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Das verkannte Datum

Zufälle gibt es … Da spricht der unschätzbare Kommentar in Dantes Göttlicher Komödie zu den Versen 34-39 des XVI. Gesanges im „Paradiso“ vom Jahresbeginn im mittelalterlichen Florenz, und er tut dies ausgerechnet auf Seite 365 des dritten Buches der kommentierten Neuübersetzung dieses Jahrtausendwerkes – also auf einer Seite, deren Zahl man unweigerlich mit dem Sonnenjahr in Verbindung bringt.

Definitiv kein Zufall ist, daß dieser Jahresbeginn am 25. März – Mariä Verkündigung – gefeiert wurde: „die Florentiner zählten im übrigen die Jahre vom Tag der Inkarnation an, dem 25. März, der hier [in den Versen von Dantes epischem Gedicht] als der Tag der Verkündigung nach Lk 1,28 umschrieben wird“, schreibt Hartmut Köhler.

Man stößt immer wieder auf die Relevanz dieses Datums über die „neun Monate vor Weihnachten“ hinaus. In seinem Marienbuch trägt Klaus Schreiner im Kapitel „An welchem Tag und zu welcher Stunde kam der Engel“ Beispiele zusammen für das „Bemühen, die großen Heilstaten Gottes an ein und demselben Tag [nämlich dem 25. März] stattfinden zu lassen“. Hans Förster belegt in seinem Weihnachtsbuch die Berechnung des Verkündigungsdatums aus den Schilderungen der Bibel. Wir haben das alles auf PuLa schon wiederholt zitiert (vgl. hier, hier und hier.

Und wir haben wiederholt beklagt – auf PuLa wie in Diskussionen nach Vortragsveranstaltungen zum Thema –, daß der katholische Festkalender diesem Datum wenig bis gar keinen Raum zum Feiern läßt.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen am 25. Dezember in die Kirche. Es ist eine gewöhnliche Vorabendmesse und die einzige Messe des Tages. Nicht der Ortsgeistliche zelebriert, sondern ein Pfarrvikar im Ruhestand. Gelesen werden die Perikopen des folgenden Sonntags und die Predigt beschäftigt sich mit Tod und Auferstehung. Vor dem Schlußsegen weist der Zelebrant in einem Nebensatz auf das Weihnachtsdatum hin, um die Wahl des Schlußliedes „Stille Nacht“ zu erläutern.

Kann man sich nicht vorstellen, schon klar. Heute ist es in Herz Jesu Weimar mit dem Fest Erster Klasse, dem Hochfest Verkündigung des Herrn, so geschehen. Nachdem im letzten Jahr, das haben wir auf PuLa festgehalten an einem Freitag vor- und nachmittags Messen zu Mariä Verkündigung stattfanden (und die Kreuzwegandachten auch wieder auf den Freitagen lagen), hat man offenbar dieses Jahr keine Lust, läßt das Hochfest ausfallen (und die Kreuzwegandachten an den Sonntagen begehen. Das hatten wir 2019 schon einmal – es funktioniert stimmungsmäßig überhaupt nicht, zumal die Koppelung an eine Abendmesse: 17 Uhr Kreuzwegandacht, 18 Uhr Messe. Ich hatte wirklich gehofft, diese Experimente seien durch).

Wenn man die weitestgehende Ignoranz evangelischer Christen dem Fest Mariä Verkündigung gegenüber hinzunimmt (obwohl Luther es noch als relevant apostrophiert hatte), muß man zu dem Schluß kommen: Die Inkarnation des Herrn – dessen Herabkunft auf die Erde und der Beschluß des Heilsplans – ist hierzulande das verkannteste Fest des Christentums. Die Feiern bleiben aus, es gibt keine Rituale für das Fest, keine Ideen für einen zeitgebundenen heimischen Wohnungsschmuck, kein passendes, wie auch immer fastenverträglich gestaltetes Festtagsgebäck (ohne Schokoguß 😉 ) und keine volkstümlichen Lieder außerhalb des „Gotteslobs“. Zu Weihnachten ist der Jesusknabe dann plötzlich da.

Nur die Bildkünstlerische Darstellung seiner Verkündigung hört bis heute nicht auf.

Mariä Verkündigung, Diptychon in der katholischen Pfarrkirche St. Norbert Merseburg (eigenes Bild)

Cornelie Becker-Lamers

 

Zitatnachweise:

Dante Alighieri, La Commedia. Die Göttliche Komödie. III. Paradiso/ Paradies. Italienisch/ Deutsch. In Prosa übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler, Stuttgart: Reclam 2021, S. 365, Anm.

Klaus Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Köln: Anaconda 2006, S. 35.

Hans Förster, Weihnachten. Eine Spurensuche, Berlin: Kadmos.

PS: Daß somit eine Kreuzwegandacht am 19. März, also ausgerechnet am Sonntag Laetare, dem milde freudigen “Bergfest” der Fastenzeit stattfand, ist ein sprechendes Detail. 

Kreuzweg – nicht: Kreuzgang!

Mißverständnisse über einen Vortragstitel

Als ich im vergangenen Wintersemester erstmals im Rahmen der Erwachsenenbildung eine „Weltreise durchs Kirchenjahr“ angeboten habe, fiel mir auf, wie unglaublich vielfältig Kreuzwege gestaltet sind. Von ganz klassischer Malerei und Massenszenen bis zur Reduktion auf einen Stolperstein. Da ich mit der Vortragszeit ohnehin kaum rumkam – denn es ist wie immer: je tiefer man in die Materie einsteigt, desto mehr findet man, was unbedingt zum Thema gehört –, da ich also mit der Zeit haushalten mußte, habe ich zwar die Passion besprochen, aber nicht eigens die Vielfältigkeit von Kreuzwegsdarstellungen ausgebreitet. Sondern das Thema für einen gesonderten Vortrag ausgekoppelt. Und der findet in einem Monat statt, aber man kann sich schon anmelden. Das muß man bei diesem Veranstalter auch für Vorträge. Deswegen sage ich es.

Um das Thema auch für Nicht-Christen anschlußfähig zu machen, habe ich mir einen schönen Titel für die Veranstaltung ausgedacht, nämlich:

Grenzsituationen künstlerisch beleuchtet – Kreuzwege

Di, 28. März 2023, 19.00 – 20.30 Uhr

Haupthaus der Volkshochschule Weimar
Graben 6
Raum 304 (es gibt einen Fahrstuhl).

 

Merseburg, St. Norbert, Station I (eigenes Bild)

Es ist ja schon interessant zu sehen, wann diese Sache überhaupt aufkam. Liegt zum Beispiel auf dem Dachboden der Weimarer Stadtkirche noch irgendwo ein Päckchen mit den 14 Stationen, weil die Protestanten sie abgehängt haben? Oder war sie schon reformiert, als man hierzulande die Kreuzwege einführte und hatte nie einen? Und wer hat das überhaupt betrieben, die Passionsfrömmigkeit? Und was gibt es außer den kleinen Kreuzwegen in unseren Kirchen noch alles?

Und es ist interessant, nochmal genau nachzulesen, was in welchem der Evangelien nun wirklich steht, wie das ist mit der Hilfe durch Simon von Cyrene, und was alles legendär hinzugetan wurde und nun seinerseits auf Jahrhunderte der kunstgeschichtlichen Darstellung zurückblicken kann.

