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Das Geheimnis der „Mater Dolorosa“

Zum Bildprogramm im Chorraum der Torgauer Pfarrkirche
„Schmerzhafte Mutter“

Die katholische Pfarrkirche „Maria zum Siege“ in Torgau (s. gestriger Beitrag) brannte 1906 über Nacht ab und riß Kinder und Schwestern des angebauten Waisenhauses in den Tod. Die vor 110 Jahren an selbiger Stelle neu errichtete Kirche trägt daher den Namen der „Schmerzhaften Mutter“, der „Mater Dolorosa“.

Mariä Schmerzen, Torgau (eigenes Bild)

Mariä Schmerzen, Torgau, Innenraum, Blick nach Süden (eigenes Bild)

Statt eines Marienaltars mit Jesuskind und einer lächelnden Madonna, die der Schlange den Kopf zertritt und von der Sonne umstrahlt wird, bestimmt eine große Pietà den südlichen Seitenaltar. (Der nördliche ist dem Schutzheiligen der Soldaten, dem Heiligen Georg, geweiht).

Torgau, Pfarrkirche „Schmerzhafte Mutter“, Marienaltar (eigenes Bild)

Mariä Schmerzen, Torgau, St. Georg (eigenes Bild)

Das Bildprogramm der in neoromanischer Manier mit nur drei Rundbogenfenstern ausgestatteten Apsis beginnt links mit der Darstellung im Tempel und der Aufschrift “Ein Schwert wird deine Seele durchdringen”. Das mittlere Fenster illustriert das „Stabat mater“ und zeigt die Mutter unter dem Kreuz. Das rechte Bild aber stellt die Marienkrönung dar. Es trägt die Aufschrift „Und der Mutter ward ein Thron gesetzt zu seiner Rechten”.

ITorgau, Pfarrkirche „Schmerzhafte Mutter“, das südöstliche der drei Apsisfenster (eigenes Bild)

Da die Kirche geostet ist, ja der Chor sogar ein wenig nach Ost-Nordost schaut, ist das Fenster, das die Marienkrönung zeigt, das einzige, das während des vormittäglichen Hochamtes leuchtet.

Innenansicht der Torgauer Kirche „Schmerzhafte Mutter“; es ist gut zu sehen, wie nur das südöstliche Fenster vom Sonnenlicht durchflutet wird (eigenes Bild)

Tja – das ist Kunst! Ohne ein Wort der Erläuterung wird hier unmittelbar evident, was die Kirche – und zwar die katholische wie die protestantische Lehre – uns zusichert: daß die Standhaftigkeit im Leiden einen Himmelslohn bereithält. Selig sind, die Leid tragen – nicht: die Leid tragen, sondern: die allfälliges Leid eben auch tragen – denn sie sollen getröstet werden.

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Und wie es sich ‚bei uns in der Diaspora‘ gehört: Ein Boni-Bus darf nicht fehlen, irgendwo lugt er immer hervor 🙂 ; auf dieser Fahrt haben wir noch mehr Exemplare gesichtet, auch in deutlich kleineren Pfarreien, wie z.B. in Mühlberg – aber das ist eine andere Geschichte… 😉

Mariä Schmerzen, Torgau, Blick in den Pfarrhof (eigenes Bild)

Gereon Lamers

Das Mehlhaus

Schlaglichter auf die Torgauer Kirchengeschichte.

Ein Beitrag aus der Reihe „PuLa unterwegs“

Eigentlich wollte ich ja nur etwas über das Bildprogramm der Torgauer Pfarrkirche „Schmerzhafte Mutter“ schreiben. Aber wie immer muß man etwas weiter ausholen. Torgau ist eine so unglaublich spannende Stadt!

Was bisher geschah:

Auch in Torgau, der „Amme der Reformation“, stand es einige Jahrhunderte lang schlecht um den katholischen Ritus. Wie in Weimar. Klar – derselbe Landesherr.

