme in eine Liedersammlung blieb keineswegs „singulär und ohne weiteren Einfluß“ („Wunderhorn“, S. 271).
Ich möchte mit einer Aufnahme schließen, die sogar von einem wechselseitigen ökumenischen Einfluß im Zusammenhang mit Paul Gerhardts Liedtext Zeugnis gibt. Es ist eine Vertonung des Dresdner Komponisten und Kreuzkantors Rudolf Mauersberger (1889-1971). Bereits 1925 hatte Mauersberger, damals als Kantor und Gründer mehrerer Chöre an Bachs Taufkirche St. Georg in Eisenach tätig, die Vertonung des „Sommer-Gesangs“ von Paul Gerhardt geschaffen – übrigens unter Einbeziehung wiederum nur der Strophen 1-8, die nach Str. 1 und 4 durch melodisch und textlich divergierende Einschübe unterbrochen werden. (Das Lustige dabei ist, daß Mauersberger ausgerechnet die vom Text – wie oben ausgeführt – ja gar nicht geforderte, vielleicht sogar gar nicht kluge oder angemessene, durch die bekannte Melodie August Harders aber offenbar so in Fleisch und Blut übergegangene Wiederholung des letzten Verses einer jeden Strophe in seiner Vertonung beibehält als gehöre sie zu Gerhardts Text. Wie stark doch das Musikalische jede Textrezeption beeinflußt!) Nach Paul Gerhardts Strophe 8 wird das Werk textlich eigenständig zu Ende geführt. 1948 dann schuf Mauersberger, mit dem Zentrum des titelgebenden „Geh aus, mein Herz“, eine „Liturgische Sommermusik“ (später: „Geistliche Sommermusik“) als abendfüllendes Werk nach Texten der Bibel und eben nach Kirchenliedern. Und hierzu liest man: „Mauersberger hat das siebenteilige Werk als Musik für die evangelische Kirche als Gegenstück zu katholischen Maiandachten geschaffen.“ (Das Solo für Knaben-Alt in Str. 4 dürfte damals von dem später als Tenor weltberühmten Kruzianer Peter Schreier – *1935 – vorgetragen worden sein, den Mauersberger quasi entdeckte und dem er etliche Soli auf den Leib schrieb.)
Ein Gegenstück zu unseren Maiandachten! Ob die vielen schlesischen Vertriebenen in Dresden mit ihren katholischen Andachtsformen an dieser Stelle auf die evangelische Seite zurückgewirkt haben?
Wie auch immer – freuen Sie sich jetzt auf Paul Gerhardts „Sommer-Gesang“ in einer Vertonung von Rudolf Mauersberger und einer Interpretation des Thüringischen Akademischen Singkreises unter der Leitung von Wolfgang Unger. Wie heißt es auf PuLa?
Plaudereien zu einem bekannten Gute-Laune-Lied 2/3
Natürlich war mir klar, daß ich zu Gerhardts „Sommer-Gesang“ etwas im „Geistlichen Wunderhorn“ finden würde – einem sehr empfehlenswerten Buch, das wir schon zur Besprechung von Bonhoeffers „guten Mächten“ herangezogen haben.
„ö“ – „(ö)“ – — öööööö…?
Zunächst aber stolperte ich über das „ö“. Genauer: über das fehlende „ö“ neben der Nummer 826 unseres Gotteslobes. ‚Leute!‘ dachte ich. ‚Wenn jetzt nicht mal mehr die Texte von Paul Gerhardt ökumenisch sind – was schwebt euch denn dann vor?‘ Ich schlug im Evangelischen Gesangbuch für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen (EG) nach und fand das Lied mit allen 15 Strophen unter der Nummer 503 abgedruckt. Das „ö“ am Rand steht in Klammern. „Mit ‚ö‘ gekennzeichnete Lieder stimmen in Text- und Melodiegestalt mit der von der Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut erarbeiteten Fassung überein. Ein eingeklammertes (ö) kennzeichnet geringfügig abweichende Fassungen“, erläutert das EG (EG S. 6) – ‚Na gut‘, dachte ich, ‚wir haben vom ‚Geh aus‘ ein paar Strophen nicht mit abgedruckt und die verbleibenden von 1 bis 8 durchnumeriert. Das stiftet natürlich Verwirrung, wenn man aus verschiedenen Büchern dasselbe Lied singen will. Aber was ist eigentlich diese Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut?‘
Die „Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut“ traf sich tatsächlich vor genau 50 Jahren, 1969, erstmals, um als Gemeinschaftsprojekt von römisch-katholischer Kirche, aber auch Altkatholiken, allen oder doch etlichen Ausprägungen protestantischer Glaubensgemeinschaften und den Bistümern im deutschsprachigen Ausland inklusive Luxemburg und Südtirol einen „Grundstock gemeinsamer Lieder“ zu definieren. Dies erschien in Vorbereitung des Gotteslobs von 1975 vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Herausgabe des Evangelischen Kirchengesangbuchs (EKG) irgend jemandem als „Notwendigkeit“. Das EKG selber war 100 Jahre nach den ersten Bemühungen um ein einheitliches Liedgut in den protestantischen Glaubensgemeinschaften zwischen 1950 und 1969 in den vielen verschiedenen Verwaltungseinheiten (mit zum Teil richtig lyrischen Namen: „Nordelbien“ zum Beispiel 😉 ) eingeführt worden.