Und die Musik, die es dazu gibt! (Ach ja – nebenbei: Vier Tage später, am 1. April, singt unser Kirchenchor unter neuer Leitung, nämlich Jakob Schönborn-Dietz, die „Via Crucis“ von Franz Liszt in einer Andacht in Herz-Jesu. Wir kommen derzeit so wenig zum Schreiben, daß ich es mal lieber hier schon mit ankündige)

Und dann natürlich die vielfältige Ausgestaltung über die Jahrhunderte! Bei der Durchsicht meiner Fotos fiel mir auf, wie oft ich bereits Kreuzwege fotografiert habe. Über die eine oder andere Sache haben wir ja auch schon berichtet.

Seit einigen Monaten bin ich richtiggehend auf der Suche nach neuen Interpretationen der immer gleichen Stationen – und habe schon wieder einiges entdeckt.

Siegburg, Krankenhauskapelle des Heliosklinikums; Stationen III, VII und IX: Jesus fällt unter dem Kreuz (eigene Bilder)

 Aber Moment mal – die immer gleichen Stationen? Bereits die Erfurter Severikirche überraschte mich mit einer unerwarteten XV. Station. Von den in Kupfer getriebenen Kreuzwegen Hildegard Hendrichs‘ (1923-2013), einer Bildhauerin des Bistums Erfurt, derer ab dem Sommer in einer großen Ausstellung in der Schottenkirche Erfurt gedacht werden wird, ganz zu schweigen … 

Es wird spannend und schön! Kommen Sie zahlreich! Ich würde mich freuen, Sie zu sehen!

Cornelie Becker-Lamers

“Ich glaube” – Ein Bücherfund in Mühlhausen 

Zugleich ein klitzekleines “PuLa-unterwegs”
und ein ‘Save the date’

Neulich waren wir u.a. in Mühlhausen unterwegs, weil Cornelie das Kruzifix von Hildegard Hendrichsdas dort in St. Josefder katholischen Pfarrkirche, hängt, anschauen mußte für einen Beitrag in dem Katalog zur Jubiläumsausstellung, die das Bistum anläßlich des 100. Geburtstags und des 10. Todestags der Künstlerin organisiert. Wer daran interessiert ist: Am 9. Juni findet in der Erfurter Schottenkirche die Eröffnung der großen Jubiläumsausstellung mit der Vorstellung des Katalogs statt; PuLa wird zu gegebener Zeit noch einmal daran erinnern!  

Während Cornelie dort also ihrer Arbeit nachging, das Kunstwerk in Augenschein zu nehmen und zu fotografieren, stieß ich im Vorraum der Kirche auf eine Art Büchertisch, wie er ja momentan jedenfalls hierzulande, wo man gute Sachen nicht einfach wegwirft, häufiger zu finden ist: Da werden nämlich jetzt die Bücher, die katholische Thüringerinnen und Thüringer im Laufe ihres Lebens in der DDR angeschafft haben, von ihnen selbst oder ihren Kindern an die Pfarreien abgegeben, weil unter neuen Lebensumständen kein Platz mehr ist – oder das Leben zu ende ging. 

Und ich finde das immer ebenso anrührend wie einfach interessant und würde am liebsten allen diesen Büchern für eine Weile eine Heimstatt bieten, nur daß Cornelie mich zurecht regelmäßig daran erinnert, daß wir schon das ein oder andere Buch haben und Regalplatz endlich ist… 😉 

Ein paar schaffen es aber immer, und so auch welche aus Mühlhausen. Eines möchte ich Ihnen heute vorstellen:

Joseph Kardinal Ratzinger, “Ich glaube“, Strukturen des Christlichen, Leipzig (St. Benno) 1979 (eigenes Bild)

Nun bietet diese Lizenzausgabe (“Nur zum Vertrieb und Versand in der Deutschen Demokratischen Republik und den sozialistischen Ländern bestimmt”) im Textteil natürlich keine Überraschungen. Es handelt sich um Ausschnitte aus mehreren, zum damaligen Zeitpunkt recht rezenten Büchern (1970-77) des damaligen Erzbischofs von München und Freising, alles sauber nachgewiesen (und lektoriert von einem alten Bekannten, Hubertus Staudacher 🙂 ).

Doch der relativ frischgebackene Kardinal hatte sich die Mühe gemacht, für diese Ausgabe ein eigenes kurzes Vorwort zu verfassen, das mit dem Satz endet:
„Mein Wunsch ist, daß der so zustande gekommene Band vielen Christen in der DDR Hilfe sein möge, in dem Ringen um das Verstehen und Vollziehen der Botschaft Jesu Christi in dieser unserer Welt, in der zu leben uns aufgetragen ist. München, am Fest der Epiphanie des Herrn 1978, Joseph Kardinal Ratzinger“.

Aber es ist natürlich nicht dieser Schluß, der mich dazu veranlaßt hat, den Bücherfund aufzugreifen. Sondern diese Sätze, die das Vorwort eröffnen:

Jede Generation hat ihre eigenen Fragen an die christliche Überlieferung. In der Zeit der Jugendbewegung zwischen den beiden Weltkriegen wurde nach dem Scheitern der liberalen Epoche und ihres Fortschrittsglaubens die Kirche neu entdeckt; das ganze theologische Ringen konzentrierte sich auf dieses Thema.

“…nach dem Scheitern der liberalen Epoche und ihres Fortschrittsglaubens“! Ganz so deutlich und verknappt kannte ich das aus der Feder des geliebten verstorbenen Papstes noch nicht und mir scheint, es könnte vielleicht ein kleiner Baustein sein, in der jetzt wieder aufgeflammten Debatte, wann denn der vermeintlich “fortschrittliche” Konzilsperitus zum vermeintlichen “Reaktionär” geworden sei, zumal er den Gedanken dann explizit im Hinblick auf das Zweite Vatikanum weiterführt. Meiner Meinung nach unbedingt ein Baustein, der belegt, wie hilflos und unangemessen diese Begriffe dem Denken Joseph Ratzingers gegenüber sind! 

Ob die Herausgeber der JRGS (J.Ratzinger Gesammelte Schriften) die sehr spezielle Textsorte ‘Vorworte in Lizenzausgaben’ wohl auf dem Schirm haben? Vermutlich, aber vielleicht frage ich sie mal und berichte dann ggf. darüber.

Gereon Lamers 

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., 16. April 1927 – 31.12.2022

Heute morgen endete, in seinem 96. Jahr, das irdische Leben von Joseph Ratzinger, emeritierter Papst Benedikt XVI.
Mir ist zum Heulen zumute, nicht zum Schreiben, aber es geht nicht an, daß dieser Tag auf PuLa keine Erwähnung findet.

Ich durfte Papst Benedikt nur einmal in meinem Leben persönlich sehen, vor 11 Jahren, auf dem Erfurter Domplatz, aus einiger Entfernung.
Doch das heutige Empfinden, es könnte nicht näher und nicht persönlicher sein.