Halt! Stimmt ja gar nicht! Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes in der Schlacht bei Mühlberg Ende April 1547 gehörte Torgau doch mit zu den Gebieten, welche der ab dann nur noch „geborene Kurfürst“, der Ernestiner Johann Friedrich I., genannt der Großmütige, an seinen um 18 Jahre jüngeren Cousin, den Albertiner Moritz von Sachsen, abtreten mußte, weil Moritz sich auf die Seite des Kaisers geschlagen hatte. Vielleicht hatte Moritz die besseren Astrologen, die ja bis zum 17. Jahrhundert alle Befehlshaber vor ihren Schlachten berieten. Vielleicht war er aber auch nur deshalb nicht dem Schmalkaldischen Bund beigetreten, eben weil sein Cousin Mitglied war, mit dem er schon seit einiger Zeit Krach hatte (Stichwort Wurzener Fehde).

Wie gesagt, Torgau wechselte nach der Niederlage der Protestanten in die Herrschaft der Albertiner Wettinischen Linie. Leider hatte das keine Toleranz dem katholischen Bekenntnis gegenüber zur Folge. Denn auch Moritz, der „Judas von Meißen“, war ja bereits Protestant, und er blieb nur genau so lange auf der Seite des Kaisers, bis er seinem Ernestiner Vetter die gekreuzten Schwerter im Wappen abgejagt hatte. Und das erfolgte umgehend, der Kaiser war schnell.

Die Pfarr- und Hofkirche Beatae Mariae Virginis wurde zur Stadtkirche St. Marien und einer „grundlegend neuen Innenraumgestaltung“ unterzogen, zu deutsch: Fast 20 Schnitzaltäre und der gotische Hochaltar flogen raus und das Konterfei Martin Luthers wanderte in eins der Kirchenfenster.

(Aber wer wären wir, hier den ersten Stein zu werfen? Daß vor ziemlich genau 50 Jahren die Katholiken selber die Mehrzahl ihrer Kirchen, darunter die Weimarer Herz Jesu Kirche, ausgeräumt und die verzierten Wände überstrichen haben, haben wir ja schon mehr als einmal reflektiert, vgl. hier und hier. [Anm. der Red.: Allerdings ging es bei uns nie so weit, daß ein Glaskünstler einen Theologieprofessor im Kirchenfenster hätte verewigen sollen. Hm! Ob Benedikt Kranemann darüber schon einmal nachgedacht hat? Aber Spaß beiseite! Weiter im Text.])

Die Mönche wurden aus Torgau vertrieben, die Klostergebäude als Pferdeställe und Rüstkammer genutzt und die Franziskanerkirche profaniert. Heute dient sie dem benachbarten Gymnasium als Aula. Die dem Schutzheiligen der Händler und Seefahrer geweihte Nikolaikirche war, obwohl 1519 Schauplatz der ersten deutschsprachigen Taufe (die Hofkirche B.M.V. blieb den Reformatoren bis zum Tod des frommen Katholiken Kurfürst Friedrichs des Weisen im Mai 1525 verwehrt), schon 1529 einer „Nutzung für den städtischen Handel“ zugeführt worden. Auf den Stichen Matthäus Merians firmiert sie als „Mehlhaus“. Heute ist sie von Rathaus, Stadtpalais und Bürgerhäusern derart umbaut,

Rückseite des Torgauer Rathauses mit Resten der Kirchenmauern und dem ehemaligen Chorfenster (Bild: WikiCommons)

daß sie schlechterdings nicht sichtbar ist.

Torgau, Nordturm der Nikolaikirche von der einzig möglichen Stelle in der Breiten Straße aus gesehen (eigenes Bild)

Und so führt sie denn weiterhin ihr Aschenputteldasein

Torgau, Nikolaikirche Mitte Oktober 2018 (eigenes Bild)

, was sie freilich nicht hindert, sich allabendlich von den Täubchen die schönen Kleider bringen zu lassen, die ihre wahre Identität verraten – will sagen: in das zwischen Schloßkirche, Marienkirche und Nikolaikirche abgestimmte Angelusläuten einzustimmen. Ruckedigu. 😉

Und dann?