Bei näherer Betrachtung habe ich den Eindruck gewonnen, man muß Mitglied dieser Kommission sein, um das Ordnungs- und Auswahlprinzip der ö-Lieder zu verstehen. So sind weder alle Lieder im eigens ausgewiesenen Teil „Ökumene“ des EG mit einem ö gekennzeichnet (Nrn. 262-268), ja nicht einmal das in der Einleitung des EG auf S. 23 eigens unter „Ökumene“ hervorgehobene Lied EG Nr. 658: „In Christus gilt nicht Ost noch West“ (nie gehört – hat übrigens nichts mit der deutschen Teilung zu tun, sondern ist über 100 Jahre alt und stammt aus dem englischsprachigen Raum). Dafür jede Menge anderer Lieder. So vom groben Drübergucken im Inhaltsverzeichnis würde ich sagen, die ö-Lieder machen im EG locker ein Viertel bis ein Drittel des Liedgutes aus. (Im GL sind es vielleicht etwas weniger) Darunter – in EG und GL mit uneingeschränktem ö markiert – sind dann aber auch solche Lieder wie „Ich will dich lieben, meine Stärke“ (EG 400, GL 358) mit dem Text von Johann Scheffler (Künstlername Angelus Silesius) von 1657, wobei aber das GL die Vertonung von Georg Joseph aus dem Entstehungsjahr des Textes, das EG eine völlig andere, spätere von Johann Balthasar König aus dem Jahr 1738 gibt. Also wenn man schon „geringfügig abweichende Fassungen“ von Liedern durch das Einklammern des ö kennzeichnet, müßte man für solche Varianten eigentlich ein durchgestrichenes ö einführen. Dafür fehlen bei den Ös dann Lieder wie das gehabte „Geh aus, mein Herz“ und andere.
Also das ist alles sehr seltsam und kann tatsächlich offenbar nur eine ganz grobe Richtlinie sein, wenn man einen gemeinschaftlichen Gottesdienst vorbereiten muß. Ich glaube, im Ernstfall spricht man sich lieber kurz ab. Aber eine Kommission ist eine Kommission ist eine Kommission – das braucht es scheint‘s ab und zu. So um ein Zeichen zu setzen oder so.
Tja, und während man im Falle von „Ich will dich lieben“ wie erwähnt im EG gerade nicht die Originalfassung verwendet, fiel beim „Geh aus“ die volkstümliche, heute abgedruckte Melodie von August Harder zunächst der Suche nach den ursprünglichsten Vertonungen zum Opfer: „Bei den Liedern bemühte man sich, möglichst die Originalfassung von Text und Melodie zu verwenden. Dies führte dazu, dass auch bekanntere Melodien einiger Lieder, etwa die volkstümliche Weise des Liedes Geh aus, mein Herz, und suche Freud von August Harder, zunächst nicht in das Gesangbuch aufgenommen wurden. Erst bei späteren Neuauflagen einzelner Landeskirchen wurde die alte Weise durch die bekanntere Weise Harders ersetzt.“ (Zitatnachweis hier).
Cornelie Becker-Lamers
PS: Der Zitatnachweis der Überschrift wird im morgigen Text im Zusammenhang geführt.
Plaudereien zu einem bekannten Gute-Laune-Lied 1/3
Ich hätte es mir ja denken können. Ist ja immer so. Da will man, als Adaption eines Textes im X451, nur schnell ein paar eigene Fotos und ein lustiges kleines Filmchen posten – und versinkt dann erstmal für Stunden in den Recherchen zu einem scheinbar so vertrauten Kirchenlied. 😉
Aber der Reihe nach. Eigentlich sollte der vorliegende Text hier schon vor einem Jahr erscheinen. Da hatte nämlich Martin Grütter in dem auf diesem Blog ja nun schon sattsam bekannten katholischen „Fanzine“ X451 (Ausgabe Nr. 5 vom Juni 2018, S. 4-5) unter dem Titel „Pfingsten und der Jubel der Natur“ unter anderem eine Strophe des „Sommer-Gesangs“ von Paul Gerhardt (1607-76), bekannt unter seiner ersten Verszeile und mit einer Melodie von Augustin Harder (1775-1813) als „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, zitiert und die schier nicht enden wollende Aufzählung dieses wunderbaren Gedichtes mit der Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte verglichen und gedeutet: „Die sprachliche Form der Aufzählung kommt nicht von ungefähr. Aufzählungen, gerade je länger sie werden, zeigen uns ja vor allem, daß es noch ewig so weitergehen könnte. Die Reichweite des Heiligen Geistes ist grenzenlos – genau wie die Reichweite des Frühlings.“ Und: „Wir sind Teil der großen Aufzählung.“
Die Doppelseite aus dem von Sebastian Berndt herausgegebenen X451, Heft Nummer 5 (Juni 2018) – eigenes Bild
Au ja! dachte ich damals. Da weisen wir wieder drauf hin und nehmen noch ein bißchen was von den allmorgendlich vor dem Fenster tobenden Vögeln auf. Fertig.