Joseph Ratzinger war es, der meinen Weg zurück zur Kirche, zum Heil!, geprägt hat, wie das bei so vielen, vielen tausenden von Menschen auf der ganzen Welt der Fall war, deren Zeugnisse im Internet auch heute wieder aufscheinen.
Joseph Ratzinger stand uns im Geiste zur Seite, in den schlimmsten Stunden der Auseinandersetzungen, hier in Weimar und hat uns Kraft gegeben.
Am allerwichtigsten aber: Joseph Ratzinger hat es möglich gemacht, unsere Kinder in der Kirche, in einem vernünftigen Glauben aufzuziehen, der die Stürme der Pubertät überstanden hat! Er war in einem ganz unmittelbaren Sinne an ungezählten Abenden “mit am Bett”, wenn ‘die Fragen’ kamen!

Und deswegen kann ich heute natürlich sehen, daß uns sein Heimgang nach einem wahrhaftig erfüllten Leben einen mächtigen Fürsprecher in der ecclesia triumphans beschert, dessen wir so dringend bedürfen, weil der Kampf noch härter werden wird.  

Aber das ist mir gerade viel zu tröstlich und viel zu vernünftig.

Heute möchte ich einfach nur traurig sein dürfen. 

Gereon Lamers 

Der Adventskalender von Konversionen, Tag 24, Anna Diouf

Anna Bineta Diouf, geboren am 28. April 19(Sängerin), in die Kirche aufgenommen am 8. April 2012

Für unsere besonders liebe Freundin Anna Diouf hat sich in diesem Jahr ein Kreis geschlossen (vorläufig, zumindest), denn sie ist im Zuge ihrer beruflichen Umorientierung in ihre Geburtsstadt Köln gezogen.
Aufgewachsen ist sie aber in Düsseldorf und dort wird auch die Geschichte spielen, die sie uns für diesen Adventskalender aufgeschrieben hat. Ich habe Ihnen am 30. November eine wahrhaftige Weihnachtsgeschichte versprochen – und das ist sie auch! 

Anna Diouf (Bild: © Thomas Esser)

Von Düsseldorf aus führte Annas Weg sie zum höchst erfolgreichen Gesangsstudium (Mezzosopran war ihr Fach) nach Hannover und dann sehr früh schon in erste Engagements. Zuletzt war sie Ensemblemitglied am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg. Dort wurde sie zum Fan des Erzgebirges und wir haben von dort mit ihr zusammen spannende ‚Katholische Exkursionen‘ gestartet

Parallel dazu verstärkte sich jedoch das publizistische Engagement aus ihrem Glauben heraus immer mehr. Wir haben auch Anna ursprünglich über Twitter kennengelernt und wer dort ist, sollte unbedingt @Anne_de_Cologne folgen!
Schon seit 2018 Gastautorin der Tagespost wechselte sie schließlich in diesem Jahr von der Bühne ins Studio und in die Schreibstube, als Redakteurin und Moderatorin beim katholischen Fernsehsender EWTN. (Freilich, wer Sängerinnen kennt, als Konzertsängerin und Gesangspädagogin ist sie auch weiterhin tätig!). 

Aber jetzt genießen sie den:

Konversionsbericht Anna Diouf

Es war Weihnachten, und wie jedes Jahr ein Drahtseilakt. Eine Familie, die Kirche haßt, und eine Tochter, die Kirche liebt, das läßt sich nicht leicht unter einen Hut bringen. Das Fest der Geburt des Herrn und das Tannenbaum-und-bitte-bloß-nicht- streiten-Fest, sie fanden nur zufällig am gleichen Datum statt, ansonsten hatten sie nichts miteinander zu tun. 

Dieses Jahr aber hatte ich es dicht getaktet: 16.00 Uhr Christvesper in der evangelischen Hauptkirche. Danach Abendessen mit der Familie. Und dann die Christnacht in meiner katholischen Lieblingskirche. Alle sollten zufrieden sein, an diesem Heiligabend: Meine Familie, mein Herz und meine Seele. Warum eigentlich eine katholische Christnacht? Ich war doch als Jugendliche stramm evangelisch! Keine Gelegenheit hatte ich ausgelassen, meine Herablassung und Überlegenheit gegenüber Katholiken und ihrem papistischen Aberglauben zum Ausdruck zu bringen. Dass Katholiken einem atavistischen, dümmlichen, unbiblischen Glauben anhingen, war glasklar. 

Doch langsam bröckelte die Selbstsicherheit: Zuerst über „hochkirchliche“ Bestrebungen, die verloren gegangene Liturgie wiederzubeleben: In evangelischen Gruppen hatte ich gelernt, das Stundengebet zu singen, in deutscher Gregorianik, versteht sich. Ich hatte Weihrauch und Alben schätzen gelernt. Mein tiefes Verständnis für Form, die den Inhalt sichtbar macht und für die Legitimität und Schönheit des Rituals hatte ich weitgehend mit meinem evangelischen Bekenntnis in Einklang gebracht: Den Fehler hatten doch die Calvinisten gemacht, die Unierten, die Pietisten! Sie hatten die Katholizität des Glaubens aufgegeben. Das war niemals Luthers Plan gewesen. Die Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit, die mich womöglich schnell und schmerzlos in die Arme der katholischen Kirche getrieben hätte, war zumindest vorerst gestillt: Ich hatte Weihrauch, ich hatte Gewänder, Gesänge, Kreuzzeichen und Bilder. Was will man mehr! Ein geschickter Schachzug des Unterteufels, der dazu beauftragt war, meine Seele einzufangen. Von der Kirche ferngehalten mit den Mitteln der Kirche! Was für ein Coup!

In meiner Seele nagte irgendwo die Gewissheit, daß das nicht alles sein konnte. Zu viel Show. Zu viel Beliebigkeit. Man konnte sich mit „Liturgiebausteinen“ eine wunderschöne „lutherische Messe“ bauen, aber es blieben eben „Bausteine“, die wir nach unserem Gusto zusammenfügen konnten. Das war keine Liturgie, sondern ein menschliches Puzzlespiel. Das war es, was mich in die katholische Messe zog: Die Liturgie war zwingend! Sie war nicht zusammengebaut, sondern gewoben. Man konnte nicht ein Teilchen durch ein anderes ersetzen. Man mußte der Liturgie gehorchen, nicht andersherum. 

Und da war noch etwas. Die Hütte Gottes unter den Menschen: Der Tabernakel. Ja, wir echten Lutheraner, wir waren von der Realpräsenz überzeugt. Luther hatte den Begriff der Transsubstantiation abgelehnt, weil er die Hybris des Menschen ablehnte, dieses Mysterium begreifen zu können – so oder so ähnlich hatte ich es gelernt und verinnerlicht. Aber ich dachte auch: Wenn er lediglich die Unsicherheit der menschlichen Erkenntnis hatte festhalten wollen, war es dann nicht hochgefährlich, was ein Küster tat, den ich einmal im Vorbeigehen dabei beobachtete, wie er potentielles Blut Christi im Ausguß wegspülte, um den Kelch zu reinigen? Für Katholiken undenkbar. Der Leib Christi wohnte unter ihnen, und in seiner Präsenz musste ich Menschwerdung dieses Leibes feiern. 