In den Napoleonischen Kriegen war Dresdens Herrscher, Friedrich August I. König von Sachsen, letztendlich nicht so klug wie sein Vorfahr im Schalkaldischen Krieg – man hatte in der Zwischenzeit ja auch die Astrologen bei Hofe abgeschafft – und so fielen beim Wiener Kongreß große Gebiete, darunter Torgau, an das siegreiche Preußen. Wie in Jena (damals mit Weimar eine einzige Pfarrei, so waren es auch in Torgau die katholischen Soldaten der Garnisonsstadt, denen man ab Mitte des 19. Jahrhunderts den Meßbesuch ermöglichte. (Schön ist ja in diesem Zusammenhang die hiesige Geschichte, daß man der Desertion beim Meßbesuch in Erfurt einen Riegel vorschieben wollte). Und so entstand am westlichen Stadtrand Torgaus eine Kirche, die der Rosenkranzkönigin geweiht war: „Maria zum Siege“ – auch „Unsere Liebe Frau vom siegreichen Rosenkranz“ genannt, Patronat eingedenk der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober.

Fortsetzung folgt morgen

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Neben etlichen Infotafeln und den verlinkten Internetseiten fußt obiger Text insbesondere auf folgender Publikation: Torgau. Renaissancestadt an der Elbe und politisches Zentrum der Reformation, hg. von der Kulturstiftung Leipzig, Leipzig: Passage-Verlag 2015 [=Leipziger Blätter Sonderausgabe 14. Mai 2015], obige Zitate hierin S. 18 (zur Marienkirche) bzw. S. 13 (zu St. Nikolai); der erwähnte Merian-Stich findet sich ebd. S. 10f.

„… der richten wird die Lebenden und die Toten“

Rosenkranz. Trostreich

Fünf Monate lang war mein Rosenkranz verschwunden. Er war mit auf einer Wallfahrt gewesen und dann fand ich ihn plötzlich nicht mehr. Eigentlich trage ich ihn bei solchen Gelegenheiten standardmäßig um den Hals – aber irgendwie muß er in eine Tasche geraten sein, die ich dann nicht durchgesucht habe. Jetzt war diese Tasche wieder im Einsatz – und der Rosenkranz fand sich – natürlich im Rosenkranzmonat!

Was meinen Sie? Warum ich mir nicht einfach für 10 Euro einen neuen gekauft habe? Im Kirchenladen am Erfurter Domplatz zum Beispiel? Weil es sich um einen ganz besonderen Rosenkranz aus dem Rosenkranzatelier von Maryse Fritzsch-Thillens aus Luxemburg handelt. So sieht er aus:

Rosenkranz von Maryse Fritzsch-Thillens, Luxemburg (eigene Bilder)

Maryse Fritzsch-Thillens verarbeitet keine gewöhnlichen Glasperlen oder Kunststoffelemente, sondern Weißen Jade und mattierten Amazonit, Jaspis, Bänderachat und Korallen, Perlmutt und weißen Howlith oder Olivenholz aus dem Heiligen Land. Die Verbindungsstücke sind aus Horn oder Metall. Für die Kreuze und die Medaillons verwendet sie entweder Stücke aus alten Rosenkränzen, in Silber oder Bronze, oder sie läßt sie nach alten Originalen von Hand gießen. Ich wollte schon lange mal hier auf PuLa auf dieses Atelier und diese Künstlerin hinweisen. Jetzt hat ihr eigener Rosenkranz den Zeitpunkt festgelegt.

Mit der Suche nach schönen und wertvollen – das heißt ihrer Verwendung angemessenen – Rosenkränzen habe ich begonnen, als wir ein erwachsenes Paten“kind“ bekamen. Ich ging in den Erfurter Kirchenladen und war über die dortige Auswahl maßlos enttäuscht (ich war lange nicht dort, weiß daher nicht, wie es inzwischen damit aussieht). Aber in dieser Hinsicht ist der Kirchenladen am Domplatz ja keine Ausnahme. Selbst Klosterläden wie der in Admont/ Österreich (Sie wissen schon: dieses Kloster mit der berühmten Klosterbibliothek,vgl. hier) haben Rosenkränze als – man kann es leider wirklich nicht anders formulieren – billige Massenware im Verkauf hängen.