Dann kam ich wegen irgendwas wieder nicht dazu. Das Projekt fiel mir aber wieder ein, als wir bei den Spaziergängen auf dem auf PuLa ja ebenfalls bereits bekannten „Weg nach Niedergrunstedt“ eine sehr erfreuliche Veränderung im Landschaftsbild wahrnahmen. Mitten in die Weizenfelder hatte man nämlich einen dicken und wirklich Hunderte von Metern langen Streifen Klatschmohn und daneben einen ebensolchen Streifen mit Rainfarn-Phazelie, auch Büschelschön genannt, gesät. Während man also am heutigen 17. Juli 2019 in Bayern tatsächlich das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ im Landtag verabschiedet, hat man um Weimar herum immerhin bereits etwas gegen die Unkraut- und damit Insekten- und Bienenfeindliche Monokultur im Getreideanbau getan.
Denn wenn man sich dem Büschelschön nähert, hört und sieht man sofort, warum diese Pflanze, die als Gründünger ausgebracht wird, auch „Bienenfreund“ heißt: Es summt und brummt, daß es eine Freude ist!
Der Weg nach Niedergrunstedt am 19 Juni 2019 und dieselbe Stelle am 13. Juli 2019 (eigene Bilder)
Auch im Verlauf des Weges Richtung Stadt dürfen in einem breiten Streifen Wiesenblumen wachsen: Malven am Weg nach Niedergrunstedt, 19. Juni 2019 (eigenes Bild)
Der Bienenfreund ist, wie man oben sieht, bei uns schon wieder abgeblüht und macht einem schönen Feld von Sonnenblumen, Malven und allem möglichen Platz. Um Mellingen herum, am Fahrradweg nach Oettern wie nach Taubach, stehen die Phazelien aber noch. Und hier scheint eine Art Bürgerinitiative am Werk gewesen zu sein: Alle paar Meter sieht man ein Namensschild.
Sonst wuchs hier der Mais bis an den Radweg ‘ran. Mellingen bei Weimar, am 3. Juli 2019 (eigenes Bild)
Und als dann unlängst in der Messe einige Strophen von „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ (im Gotteslob für Erfurt unter Nummer 826) gesungen wurde, war mir klar, daß ich den Blogbeitrag jetzt irgendwann fertigstellen würde.
Was mir nicht klar war, war die Tatsache, wie lange ich mit der Lektüre von Artikeln um dieses Kirchenlied herum verbringen würde. Doch davon morgen mehr.
Ein PuLa unterwegs – zu Weimarer Schätzen christlicher Kunst
Das Weimarer Stadtschloß ist geschlossen. „Deswegen heißt es ja Schloß“, sagen Lästermäuler. Es soll bis 2023 saniert werden. Kostbare Kunstsammlungen bleiben dennoch zugänglich – wenn auch auf touristischem Umweg. So ist die Mittelaltersammlung leihweise den Mühlhäuser Museen anvertraut worden, die sie seit November 2018 in der dortigen Marienkirche – seit 1557 evangelisch, (immerhin erst) 1975 säkularisiert und dem musealen Zweckverband zugeschlagen – unter dem Titel „Von Einhörnern und Drachentötern“ präsentieren.
Werbedruckerzeugnisse und Veranstaltungsprogramm zur Weimarer Sammlung in Mühlhausen (eigenes Bild)
Zu sehen sind nun in der nach dem Erfurter Dom größten Kirche Thüringens Altarretabeln mit Darstellungen von Mariä Verkündigung, von Christi Geburt, der Anbetung der Heiligen Drei Könige, Darstellungen von Teilen der Heiligen Sippe – konkret die drei Ehemänner der Heiligen Anna – und des Marientodes, Heiligendarstellungen von Georg, Martin, Katharina von Alexandrien, Erasmus und Sebastian sowie eine ganze Bildgeschichte zu Sankt Nikolaus. Besonders bemerkenswert sind die drei Verkündigungsdarstellungen, in denen Christus in Gestalt eines Einhorns vor seinem Jäger, dem Engel Gabriel mit Jagdhorn und „Tugenden-Hunden“, in den Schoß Mariens flieht. Ich habe zu diesem Bildmotiv einige Sachen publiziert oder geredet. Deshalb bedeuten mir diese Retabeln besonders viel. Durch die Spruchbänder, durch die das Motiv im Bild selber erläutert wird, finde ich sie im Vergleich untereinander besonders interessant. Lehrreich sind sie auf jeden Fall, wie sie auch immer schon gedacht waren. Sie werden im Faltblatt zur Ausstellung aber auch unter dem Gesichtspunkt der Sammlungsgeschichte hervorgehoben: Die hübscheste und daher in der Mühlhäuser Werbung reproduzierte Maria wird zwar in der Forschung der „Madonna mit der Korallenkette“ des Halberstädter Domschatzes verschwistert, mit einer Entstehungszeit zwischen 1430 und 1440 aber auf den Entstehungsort Erfurt festgelegt. Johann Wolfgang Goethe hat sie (wenn ich mich recht erinnere 1828) über die Grenze geschafft und der Sammlung Carl Augusts hinzugefügt.