Dabei mochte ich die barocke Form der Kirche, die ich ausgewählt hatte, überhaupt nicht. Ich mochte nicht die schwarz-weißen Schachbrettkacheln auf dem Boden, und ganz sicher war das allerhäßlichste Gnadenbild der Welt (eine anämische Jungfrau Maria mit latent habsburgischen Gesichtszügen und einer aufsehenerregenden Schleife auf dem Kleid) nicht nach meinem Geschmack. Aber ich fühlte mich eben wohl hier! 

Um 16.03 Uhr kam ich atemlos in der evangelischen Kirche an. Eine große Kirche, die mangels Gläubiger zur Hälfte in ein Café umgebaut worden war. Große Glastüren trennten den Gottesdienstraum davon ab. Mit mir standen noch einige Leute vor diesen Glastüren, auch ein paar Familien mit Kindern. Der Küster verwehrte uns den Eintritt: Die Kirche sei voll, Brandschutz. Ein Blick hinein zeigte, dass lediglich alle Sitzplätze besetzt waren. Es war noch massig Platz für Menschen, die gewillt waren, zu stehen. Als sich der Küster kurz abwandte, ging eine hagere, resolute Frau einfach hinein. Er hastete hinterher, packte sie am Arm und führte sie heraus. Wutschnaubend verließ sie die Kirche. Auf meine Bitte, uns hineinzulassen, sagte er mit Hinweis auf die zwei weiteren Christvespern an diesem Abend: „Sie können doch später wiederkommen“. Nein, dachte ich, plötzlich wütend. Das kann ich eben nicht. Ich muss meiner Familie gerecht werden, ich habe mühsam austariert, wie ich ihre, meine und Gottes Bedürfnisse in Einklang bringen kann. Ich kann nicht frei über meine Zeit verfügen, und ich kann nicht in einer oder zwei Stunden wiederkommen! Durch die Glastüren hörten wir gedämpft die erste Kantate des Weihnachtsoratoriums. Die Türen aufmachen, und dadurch das Kirchencafé für Gottesdienst zurückgewinnen? Undenkbar! Enttäuscht ging ich hinaus. An der Ecke stand eine rauchende Frau. Es war dieselbe, die aus dem Kirchenraum hinausgeworfen worden war. Sie erkannte mich und begann zu fluchen. Pfarrerswitwe sei sie. Ihr Mann habe so-und-so lang für diese Kirche gearbeitet, und nun das. Sie warf den Glimmstengel auf den Boden und zündete sich den nächsten an. Ich murmelte einige verständnisvolle Worte und ging meines Weges. 

In der Nacht ging ich in die katholische Kirche. Sie war nicht nur voll, sie war überfüllt. Ich fand kaum ein paar Zentimeter Platz zum Stehen. Die Gesangbücher waren schon lang verteilt, ein Mann neben mir hatte eins ergattert, und mit einer weiteren Frau schauten wir also nun zu dritt in ein Buch. Der Pater stellte sich vor die Krippe. Die Predigt war eine Ansprache, direkt an das Jesuskind gerichtet. Er hieß ihn willkommen, in der Welt, und in unseren Herzen. Die Kirche war erleuchtet von Kerzenlicht und vom Licht Christi, erwärmt nicht von der Masse der Menschen, sondern von Seiner Liebe. Trotz der Geschäftigkeit und des Geräuschpegels herrschte eine tiefe, friedvolle Andacht. Nichts von der professionellen Sterilität des verbürgerlichten „Gottesdienstes“ am Nachmittag. Heilige Nacht! 

Nach der Messe ging ich hinaus und machte mich auf den Heimweg. Plötzlich blieb ich stehen, mit voller Wucht von einem Gedanken getroffen. „Unsere Türen stehen allen offen“, hatte die evangelische Kirche in meiner Wahrnehmung immer von sich gesagt. „Zu uns kann jeder kommen.“. Solange Sitzplätze da sind. Dann werden die Glastüren zugemacht, und die Witwen und Waisen müssen draußen bleiben.
„Mir reicht’s jetzt“, sagte ich laut. „Ich werde katholisch.“ Nach Genehmigung von oben heischend, blickte ich auf – und stand vor der Mariensäule.  

Mariensäule zu Düsseldorf, Maxplatz (Bild: Wikicommons, Ies )

PuLa wünscht allen seinen Leserinnen und Lesern ein gnadenreiches und fröhliches Weihnachtsfest!

Gereon Lamers 

Der Adventskalender von Konversionen, Tag 23, Werner Bergengruen

Versuche, die Welt aus den Angeln zu heben, haben mich nie gelockt. Wichtig und tröstlich war mir immer der Blick auf die Angeln, in denen sie sich bewegt und doch ruht.

Werner Max Oskar Paul Bergengruen, geboren am 16. September 1892, in die Kirche aufgenommen am 12. April (?) 1936, gestorben am 4. September 1964

Im Herbst 1919 vermählt sich der Deutschbalte Werner Bergengruen in Marburg mit Charlotte Hensel, einer Urenkelin von Fanny Mendelssohn-Hensel! Die Bezüge in der kleinen deutschen Konversionsgeschichte reißen nicht ab.

Werner Bergengruen (Bild: Werner-Bergengruen-Gesellschaft e.V.)

Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Bergengruen gerade, zeitweise sogar erfolgreich, in seiner geliebten Heimat gegen die Bolschewisten, wie wir wissen letztlich ein aussichtsloser Kampf. Daran schlossen sich wirtschaftlich schwere Jahre einer auch räumlich unsteten Existenz an, an die sich allerdings eine Phase zunehmenden, schließlich erheblichen schriftstellerischen Erfolges knüpfte.

Seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und die Gefährdung Charlottes als “Teiljüdin” führten zur Übersiedlung nach München, wo das Ehepaar die „langsame, organische“ Entwicklung hin zum katholischen Glauben abschloß:
“Die katholische Kirche [ist] wie eine Mutter einfachen Ursprunges, […] ihr Körper strotzt von Milch, ihr Herz von Wärme. [Sie] gebiert, nährt, bettet, heilt, tröstet und liebt.”
Ihr Leben hier, in einem sie auch schützenden gleichgesinnten Umfeld (Muth, Haecker, Görres) war allerdings, anders als lange angenommen, keineswegs “nur” eines der „Inneren Emigration“, vielmehr nahmen beide Bergengruens aktiv am Widerstand der „Weißen Rose” teil.
Nach dem Krieg konnte Bergengruen sich ab 1946 dank eines engagierten Verlegers in der Schweiz und dann auch glückliche zwei Jahre lang in Rom aufhalten. 

Doch auch in Deutschland stellte sich der Erfolg wieder ein. Es heißt, noch 1967 habe der “Spiegel“ Studenten nach ihrem Lieblingsautor gefragt, wobei Hermann Hesse und Werner Bergengruen auf Platz eins kamen. Nur zwei Jahre später jedoch hatte sich das Bild radikal gewandelt, und heute gehört Bergengruen zu den praktisch vergessen Autoren.
Die “Studentenbewegung”, bzw. ihre intellektuellen Vorkämpfer in der „Kritischen Theorie“, hier allen voran Th. W. Adorno mit seiner Polemik gegen den “Jargon der Eigentlichkeit”, hatten ganze Arbeit geleistet, “bürgerliche”, gar christliche Autoren wurden zu Unpersonen erklärt. Daß damit zugleich der Stab gebrochen wurde, über den wohl vitalsten Teil des literarischen Widerstands gegen die braune Flut, scherte offenbar niemanden.
Bergengruen selbst hat darauf eine passende, noble Antwort gegeben:

„Mein Schicksal war nicht eines Wegbereiters./ Ich wählte nicht. Gott hat für mich gewählt./ Mein Erbe war das Los des Nachhutreiters/ und zu den letzten hat mich Gott gezählt.”