(Da nimmt man dann schon lieber die eigenen zehn Finger zum Abzählen, was ich natürlich beim Spazierengehen etc. auch immer mal wieder praktiziere. Wenn man gar keine Hand frei hat, also z.B. beim Bügeln, bei der Gartenarbeit oder beim Pflaumen Entsteinen, empfiehlt es sich übrigens, einfach die Zahlen von eins bis zehn vor dem jeweiligen Gebet mitzusprechen – das Unterbewußtsein merkt sich das und man hat die entsprechende Orientierung.)

Zurück von den Behelfstricks zu den echten Rosenkränzen: Maryse Fritzsch-Thillens fertigt ausschließlich Unikate. Wenn man in ihrem Webshop, den sie derzeit über die Verkaufsplattform etsy betreibt, nicht direkt fündig wird, kann man sich das Material für Aveperlen und Paterperlen, für Metallkappen, Kreuz und Medaille aussuchen. Da gehen mehrere Emails hin und her, sie antwortet immer sehr rasch und sendet Aufnahmen der Perlen oder auch des fertigen Rosenkranzes mit. Die Kaufentscheidung bleibt den Kundinnen und Kunden – so jedenfalls meine Erfahrung – bis zuletzt freigestellt.

Ich habe natürlich gekauft, was ich mir gewünscht hatte. Nach dem Rosenkranz für den erwachsenen Täufling einen „Geistige Kommunion Rosenkranz“ für eine Freundin zu deren 50. Geburtstag. Den „Geistige Kommunion Rosenkranz“ habe ich erst durch Frau Fritzsch-Thillens kennengelernt. Es handelt sich um einen Kranz aus einer einzelnen plus 33 Perlen, der bei der Eucharistischen Anbetung hilfreich sein kann. Frau Fritzsch-Thillens hat damals handgeschriebene Gebete mitgeliefert – handgeschrieben, weil sie keine gedruckte deutschsprachige Ausgabe mehr vorrätig hatte.

Ihre neueste Kreation ist ein Rosenkranz, der nur ein Gesätz (englisch „decade“ und daher bei der automatischen Google-Übersetzung fälschlich mit „Jahrzehnt“ wiedergegeben) umfaßt und Bernadette Soubirous gewidmet ist, hier. Das Medaillon verzeichnet die Geschichte der Erscheinung von Lourdes und alle von Maria zu Bernadette gesprochenen Worte. Vor fünf Jahren schon hat katholisch.de zum Auftakt des Rosenkranzmonats auf das Atelier von Maryse Fritzsch-Thillens aufmerksam gemacht und damit eine Theologin vorgestellt, die mit ihrem Kunsthandwerk zur Verbreitung des Rosenkranzgebetes beitragen möchte und den Reinerlös jedes verkauften Kranzes dem Hilfswerk „Kirche in Not“ spendet.

Zur Verbreitung des Rosenkranzes möchte auch X 451 beitragen, das auf PuLa schon des öfteren besprochene „Fanzine“ unseres Bloggerkollegen Sebastian Berndt. In Heft Nr. 7 vom Oktober 2018 schreibt der Herausgeber selber über die trostreichen Rosenkranzgeheimnisse – eine Art deutschen Sondergutes unter den Rosenkranzgesätzen: „… der als König herrscht/ … der in Seiner Kirche lebt und wirkt/ … der wiederkommen wird in Herrlichkeit/ … der richten wird die Lebenden und die Toten/ … der alles vollenden wird“ Mit ihrer Betonung der Christusherrschaft waren die trostreichen Geheimnisse, Sebastian Berndt zufolge, zwischen 1933 und 1945 ein wichtiger Halt für die katholischen Christen Deutschlands: „Die trostreichen Geheimnisse sind so eine gewichtige Erinnerung daran – und Einübung darin! –, daß Christus unser eigentlicher, unser einziger Herrscher ist, dem niemand auf Erden gleichkommt und dessen Anspruch niemand auf Erden bestreiten kann“ (ebd. S. 8)