Blick in die Ausstellung „Von Einhörnern und Drachentötern“, Marienkirche Mühlhausen (eigenes Bild; Abb. mit freundlicher Genehmigung des Museumsdirektors)
„Durch die Anordnung wertvoller Altäre, Skulpturen und Gemälde in der bestehenden Architektur von St. Marien wird der Eindruck eines reich ausgestatteten mittelalterlichen Kirchenraumes wieder erlebbar“, schreibt das Faltblatt zur Ausstellung. Das sei tatsächlich der besondere Reiz, hatte man mir bereits im Vorfeld geschildert: Daß plötzlich Altäre wieder in einem Kirchenraum – in einem Raum vergleichbar dem, für den sie einst geschaffen worden waren – zu sehen wären.
Marienkirche Mühlhausen, Blick in Richtung Chor (eigenes Bild)
Wirklich eine schöne Sache.
Hm.
Wäre eigentlich auch was für Alltagsmessen. Oder als Gebetsort. Also im liturgischen, im religiösen Gebrauch. Nicht, dem Gebrauch enthoben, im nur musealen Rahmen.
Zumal so ein zusätzlicher Altar immer mal wirklich benötigt wird. Am Gründonnerstag sagt doch der Priester: ‚Wir bringen jetzt das Allerheiligste zum Seitenaltar.‘ Und dann postieren sie es auf einem Tischchen unter der Konsole, auf der sie die schöne Maria vor die Wand gestellt haben. Aber ein temporäres Tischchen ist eben kein Altar. Altäre muß man schon als solche weihen, damit sie welche sind.
Alles spräche da also für eine Wiederherstellung. Das wäre das einzig Wahre.
Das heißt: Wenn – wie in Herz Jesu Weimar – alle Teile der in den 1960er Jahren herausgerupften Seitenaltäre noch in der Pfarrei, verteilt auf verschiedene Räume des Pfarramtes und des Gemeindehauses, vorhanden wären: Müßte dann diese Kirche trotzdem erst Museum werden, damit diese Seitenaltäre rekonstruiert und wieder aufgestellt werden?
Cornelie Becker-Lamers
Zwei Bemerkungen:
Zunächst ist „herausgerupft“ für die bilderstürmerische Barbarei, die da obwaltet hat eine sehr milde Formulierung; aber wir sind eben einfach zu nett… 😉
Weiterhin, vor allem für unsere Leser außerhalb Thüringens: Wenn es sonst keinen Grund gäbe, nach Mühlhausen zu fahren (aber es gibt dieser Gründe genug!), die Marienkirche wäre es auch allein! Es ist ein so absolut hinreißender Kirchenraum, von derart unglaublich gelungener Proportion, daß er einen regelmäßig auch in seinem derzeitigen entweihten Zustand gefangen nimmt, schöner, in meiner Sicht der Dinge, der ich kein ausgesprochener Gotik-Fan bin, als manch (noch) größere Kirche ihrer Entstehungszeit. Wenn die große Instauratio kommt, zur erneuten Weihe dieser Kirche werden die Engel singen! 🙂
Was heißt „Neues“ – Mitte Mai war es. Aber man kommt ja nicht rum mit dem Schreiben. Also 12. Mai 2019. Muttertag 🙂 . Wir haben in der Dresdener Hofkirche eine Messe besucht und schauen uns den Kirchenbau noch ein wenig an, als mein Kind mich am Ärmel zupft: „Mama! Ich muß nochmal in diese Kapelle da.“ Sie weist zum Beginn des nördlichen Seitenschiffs. Da ich weiß, daß sie zum ersten Mal im Leben diese Kathedrale besucht, schaue ich sie verwundert an. „Da ist eine Pietà!“ erläutert sie mit der Ungeduld eines Teenagers, der davon ausgeht, daß man immer schon im Vornherein weiß, worauf er hinaus will. „Ah!“ sage ich und trabe hinterher in Richtung Gedächtniskapelle, die, wie ich später lese, ursprünglich dem böhmischen Heiligen Johann Nepomuk geweiht war, seit 1976 aber dem Gedenken des Bombenangriffs auf Dresden im Februar 1945 dient. Am Eingang der Kapelle angekommen, bin ich zunächst sprachlos. Eine Pietà. Ja. Aber was für eine!