Eine ähnliche Haltung hat er übrigens auch gegenüber den Neuerungen des Zweiten Vatikanums eingenommen…

Aber, was wäre, am Tag vor Heiligabend, ein Text über Werner Bergengruen ohne sein “Kaschubisches Weihnachtslied”?

Enjoy! 🙂 

Kaschubisches Weihnachtslied

Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,
wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!
Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,
wärst auf Daunen weich gebettet worden.

Nimmer wärst du in den Stall gekommen,
dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,
der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,
dich und deine Mutter zu verehren.

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
Müßtest eine Schaffellmütze tragen,
blauen Mantel von kaschubischem Tuche,
pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.

Hätten dir den eig’nen Gurt gegeben,
rote Schuhchen für die kleinen Füße,
fest und blank mit Nägelchen beschlagen!
Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!
Früh am Morgen weißes Brot mit Honig,
frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,
mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke,

Gänsefleisch und Kuttelfleck, fette Wurst
und gold’nen Eierkuchen,
Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!
Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

Und wie wir das Herz dir schenken wollten!
Sieh, wir wären alle fromm geworden,
alle Knie würden sich dir beugen,
alle Füße Himmelwege gehen.

Niemals würde eine Scheune brennen,
sonntags nie ein trunk’ner Schädel bluten, —
wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,
wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

Gereon Lamers 

Der Ersatz-Bericht – Sketchlet zum Dritten Advent (nachgeholt)

Ein Sketchlet für eine Reporterin, fünf Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

 

Wundersdorf, die bekannte Schafweide. Soeben hat die Gruppe den Heiligen Nikolaus am Gatter verabschiedet. Die junge Reporterin war dabei tapfer mit durch die halbgefrorene Wiese gestapft. Nun wendet sich Kohle der jungen Frau zu.

Kohle: Guten Tag! Ich bin Kohle!

Die junge Frau: Hallo! Ich bin Mona.

Blütenweiß: Entschuldigen Sie bitte, daß wir uns Ihnen erst jetzt zuwenden …

Flocke: … aber wir mußten rasch den Heiligen Nikolaus auf den Weg bringen.

Mona: Das macht überhaupt nichts! Übrigens könnt ihr mich gerne duzen.

Fixi (neugierig): Bist du die Frau von EWTN?

Mona: Erraten! Und du bist Fixi?

Fixi (stolz): Ja!

Huf: Ich bin Huf!

Mona: Hallo Fixi, hallo Huf! (Sie hockt sich zwischen die beiden und streichelt sie mit beiden Händen übers Fell.) Ich habe schon viel von euch gelesen und gehört. Schön, euch endlich persönlich kennen zu lernen!

Fixi (aufgeregt): Und nun wirst du über uns berichten?

Mona: Genau das werde ich!

Huf: In den „Ersten Wundersdorfer Tagesnachrichten“?

Mona (nach einer Schrecksekunde): In wo?

Fixi: Na, was heißt denn EWTN sonst? (Mona bricht in schallendes Gelächter aus.) Wir haben so lange überlegt …

Mona (wischt sich eine Lachträne aus dem Auge): Huuuuuuu! Na, sag mal! Fixi! Ihr seid doch sonst so schnell im Internet!

Huf (ein bißchen beleidigt): Der Hirte hat gesagt, wir müssen Strom sparen!

Fixi (beschämt): Wir dürfen grad nicht ins Netz!

Flocke: Da muß ich die Lämmchen jetzt mal in Schutz nehmen! Sie tragen wie immer die größte Last in dieser neuen menschengemachten Krise! (Sie zieht zornig die Stirn in Falten.)

Wolle: Sie haben schon ein kleines Wasserkraftwerk für die Tannenbeleuchtung gebaut.

Kohle (stolz): Möchtest du es sehen?

Mona: Aber selbstverständlich gern!

Kohle: Dann komm! Da lang!

Die Herde macht sich auf den Weg, immer Kohle und Mona hinterher. Unterwegs:

Grauchen: Was wolltest du eigentlich über uns berichten?

Blütenweiß: Vielleicht wie wir zum Synodalen Weg stehen?

Mona: Oh, Himmel … ich weiß nicht … damit wollte ich euch eigentlich verschonen …

Flocke: Aber das wäre doch mal sehr interessant! Für die Menschen da draußen …

Mona: Ich finde, der Heilige Nikolaus persönlich auf der Wundersdorfer Schafweide … das ist doch die Story! Daraus muß ich einfach was machen!

Wolle: Ach naja… der Nikolaus. Der kommt immer schon mal hier vorbei …

Flocke: … es hat tatsächlich nicht so wirklich den Aktualitätswert …

Kohle: … darüber kannst du immer noch mal berichten …

Grauchen: … aber der Synodale Weg ist jetzt und es wird immer kritischer.

Blütenweiß: Er macht sich einfach gerade gut in Schlagzeilen …

Fixi: … und da könnte man das Stichwort nutzen, um endlich einmal auch über ganz schafspezifische Belange zu berichten.

Mona: Schafspezifische Belange. Na gut. Ich hatte schon befürchtet, ihr wolltet auf diesen Trans-Kram da raus …

Die Schafe (durcheinander): Ja genau! – Aber das ist es doch! – Das nimmt doch gar keiner wahr! – Eben! Kennt kein Mensch!

Mona (fassungslos): Ihr wollt …

Kohle: … daß du über das Stichwort Transhumanz berichtest. Ja!

Mona (fährt sich über die Augen): Ihr macht mich fertig! Transwasfürnding?

Kohle (sachlich): Transhumanz. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Schafweidewirtschaft.

Flocke (zu Mona): Was dachtest du denn bei „trans-“?

Mona (rasch): Äääääh … ach, nichts! Schon gut! Transhumanz. (Sie notiert sich das Stichwort.) Mit „h“ in der Mitte?!

Kohle: Ja. (Leichthin) „Trasumanare“ ist ja italianisiert. Das nutzt nur Dante als eigene Neuschöpfung in den letzten Gesängen des Purgatorio, um den Übergang vom Menschlichen ins Göttliche begrifflich zu fassen. Muß uns hier nicht weiter interessieren.

Grauchen (zu Blütenweiß, flüsternd): Was hat Kohle gesagt?

Blütenweiß (ebenso zurück): Ich hab‘s auch nicht verstanden. Seine Tante muß irgendein Buch geschrieben haben …

Grauchen (leise): Kohle erstaunt mich immer wieder.

Mona: Dann müßt ihr mir das jetzt aber erklären.

Die Schafe (durcheinander): Nichts leichter als das! – Stell dir einfach eine Almwirtschaft vor, nur krasser  – also das geht dann richtig in andere Klimazonen – im Sommer auf die Berge, weil es unten zu heiß und zu trocken wird – und im Winter in der Nähe der Hirtenwohnung…

Ein Lämmchen: Ich bin aber im Grunde ganz zufrieden so. Sonst müßte ich meinen angefangenen Schneemann unter Umständen im Stich lassen.