Was allen Lesenden derzeit vermutlich ohnehin einfällt, spricht Sebastian Berndt dann ebenfalls an: Das zweite Geheimnis ist momentan „angesichts dessen, was an systematischer Schuld der Kirchenvertreter aufgedeckt wird, schwer […] zu glauben“ (ebd). In der Tat auch in Weimar schwer zu glauben. Denn bei den Geschehnissen, die vor siebeneinhalb Jahren PuLa auf den Plan riefen, und die bisher alles andere als aufgearbeitet sind (ja – man will nicht einmal mit einer Aufarbeitung beginnen), war zwar die Art der Vergehen eine völlig andere, die Struktur der Vertuschung jedoch dieselbe: Den Opfern glaubte man nicht und schützte zum vermeintlichen Wohl der Institution genau diejenigen, die der Kirche – ihrem Ansehen, ihrem Zusammenhalt – schadeten.

Aber Sebastian Berndt hält auch die Tröstung bereit: Nimmt man das zweite Geheimnis als gegebene Wahrheit an, so „ist sie ungemein entlastend: es ist Seine Kirche, nicht meine; sie ist Sein Leib, und nicht ich muß sie retten, Er hat sie bereits gerettet und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (ebd., Hervorhebungen im Original)

Cornelie Becker-Lamers

„… drey Tausend und zwey hundertster Schatz meines Herzens“

Ökumenische Andacht, Vortrag und Musik im
Jubiläumsjahr von Johannes Daniel Falk

Den Senioren in unserer Pfarrei geht es ja wirklich richtig gut. In Fortführung des Maßstäbe setzenden Engagements von Frau Ursula Kuhn, die im vergangenen Herbst aus Altersgründen dieses Ehrenamt nach über zehn Jahren Tun niedergelegt hat (mit Betonung auf „dieses“, denn insbesondere den musikbezogenen Kulturvereinen Weimars würden ohne die Mitarbeit des Ehepaares Kuhn deutlich etwas fehlen), in Fortführung wie gesagt dieses Engagements organisiert nun Frau Mende den Seniorenkreis mit wöchentlichen Bildbetrachtungen, Vorträgen, kleinen Konzerten, Andachten und wohl auch Spielen (wir werden in Kürze darauf noch einmal zurückkommen).

Und das ist ja nur einer unserer Seniorenkreise. Den (herausgewachsenen) Kreis 55+ gibt es ja auch noch, und den nach der Spaltung vor zweieinhalb Jahren gleich doppelt vorhandenen Edith-Stein-Kreis. Und das Forum am Vormittag spricht, wie der Name schon sagt, auch vor allem die Gemeindemitglieder nach Vollendung ihrer Erwerbsbiographie an.

Am vergangenen Dienstag bekamen die Senioren des Kreises von Frau Mende wieder mal ein besonderes Bonbon. Sozusagen ein noch besondereres als sowieso immer schon. Nach einer ökumenischen Andacht mit dem Pfarrer der evangelischen Stadtkirche trug der Vorsitzende des Johannes Falk e.V. Weimar, Herr Paul Andreas Freyer, im großen Saal des Herderzentrums zur Lebensgeschichte des Dichters, Satirikers, Journalisten, aber auch des Begründers der Jugendsozialarbeit und Retters etlicher verwaister Kinder Weimars, Johannes Daniel Falk, vor.

Woher kommt die Jugendsozialarbeit? Aus Mitteldeutschland! Weimar, Lutherhof, den Falk mit seinen Schützlingen gemeinsam wieder aufbaute (eigenes Bild)

Die Büste Johannes Daniel Falks am Weimarer Graben/ Ecke Teichstraße (eigenes Bild)