Die Pietà in der Gedächtniskapelle der Dresdener Hofkirche; Friedrich Press (*1904 Ascheberg/Westf. +1990 Dresden) aufgestellt 1975; Meißner Porzellan
„Guck mal: die Schwerter im Herzen“, vermuten wir, lesen dann aber in der Beschreibung, daß hier Maria „die Trümmer des Krieges“ hält, „die sich zu einer Dornenkrone zusammensetzen.“ Ist Jesu Seitenwunde so vergrößert, als hätte man ihm das Herz herausgerissen? Sein Gesicht zeigt die Ruhe des Todes – anders als Marias, deren aufgerissene Augen das Weinen verlernt zu haben scheinen. Ein freistehender Altar im Vordergrund symbolisiert die im Feuersturm brennende Stadt. Die Flammen schlagen aus Totenköpfen. Erschütternd finde ich die in Gold gravierten Daten am Altar an der Wand. In memoriam mortuorum steht da, eingerahmt von den Zahlen 30.1.1933 und 13.2.1945. Nicht Kriegsausbuch und Kriegsende. Nicht Beginn und Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten. Sondern das Datum der Machtergreifung und das der Zerstörung Dresdens. Als wäre seit 1933 alles auf diesen Tag zugelaufen und im immer weiter andauernden Kriegsverlauf nichts Schlimmeres mehr geschehen. Das ist verrückt. Aber es paßt nach Dresden und zu der Bedeutung, die man hier diesem Datum beimißt.
„Woher kennst du das?“ frage ich. „Hatten wir im Firmkurs.“ – „Bei Ikonographie und Mariendarstellungen?“ – „Ja.“ Leichthin, als wäre es selbstverständlich. Das ist es für einen Weimarer Firmkurs nicht, hatte ich ja schon erzählt. „Das ist toll!“ sage ich deshalb. „Ja, schon“, sagt mein Kind.
In der Tat scheinen Pfarrer und Gemeindereferentin, die sich wochenweise mit dem Unterricht abwechseln, den elterlichen Hinweis ernst zu nehmen, intellektuell in diesem Kurs ruhig ein bißchen aufzudrehen. (Ich hatte das im Anschluß an den diesjährigen Kreuzweg der Cäcilini – es sind zwei Firmbewerberinnen darunter – noch einmal betont, weil in deren Texten so deutlich geworden war, mit welcher Gefühlstiefe diese Mädchen nachempfinden und auf welchem Niveau sie reflektieren.) Es sind ja generell jetzt, durch das jährliche Angebot, keine Achtklässer mehr dabei. Und der verbummelte Firmtermin liegt so spät im Jahr, daß die Firmbewerber dann schon in der 10. Klasse und manche 16 Jahre alt sind. Die anderthalb Jahre Unterschied zu früheren KursteilnehmerInnen machen in dieser Altersgruppe natürlich mächtig was aus!
Wir freuen uns also gemeinsam mit den Firmlingen auf weiterhin lehrreiche und intellektuell anspruchsvolle Unterrichtseinheiten.
Wieso habe ich eigentlich begonnen, mich für Biegepüppchen im Kirchenraum zu interessieren? Paßt doch gar nicht zu mir. Müßte mir doch eigentlich auf die Nerven gehen. Sie haben Recht! Aber wenn die richtigen Leute die Dinge anschleppen und daher die Assoziationen stimmen, kann ich ungeahnt verständnisvoll und vielseitig sein. 😉
Alles begann nämlich mit den Utensilien, mithilfe derer unsere Gemeindereferentin bei unserem gemeinsamen Kinderkreuzweg zu Karfreitag 2018 die ausgewählten Stationen nach den kurzen Texten für die Kinder noch einmal erarbeitete und anschaulich machte. Sie erinnern sich, hier hatten wir davon berichtet. Da schwammen Augen in Plastiktränen (Station acht) und das Schweißtuch der Veronika zeigte Jesu Konterfei (Station sechs). In der vierten Station, als Jesus seiner Mutter begegnet, hatte Frau Rimestad Biegepüppchen aufgebaut, die sie selbst zu Ende ihres Studiums hergestellt hatte. Ein Blick darauf kommt in unserem früheren Artikel bereits vor, hier sieht man sie nochmal von vorn:
Jesus und Maria begegnen sich auf dem Kreuzweg. (Herz Jesu Weimar am 30. März 2018; die Biegepüppchen unserer Gemeindereferentin; eigenes Bild)
Das war der Auslöser, weswegen ich ein Vierteljahr später in der Schopper Kirche die Szene mit Bonifatius so aufmerksam betrachtete und zu fotografieren beschloß. In meinem Kopf begann es eine Serie zu werden.
Das ging weiter, als wir noch einmal vier Monate drauf Torgau besuchten und sonntags dort zur Messe gingen. Vor dem nördlichen Seitenaltar, der einen großartigen Heiligen Georg bei der Arbeit zeigt, war eine kleine Szenerie aufgebaut. Und was soll ich Ihnen sagen: Natürlich aus Biegepüppchen!