Wundersdorf, Schafweide, kurz nach Monas Abreise; mittendrin gut zu erkennen der halbe Schneemann (Bild: Fixi Lämmchen)

Huf: Dein Schneemann schmilzt sowieso bald …

Das Lämmchen: Der schmilzt gaaar nicht!

Flocke (zu Mona): Wenn die eigene Bedarfsproduktion im Vordergrund steht, spricht man auch von „transhumantem Agropastoralismus“.

Wolle: Das wäre vielleicht die Brücke zur Situation der Kirche in Deutschland …

Mona: Die Produktion für den eigenen Bedarf? (Sie lacht.)

Grauchen: Naja … das Kreisen um sich selber …

Blütenweiß (vorsichtig): … diese Beobachtung, daß Kirche sich mehr und mehr nur noch selbst verwaltet …

Mona: Aber gleich „aggro-“ …

Flocke: Nicht mit Doppel-„g“!

Wolle (lacht): Nicht von aggro, sondern aaaagro … das kommt vom lateinischen Wort für „Acker“.

Mona: Verstehe … Ja, das hat was! Ok, der Text ist so gut wie geschrieben. Jetzt brauche ich nur noch ein Foto von euch. Was ist denn das hier für ein brummendes Häuschen?

Sie sind längst am Fluß angekommen und stehen neben dem Generatorenhäuschen.

Kohle: Na, davon reden wir doch die ganze Zeit!

Flocke: Die Lämmchen haben ein kleines Wasserkraftwerk gebaut, damit dir zu Ehren trotz Stromsperre die Tanne in ihrer altbekannten Festlichkeit erstrahlt. (Sie wendet sich um und weist auf die LED-lichterkettengeschmückte Tanne)

Mona (bleibt einen Moment der Mund offen stehen): Ihr macht mich fertig! Sagte ich das schon? Großartig! Was in den deutschen Herden alles geht! Und die Hirten schert’s einen feuchten Kehricht! (Sie schüttelt den Kopf.) Gut, daß ich euch endlich einmal besuche. Stellt euch um die Tanne herum, los! Ich mach ein paar Fotos.

Im Galopp laufen die Schafe zur Tanne und gruppieren sich malerisch um das leuchtende Zentrum ihrer Weide. Naja – das irdische Zentrum … Mona scheucht das eine oder andere Schaf noch nach vorne oder auf die Seite und fotografiert.

Mona (setzt den Fotoapparat ab): So! Das war’s! Herzlichen Dank! (Sie verstaut ihren Notizblock in einer großen Umhängetasche.) Ich würde mich jetzt verabschieden. Aber ich komme bestimmt wieder! (Sie streichelt den Schafen über das Fell.)

Kohle: Wo kommst du heute Nacht unter? Es wird schon dunkel.

Einige Schafe (stimmen den charakteristischen Dreiklang an): Blaaaaaaaib bei uuuuuuuns …

Mona: Vielen Dank, ihr Lieben! Aber ich übernachte bei Langenfelds. Das ist kein Problem! Da find’ ich schon hin.

Kohle: Es hat uns sehr gefreut.

Die Schafe (durcheinander): Ja! – Vielen Dank! – Komm bald wieder! – Alles Gute! – Viel Erfolg weiterhin! – Guten Heimweg! – Grüße an Langenfelds! – Wir sind gespannt auf den Bericht!

Fixi: Ja … Apropos … Mona! Was heißt EWTN denn nun wirklich?

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Diese Schafe! Da haben sie mir nichts dir nichts zuletzt noch die Brücke zur Passion geschlagen – wie sich das in der Weihnachtszeit gehört. Aber das „Bleib bei uns“ spielen wir Ihnen jetzt trotzdem nicht vor. Dazu haben wir ja ein andermal schon ziemlich viel geschrieben. Was wir Ihnen zum Abschluß als Musik mitgeben, paßt noch besser. Nämlich das „Trans-eamus“.

Enjoy! 🙂 

 

Der Adventskalender von Konversionen, Tag 22, Dorothea Schlegel

Soll Gottes Wille geschehen auf der Erde, so müssen wir ihn tun, sonst geschieht er nicht, und Er sendet dann Diener Seiner Rache, die tun dann den Willen Seiner strafenden Gerechtigkeit, da wir den Seiner Barmherzigkeit nicht getan haben.

Dorothea Friederike (von) Schlegel, geboren am 24. Oktober 1764, in die Kirche aufgenommen am 18. April 1808, gestorben am 3. August 1839

Die Beobachtung von der schieren Überfülle der Bezüge, die etliche der Konversionen des beginnenden 19. Jahrhunderts kennzeichnet (angesichts der Vita von Luise Henselwird von derjenigen im Leben Dorothea Schlegels eindrucksvoll unterstrichen.
Tochter (gar wohl „Lieblingstochter“) des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, wird sie mit einem Geschäftspartner der Familie verheiratet und heißt fortan Brendel (ihr jüdischer Vorname) Veit. Sie ist eine Tante der Komponistin Fanny Mendelssohn-Hensel (und so auch mit Luise Hensel ‚verschwägert‘). Sie bekommt zwei Söhne und lernt nach neun Ehejahren den genialischen jungen Dichter und Gelehrten Friedrich Schlegel kennen, mit dem sie ein Verhältnis beginnt, das zu ihrer nach jüdischem Recht vollzogenen Scheidung im Jahr 1799 führt. Gemeinsam mit ihrem „Lebensgefährten“ ist sie ein zentraler Teil des Jenaer Frühromantikerkreises mit Fichte, Schelling, Novalis, Tieck, Schleiermacher und Friedrichs Bruder August Wilhelm Schlegel samt dessen Frau Caroline. Hier machte man sich nicht nur wegen des darin enthaltenen Frauenbilds von der “züchtig waltenden Hausfrau“ über Schillers “Gedicht von der Glocke” lustig, beide Schlegel-Brüder arbeiteten auch intensiv mit ihren Gefährtinnen zusammen, wenn auch, zeittypisch z.B. Dorotheas Roman „Florentin“ zunächst unter seinem Namen erschien. 

Dorothea Schlegel von Anton Graff (Bild: Wikicommons)

Ab dem Jahr 1802 lebte das Paar in Paris, wo beide 1804, nachdem Dorothea (wie sie sich bereits seit der Scheidung nannte) sich protestantisch hatte taufen lassen, auch heiratete.
Noch 1804 zog das Ehepaar nach Köln, Dorothea arbeitete weiterhin an Übersetzungen und Literaturkritiken und es war wohl sie, die hauptsächlich zu der gemeinsam Ostern 1808 vollzogenen Konversion drängte.

Weitere Lebensstationen waren Wien (ab 1808) und dann vor allem Rom (ab 1818), wo sie in den Erinnerungen von Louise Seidler als umstrittene, aber geniale und gewinnende Persönlichkeit auftaucht. “Unaussprechlich katholisch”, nennt sie dort Caroline von Humboldt. In Rom sorgte sich die Mutter auch um das Fortkommen ihrer Söhne, beide 1808 in Köln katholisch getauft, die beide Maler der sog. “nazarenischen Schule“ geworden waren. 

Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes im Jahr 1829 zog sie zu ihrem Sohn Philipp nach Frankfurt a.M., und traf im Jahr darauf mit ihrer ebenfalls zum katholischen Glauben bekehrten Schwester Maria Henriette Mendelssohn zusammen. 

 

An den Gründen der Konversion von Dorothea und Friedrich hat sich die (Literatur-) Wissenschaft, und zwar im Grunde seit kurz nach ihrem Tode, gründlich abgearbeitet und tut es noch. Dabei steht ihr Lebensweg durchaus stellvertretend für die Bewertung dieser Tendenz aus dem Kreis der Frühromantik überhaupt und ist also von erheblicher Bedeutung. Grob werden dabei die Kontinuitätshypothese und die Diskontinuitätshypothese unterschieden, also die Annahme von “schon immer” vorhandenen Elementen, die zum Katholizismus drängen, und diejenige eines kompletten und auch unerklärlichen Bruchs der Lebensanschauungen und des Denkens. Naheliegend, daß erstere Denkrichtung dazu tendiert, die Konversion positiv zu bewerten, während die zweite sie kritisch sieht. 

Vor allem die Diskontinuitätshypothese samt ihrer Betonung des Unverständlichen findet heute populärwissenschaftlich immer noch Niederschlag. So findet sich folgender Satz in der Wikipedia:  

“Die Tochter des prominenten jüdischen Vertreters der Aufklärung und Toleranz war nun gemeinsam mit ihrem zweiten Mann davon überzeugt, dass es außerhalb der katholischen Kirche kein Heil gebe, und bemühte sich, unter ihren Freunden und in ihrer Familie Proselyten zu werben […]”

Und ausgerechnet die Mendelssohn-Gesellschaft macht sich m.E. eines mehr oder eher weniger subtilen Sexismus schuldig, wenn sie ‘weibliche Gefühligkeit’ zur Begründung auch der Konversion heranzieht und es im gleichen Satz fertig kriegt, das antikatholische Klischee von der Vernunftabgewandtheit zu perpetuieren: 

“So ungestüm und leidenschaftlich wie sie, hat keines der Kinder des Aufklärungsphilosophen immer wieder neu den Weg der eigenen Gefühle gesucht, die gelernte Orientierung an der Vernunft relativiert und das eigene Leben dramatisch neu erfunden.”

Gemein ist all diesen Positionen natürlich die nachgerade notorische Distanz, auch nur zu dem Gedanken an jede Form authentischen Glaubens.
Denn, so will mir scheinen, wenn man von diesem abgeschmackten Vorurteil einmal absieht, ist es gar nicht schwer, eine innere Logik in der Entwicklung der frühen Romantiker, in ihrem Heimweg zur Kirche zu finden, die keine der o.g. Hypothesen braucht. 

Denn was war das eigentliche Projekt der Frühromantik?
Die Rückverzauberung der Welt.

Hatten ihre Protagonistinnen und Protagonisten doch gerade erleben müssen, wie die fürchterlichen Konvulsionen der in der ‚Französischen Revolution’ zur Macht gewordenen ‘Vernunft’ (in ihrer beraubten und pervertierten Form) die Welt um Zauber und Ordnung zugleich gebracht hatte.
Nun galt es beides auch zugleich wieder zu finden, und dazu bedurfte es einer Kraft, die beides in sich vereinte. Und schon immer vereint hatte.
Nun ist die ernsthafte Form des ‘Zaubers’ der Mythos. Das Christentum aber ist der Wahre Mythos (weshalb, nebenbei bemerkt, jede Präfiguration seiner Inhalte in anderen, älteren Mythen, eben dies und damit das Gegenteil einer “Widerlegung” ist).
Wahrheit, um eben diese nicht beraubte Vernunft, Ordnung und ‘Zauber’ des Christentums, aber bewahrt die römische Kirche, “in der die Kirche Jesu Christi subsistiert“, gültig auf.

Diese im Grunde einfache Logik scheint den besten Köpfen und Herzen seit damals immer wieder auf und nicht einmal das aktuelle Bemühen tonangebender Kreis in der Kirche, sie zu einer besseren (?) NGO zu machen, wird das ändern können.

Gereon Lamers 

 

Der Adventskalender von Konversionen, Tag 21, Gertrud von Le Fort

Denn ich will eure Treue zur Verheißung machen, ich will die Becher eures Gedenkens mit Sinn füllen bis zum Rande! 

Gertrud Auguste Lina Elsbeth Mathilde Petrea Freiin von le Fort, geboren am 11. Oktober 1876, in die Kirche aufgenommen im März 1926, gestorben am 1. November 1971

Wie gut erinnere ich mich an mein Erstaunen, als ich vor Jahren von dieser “allerkatholischsten” Autorin erfuhr, daß sie konvertiert sei! Ein Erstaunen, nochmals sozusagen aktualisiert, als mir klar wurde, ihre berühmten “Hymnen an die Kirche” wurden schon zwei Jahre vor ihrem Eintritt in die Kirche veröffentlicht. 

Gertrud v. le Fort, ca. 1935 (Bild: Wikicommons)

Das war, bevor ich mich mit dem Phänomen der Konversion und den Energien, die sie freisetzen kann, näher beschäftigt hatte, aber “der Papierform nach“ war diese Tochter aus einem  hugenottischen Adelsgeschlecht, ansässig in Mecklenburg, die später u.a. Evangelische Theologie studierte, und bei E. Troeltsch Vorlesungen über allgemeine Religionsphilosophie hörte, auch wahrlich keine Kandidatin für diesen Weg!
Untergründig aber, so hat sie später bekannt, gab es schon früh Erlebnisse, die sie mit der Welt des katholischen Glaubens in Berührung brachten. Besonders anrührend und m.E. bezeichnend die Begegnung, schon als Kind, mit dem wohl katholischsten Fest überhaupt: Fronleichnam (in Koblenz).
Und, fast ist man versucht zu sagen ‘natürlich’, waren es Aufenthalte in Rom (in den Jahren 1907 und 1909) die zu dem langen Werden der Unausweichlichkeit des Schritts beitrugen.

In einer späteren Reflexion schrieb sie:

“Ich habe mich kaum mit den theologischen Streitfragen der Bekenntnisse auseinandergesetzt, entscheidend war für mich die Erhabenheit der Liturgie, die Atmosphäre, die Unwiderlegbarkeit der letzten Glaubensgründe, welche keiner dialektischen Begründungen bedarf, sondern nur [der] Einstimmung in ein heiliges ewiges Geheimnis
… Hier in der Liturgie wurzelt meine Beheimatung in der katholischen Kirche“

Muß ich noch extra darauf hinweisen, daß es eben nicht die heutige Form der Liturgie war, die die große Dichterin heimgeführt hat? 

Im Jahr 1949 wird Le Fort von Hermann Hesse für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen. Er bezeichnet sie als „die wertvollste, begabteste Vertreterin der intellektuellen und religiösen Widerstandsbewegung“ im nationalsozialistischen Deutschland. Aber wahrscheinlich war, anders als noch bei Sigrid Undset, da die Zeit schon vorbei, in der explizit religiöse Dichtung auch die Ehrung der ‘Welt’ finden konnte. 