Torgau, katholische Kirche, vor dem nördlichen Seitenaltar des Heiligen Georg, 14. Oktober 2018 (eigenes Bild)
Der Jahreszeit geschuldet (es war ja Mitte Oktober), ordnete ich die in leuchtendem Maisgelb gehaltene Darstellung dem Erntedankthema zu. Ähren in den Väschen, wie zu Garben gebunden. Mußte eigentlich Erntedank sein. Hm. Aber wer waren die beiden Figuren da rechts? Mit den vielen goldenen Kugeln? – Es bedurfte der Erläuterungen des Ortsgeistlichen, Hochwürden Schacht, um mich auf die richtige Spur zu bringen: Natürlich geht es hier um Moses, der auf dem Nil (blaues Tuch) in seinem Körbchen schwimmt. Zwischen Weizenfeldern. Und rechts, das ist der superreiche Pharao und seine Tochter, die Moses gleich finden und adoptieren wird. Wenn ich mich recht erinnere, stammte diese Biegepüppchen-Geschichte aus der Religiösen Kinderwoche in den dortigen Herbstferien. Aber ich kann mich auch irren. Wir gucken nochmal genauer:
Die Szene zeigt Moses im Körbchen im Nil, rechts der Pharao und die Prinzessin (eigenes Bild)
Diese Farben! Ist das nicht phantastisch?! Man begreift, warum Goethe das Gelb und das Blau zu „Urfarben“ bestimmte und sie als „Urkontraste“ mit den Attributen der Aktivität, des Hellen und der Wärme (das leuchtende Gelb) bzw. der Passivität, des Dunklen und der Kühle (das kräftige Blau des Flusses) belegte.
Mir fällt gerade ein: Das wäre vielleicht mal ein Literaturtip für kunstinteressierte Augenmenschen und bisherige Goethe-Muffel, von denen man zuweilen bei Radio Horeb hören kann: Goethes Farbenlehre, abgeschlossen1808. Bekanntlich betrachtete Goethe selber nicht etwa seine vielen Dramen, ja, nicht einmal den „Faust“ als sein Hauptwerk, sondern diese Farbenlehre, die in der Forschung auch als „Farbentheologie“ ausgelegt wird. Super interessant! Aber das nur nebenbei.
Für heute schließe ich. Es geht aber demnächst noch weiter!
Eine Biegepüppchen-Geschichte über Sankt Bonifatius
Heute ist der Gedenktag des Heiligen Bonifatius. Über Bonifatius haben wir noch nie auch nur die geringste Kleinigkeit geschrieben. Das ist unfair. Schließlich hat er unser Bistum gegründet.
Im vergangenen Jahr war ich um genau diese Zeit in der kleinen Ortschaft, in der ich zur Grundschule gegangen bin. Sie trägt den ebenso lustigen wie einmaligen Namen „Schopp“ und liegt im Kreis Kaiserslautern. In diesem Ort leben etliche geschickte Frauen, die gerne basteln und hervorragend handarbeiten können. Und so überbieten sie sich ständig selber in der Visualisierung von Heiligenlegenden oder dem Heilsgeschehen selber.
1969 wurde in Schopp (die Kurpfalz ist evangelisch) der Grundstein zu einer katholischen Kirche gelegt, die Bonifatius als Patrozinium besitzt. Und so hatten heute vor einem Jahr die vielen tüchtigen Frauen eine kleine Bühne aufgebaut, auf der mit Hilfe von Biegepüppchen die Geschichte des Heiligen Bonifatius dargestellt und textlich erläutert wurde. Ich habe damals Fotos gemacht – und die nutzen wir jetzt für den heutigen Gedenktag.
Enjoy! 🙂
Blick auf die Biegepüppchen-Szene in der Schopper Kirche; der mit den wüsten Haaren vorne rechts ist der Häuptling dieser Fritzen – äh! Friesen, die im heutigen Fritzlar gespannt die Reaktion ihres Gottes auf die Fällung der Donareiche erwarteten; 7. Juni 2018 (eigenes Bild)
Als man für die Fällung eines Baumes noch die Strafe der Götter fürchtete: Liebevoll wird ein veritabler Volksauflauf dargestellt (eigenes Bild)
So! Da haben wir auch den Heiligen. Ich finde, er sieht aus, als müßte er im Winter den Nikolaus spielen (eigenes Bild)
Eine Holzstatue des Heiligen gibt es mittlerweile in dieser Kirche auch; 7. Juni 2018 (eigenes Bild)
Tja – jetzt habe ich ein paar Spuren gelegt. Wieso gibt es erst mittlerweile eine Holzstatue? Und wie sieht diese Kirche aus den späten 60er Jahren ansonsten so aus?Wir werden diese Spur – und auch noch viel mehr Biegepüppchen-Geschichten – in den nächsten Beiträgen immer mal weiterverfolgen. Für heute eine geruhsame Nacht! (Anm. der Redaktion: Bzw. ’noctem quietam et finem perfectum 😉 )
Es war, fand ich, der eindeutige Höhepunkt des ohnehin höchst interessanten Abends, als unser Bischof, Dr. Ulrich Neymeyr, am vergangenen Montag auf Bitten eines der über 40 Teilnehmer an einige besonders charakteristische Eigenheiten und Aussprüche des bedeutenden Kirchenmanns erinnerte, über den er gerade einen sehr lebendigen biographischen Abriß gegeben hatte. Der Edith-Stein-Kreis unserer Pfarrei hatte Bischof Ulrich nämlich zu einer “Hommage an Kardinal Lehmann” unter dem Titel: “Glauben leben – Gesellschaft gestalten” in das Otto-Neururer-Haus eingeladen.
Vortragsankündigung, 27. Mai 2019 (eigenes Bild)
Sicher, Karl Kardinal Lehmann (*1936 – 2018) ist für traditionell orientierte Katholiken nicht gerade das, was man eine Identifikationsfigur nennen würde. Jedoch ist er völlig unbestreitbar eine prägende Figur des deutschen Nachkriegskatholizismus, schon allein aufgrund seines gut 20-jährigen Vorsitzes in der Deutschen Bischofskonferenz von 1987 bis 2008! Und ich glaube, es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß er ein intellektuelles Format hatte, an das seine (bisherigen) Nachfolger schwerlich heranreichen…
Und genau dieses scheint auch auf, in dem, was Bischof Ulrich, der ihn ja als sein Weihbischof viele Jahre aus der Nähe erleben durfte, u.a.von ihm zu erzählen wußte. Lehmann sei, wie jeder, der ihn kannte, genau gewußt habe, nach der mehrmaligen Verwendung eines ganz bestimmten Stichworts immer unruhig geworden, um nach dem dritten Mal zuverlässig loszupoltern: “Hört auf damit; wir haben Texte!” So die Reaktion des Kardinals, wenn jemand mit dem ‘Geist des Konzils’ “argumentiert” habe.
Nun, ich muß gestehen, es hat mir schon ein wenig Spaß gemacht, dies aus dem Munde eines sozusagen in jeder Hinsicht “unverdächtigen” Zeitzeugen zu hören, in Gegenwart mehrerer (besonders aber einer) Person aus dem Kreis der dort am 27. Mai versammelten, mußten wir uns doch für eine harmlose kleine Polemik gegen eben jene Verwendung dieses vielfach “zu Tode gerittenen” Begriffs heftig beschimpfen lassen (vgl. hier). Denn die nähere Begründung, warum der Kardinal so allergisch auf diese Art der “Geisterbeschwörung” reagiert hat, entspricht, wie Bischof Ulrich sie berichtete, ja genau dem, warum uns auch auf PuLa bei der Erwähnung des Stichworts der Kamm schwillt: Den behaupteten Geist kann man mit jedem Inhalt füllen, ergo damit machen, was man will und, so in diesem Fall die Konsequenz, dem Zweiten Vatikanischen Konzil Absichten unterschieben, die es tatsächlich nicht hatte.
Darum geht es: Um diese Beliebigkeit, die im besten Fall biographisch bedingter quasi nostalgischer Überschwang ist, im schon nicht mehr so harmlosen intellektuelle Faulheit, im schlimmsten, jedoch nicht seltenen Fall aber eine absichtsvolle Instrumentalisierung zur Verfolgung eigener Zwecke, die mit den Intentionen, ja dem, was sich die Väter des Konzils in ihrer übergroßen Mehrheit auch nur vorstellen konnten, nichts mehr zu tun hat! Für so etwas aber war Kardinal Lehmann zu redlich und – er hatte so etwas schlicht nicht nötig…
Ich habe nicht sehr viel Hoffnung, muß ich leider sagen, aber mir scheint, gerade in einer kirchenpolitischen Situation, in der man sich beinahe täglich an den Kopf faßt, ob der Lust an der eigenen Abschaffung, die Teile der Kirche in Deutschland (und darüber hinaus) ergriffen zu haben scheint, wäre eine Verständigung, ja auch nur der Versuch eines redlichen Dialogs, über derartige Begriffe vielleicht ein Anfang, auch in Weimar, auch in unserem Bistum.
Bischof Ulrich jedenfalls, aber auch den Initiatoren, schulden wir Dank für einen anregenden Abend!
Zur religiösen Symbolik in Buñuels „Andalusischem Hund“
Am kommenden Dienstag, 30. April ist in der Weimarhalle ab 19.30 Uhr der surrealistische Stummfilm „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí zu sehen. Als Filmmusik erklingen wie bei der Uraufführung abwechselnd Tangos und der „Liebestod“ aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Nur daß diese Musik nicht wie 1929 von einem hinter der Bühne plazierten Grammophon kommt, sondern vom Orchester der Musikhochschule Franz Liszt Weimar unter der Leitung von Professor Nicolás Pasquet live gespielt wird. Da der Film nur sechszehn Minuten dauert (das reicht auch …), wird er zweimal gezeigt, beim zweiten Durchgang mit der 1983 eigens zum Film komponierten Musik von Mauricio Kagel.