Hier zum Abschluß die mir vielleicht liebste aus dem Hymen an die Kirche (Heiligkeit der Kirche I): 

Deine Stimme spricht:

Ich habe noch Blumen aus der Wildnis im Arme,
ich habe noch Tau in meinen Haaren
aus Tälern der Menschenfrühe.
Ich habe noch Gebete, denen die Flur lauscht, ich weiss noch,
wie man Gewitter fromm macht und das Wasser segnet. 

Ich trage noch im Schoße die Geheimnisse der Wüste,
ich trage noch auf meinem Haupt
das edle Gespinst grauer Denker.
Denn ich bin Mutter aller Kinder dieser Erde:
was schmähest du mich, Welt,
daß ich groß sein darf wie mein himmlischer Vater?

Siehe, in mir knien Völker, die lange dahin sind,
und aus meiner Seele leuchten nach dem Ew’gen viele Heiden!
Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter,
ich war dunkel in den Sprüchen all ihrer Weisen.
Ich war auf den Türmen ihrer Sternsucher,
ich war bei den einsamen Frauen, auf die der Geist fiel.

Ich war die Sehnsucht aller Zeiten,
ich war das Licht aller Zeiten, ich bin die Fülle der Zeiten.
Ich bin ihr großes Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig.
Ich bin die Straße aller ihrer Straßen:
auf mir ziehen die Jahrtausende zu Gott!

 

Gereon Lamers 

Der Adventskalender von Konversionen, Tag 20, Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg 

Friedrich IV., Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg, geboren am 28. Nov. 1774, in die Kirche aufgenommen im Jahr 1814, gestorben am 11. Febr. 1825

Herzog Friedrich IV. sollte der letzte regierende Herzog dieser Linie der Ernestiner in Gotha sein. Nach seinem Tod ging das Territorium zum größten Teil in dem ungleich bekannteren Sachsen-Coburg-Gotha auf. 

Aber Friedrich, “Der unglückliche Herzog”, war auch an der Ausübung der Herrschaft niemals interessiert gewesen. Musisch veranlagt, er galt als ausgezeichneter Sänger, war er in den Wirren der Kriege, die die unselige ‘Französische Revolution’ über Europa brachten, zum Militärdienst quasi gezwungen, und prompt schwer verwundet worden, was Zeit seines Lebens seine Gesundheit stark beeinträchtigte. 

Erst nach dem Tod seines Vaters wurde möglich, was ihm Linderung brachte: Drei lange Aufenthalte in Rom! Die Jahre 1805/06, 1807-10 und vor allem 1814-20 wurden zu den schönsten seines Lebens. 

Prinz Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg (Bild. Wikicommons, Zeno.org)

Beendet wurden diese durch Druck aus der Heimat und im August 1822 mußte er schließlich nach dem Tode seines extravaganten und verschwenderischen Bruders, Emil Augustder trotz zweier Ehen ebenfalls kinderlos geblieben war, dennoch die Regentschaft übernehmen. 

Bemerkenswert ist, was die Fachwelt wohl weißdaß er es war, der mit seinem Testament die Grundlage für die “auf alle Zeiten unzertrennten” Bestände der Kunst- und Kulturschätze in Gotha legte! 

Die heutige Zeit widmete freilich ganz aktuell lieber dem “flamboyanten” Bruder eine umfangreiche Ausstellung

In Rom war Friedrich ein, schon angesichts seines gesellschaftlichen Ranges, wichtiger Teil der dortigen deutschen Künstlerkolonie, die sich dort zusammengefunden hatte. Zauberhaft multimedial aufbereitet hat das diese Seite aus dem Jahr 2019. 

Konversion und Katholizismus aber waren in diesem Mikrokosmos ein permanentes Thema, auch, wenn man bis heute den Eindruck nicht los wird, es sei etlichen Menschen, darunter gerade denen, die „wissenschaftlich “ darüber schreiben, eher unangenehm.

Ein lebendiges Zeugnis der damaligen Atmosphäre erhält man, wenn man die Lebenserinnerungen der Louise Seidler, einer Weimarer Mitbürgerin, bitte schön!, studiert. 

Autobiographie L. Seidler (eigenes Bild)

[In Parenthese: Der Titel ist schon absolut ärgerlich, weil sexistisch und falsch zugleich! Wenn es eine “römische” Malerin gäbe, auf die diese Bezeichnung, richtig verstanden, zuträfe, so wäre das nämlich die eine halbe Generation ältere Angelica Kauffmann]

Obwohl die Seidlerin selber nicht katholisch wurde, ja, vielleicht sogar ihres Protestantismus eher bewußter, so schildert sie doch Konvertitinnen und Konvertiten und überhaupt die ganzen “römisch-katholischen Umstände” mit einem überdurchschnittlichen Maß an Fairness und Nüchternheit. Freilich, so ganz konnte es auch Frau Seidler nicht lassen, Stereotypen des Antikatholizismus zu bedienen:

„Der Prinz, welcher schon lange in Rom lebte, wurde vom Papst und der Geistlichkeit sehr ausgezeichnet, da er zur katholischen Kirche übergetreten war. Er war ein Fürst von seltener Herzensgüte, stillen, in sich gekehrten Wesens, ohne Geist und Leben. Seine Gestalt war groß und schön, sein dickes, rothes, bartloses Gesicht, welches semmelblonde, krause Locken umgaben, ward von freundlichen Augen belebt; seine sehr schönen Hände schmückten zahlreiche Ringe. Sein Gefolge bestand nur aus einem deutschen Kammerdiener und meinem Vetter Ettinger, der sein Secretär, Geschäftsführer und Hofmarschall zugleich war.”
“Während des Sommers bewohnte der Prinz eine schöne Villa in Albano; im Winter zog es ihn wieder nach Rom, wo er gern die Theater besuchte; in den besseren derselben hatte er eine Loge. Er liebte die Musik und hielt sich einen eigenen Musikmeister, Namens de Cesaris, der ihn unterrichtete und ihm vorspielte. Dieser Mann war ein schlauer, versteckter Jesuit, von gewandten, einschmeichelnden Formen. Er war hauptsächlich der Urheber des Uebertritts des Prinzen zur katholischen Confession gewesen; die vornehmste Geistlichkeit brachte die von diesem angebahnte Glaubensänderung zum Abschluß. Nun genoß der Prinz in clericalen Kreisen eines besonderen Ansehens und auf alle Weise begünstigte man seine Lieblingsneigungen, die sich hauptsächlich auf Malerei und Musik richteten. Oft speisten musikalische Künstler bei ihm; eine vorzügliche Kapelle führte häufig Tafelmusik aus.”

Friedrich IV. v. Sachsen-Gotha-Altenburg (Bild. Wikicommons, Milwaukee Art Museum)

Nun, deutlich wird zwischen den Zeilen, hier und an etlichen weiteren Stellen der Erinnerungen, das, vermutlich allerdings nicht eingestandene, Bewußtsein davon, daß hier das konfessionelle Spielfeld, anders als in der mitteldeutschen Heimat, selbst im kleinen Rahmen der deutschen Künstlergemeinschaft ausgeglichen war. 🙃 😇 Wir kommen wahrscheinlich in dieser Woche noch auf ein weiteres, schillerndes, Mitglied zurück! 

Gereon Lamers