Hm. Was hat diese Information auf einem Blog mit dem Untertitel „Katholisch in Weimar“ („OCC“) zu suchen? Buñuel und Dalí waren katholisch, klar. Aber sieht man das auch? Ich glaube schon. Daß in dem Film die Religionskritik einigermaßen offensichtlich ist, steht in den Kommentaren recht einhellig fest. Die über den Boden geschleiften Seminaristen und so. Die Kirche, die die Begierden des Mannes hemmt. Paßte den Surrealisten natürlich nicht.
Ein bißchen zu kurz kommt mir internetweit nicht nur der Verweis auf Franz Kafka, sondern auch Erwähnung und Deutung konkreter Symbole und Symbolhandlungen, die mir beim ersten Schauen heute (oder Wiederschauen, ich glaube, vor 25 Jahren habe ich den Film schon einmal in einem Museum laufen sehen) sofort ins Auge fielen. Um nicht zu sagen: Ich vermisse diese Hinweise im Netz vollständig. Professor Lorenz Engell (Bauhaus-Universität) wird sie und vieles mehr bei seiner Einführung am Dienstag ab 18.45 Uhr vermutlich erwähnen. Aber man kann ja schon mal ein bißchen neugierig machen. Mein kleiner Teaser beansprucht dabei überhaupt keine Vollständigkeit sondern soll nur beginnen zu ergänzen, was im Netz meiner Recherche nach bisher fehlt.
Schauen wir zunächst den Film. YouTube hat ihn mit den Originalmusiken. Das übliche „enjoy“ kann man diesmal aber beim besten Willen nicht schreiben.
Grundlage zur Idee des Films waren zwei Träume der Drehbuchautoren: Buñuel soll von der Wolke geträumt haben, die den Mond durchschnitt, Dalí von den Ameisen in der Hand – die beiden Hauptschocker des Filmes. Diese Hand ist mehrmals zu sehen, zuerst ab Minute 5:10. Die Ameisen krabbeln aus einer kleinen runden Wunde im Handteller – eine ikonographisch sehr eindeutige Anspielung auf ein Stigma, die Christuswunde. Zugleich steht hinter dieser sprichwörtlich „kafkaesken“ Situation tatsächlich eine Erzählung Franz Kafkas: „Ein Landarzt“. 1917 entstanden, erschien der Text 1918 erstmals und war 1920 bereits namengebend für eine ganze Sammlung von Erzählungen des Autors. Zwölf Jahre älter als der Film – Buñuel und Dalí mit Sicherheit bekannt. Im „Landarzt“ ist es eine schwärende handtellergroße Wunde im Lendenbereich eines Heranwachsenden, aus der Würmer kriechen und die für die Unheilbarkeit des Leidens steht. Zeitgemäße psychoanalytische Deutungen (1917 formulierte Sigmund Freud auf der Grundlage seiner Entdeckung des Unbewußten den berühmten Satz, „das Ich [sei] nicht Herr im eigenen Hause“) sehen darin einen Hinweis auf die Triebgesteuertheit des Menschen (im Film konkret der männlichen Hauptfigur) – altmodisch gesprochen also auf die Todsünde der Luxuria: Unheilbar und (so m.E. die Aussage des Films) schrecklich wie das Leiden Christi.
Der Film aber kehrt, so entnimmt man den Kommentaren, die Bewertung der Leidenschaft um. Religion und Bildungsbürgertum (symbolisiert in zwei Seminaristen und zwei Konzertflügeln ab Minute 10:47) hemmen die Wollust – und das ist wiederum dem Leiden Christi vergleichbar: Unübersehbar die Symbolik des Kreuztragens in dieser Szene (gesamt ab Minute 10:25). Der Mann schultert die schwere Last und stürzt (zunächst als Slapstick inszeniert) mehrmals unter ihr. Bei Licht besehen aber drosselt allein die entschlossene Gegenwehr der Frau die Leidenschaft ihres Verfolgers und der Rückgriff auf Kultur und Religion erscheinen als Übersprungshandlungen, die seine Energie hilfreich ablenken.
Vorbereitet wurden in meiner Wahrnehmung all diese Deutungen durch einen Gegenstand an der Wand, der mehrmals unvollständig ins Bild kommt, bevor er ab Minute 9:52 zur Waffe wird. In Minute 4:50, bei einer Art Totenwache der weiblichen Hauptfigur, fiel er mir erstmals auf und ich hielt ihn für ein Kruzifix an der Wand des Schlafzimmers. Ein Kruzifix mit Dach. Erst in Minute 9:52, als die Frau vor der Vergewaltigung durch den aufdringlichen Mann flieht und den Gegenstand als Waffe von der Wand reißt, sah ich, was es statt dessen war. An der Wand, vom Bett aus gut sichtbar, hängt kein Kruzifix, sondern ein Tennisschläger mit damals noch notwendigem Spannrahmen.
Soweit zu diesem erweiterten Veranstaltungshinweis. Die Idee des Sports als Ersatzreligion führt uns nämlich zu einem sehr guten Text, der letzten Samstag, 27. April, als Wort zum Sonntag unseres Pfarrers in unserer Lokalzeitung erschien. Aber das ist eine andere Geschichte, auf die wir dieser Tage sicherlich noch zurückkommen werden.