Johannes Daniel Falk, am 28. Oktober 1768 in Danzig geboren und am 14. Februar 1826 hier in Weimar verstorben und auf unserem historischen Friedhof beigesetzt, ist so etwas wie ein evangelischer Heiliger. Daß die Heiligen eine der tragfähigen Brücken zwischen der katholischen und der protestantischen Konfession darstellen, haben wir anläßlich der Radegunde-Wallfahrt an dieser Stelle ja jüngst erst diskutiert. Er taucht im Ökumenischen Heilgenlexikon auf und firmiert neben den Slawenaposteln Kyrill und Method mit seinem Gedenktag am 14. Februar im Evangelischen Namenkalender. Eine kleine Note neben seinem Namen verweist auf sein kirchenmusikalisches Tun: Den meisten Menschen ist Johannes Daniel Falk als Schöpfer des Weihnachtsliedes „O du fröhliche“ bekannt – eine landläufige Meinung, an der aber auch nicht alles hundertprozentig korrekt ist. Zum Werdegang des „Dreifeiertagsliedes“ gab es in unserem Gemeindehaus einmal einen Vortrag und wurde hier zusammengefaßt und rezensiert.

Paul Andreas Freyer bedauerte in seinem Vortrag denn auch, daß der große Sozialreformer und Schriftsteller Falk so beinahe ganz vergessen scheint – und tat zugleich etwas dagegen. Nachdem er Falks Biographie skizziert und im Verlust aller sieben eigenen Kinder (allein 1813 starben vier von ihnen an Typhus) das Movens zur Aufnahme einiger der vielen Kriegswaisen erläutert hatte, rezitierte er etliche Gedichte und verwies auf die Publikation der von Johannes Falk und seiner Ehefrau Caroline ausgetauschten Briefe, die Ingrid Dietsch und Nicole Kabisius pünktlich zum Jubiläumsjahr vorgelegt haben.

Aufgelockert – oder besser: ergänzt – wurde der Vortrag hier und da von kurzen musikalischen Beiträgen des neuen Blockflötenkreises um Frau Mende.
Ich staune immer wieder, was alles für solch einen Flötenchor zurechtgemacht worden ist – Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn zum Beispiel, die von der Entstehungszeit her als frühromantische Musik natürlich ganz hervorragend in den literarischen Kontext paßten.

Zuletzt wies Herr Freyer auf den großen Gedenktag zum 250. Geburtstag Falks hin, der – zufällig ein Sonntag – am 28. Oktober um 10.00 Uhr in der Stadtkirche St. Peter und Paul mit einem Kantatengottesdienst beginnt und ab 17.00 Uhr mit einem Umzug vom Falkdenkmal über das Sterbehaus in der Luthergasse 1 (eben dem Lutherhof) zum Grab auf dem historischen Friedhof endet.

Falk-Denkmal am Graben, Gesamtansicht (eigenes Bild)

Cornelie Becker-Lamers

Hier noch einmal Paul Andreas Freyers Literaturempfehlung:

Ingrid Dietsch (Hrsg.), Nicole Kabisius (Hrsg.): … drey Tausend und zwey hundertster Schatz meines Herzens. Briefe von Caroline und Johannes Daniel Falk (1796–1826). Wartburg Verlag, Weimar 2018, ISBN 978-3-86160-551-5.

PS: Bitte, liebe auswärtigen Gäste, verzagen Sie nicht, wenn Sie Einheimische fragen, wo die Luthergasse liegt und zur Antwort erhalten: „Wo die Vulpius gewohnt hat“. Eh man umständlich erklärt: hier links und dort vorne rechts, kann man die Sache doch auch, für Weimarer Verhältnisse jedenfalls, ganz einfach beantworten. 😉

PPS: Der „Kreis 55+“! Ja, für den bin ich ja nun auch seit kurzem qualifiziert; Ha! Ob ich mal vorbeischauen sollte? 🙂

Gereon Lamers

Weitergabe des Feuers

Es ist so Vieles aufgelaufen, wovon ich erzählen will und bisher nicht dazu gekommen bin. Ich muß irgendwo anfangen zu schreiben. Nehmen wir die Geschichte im Nordhäuser Dom. Die spielt am 1. August 2018. Ich hatte im Kunsthaus Meyenburg zu tun gehabt und war danach in der Stadt, um mir u.a. den Dom anzusehen.

Nordhausen, die romanische Domkrypta, um 1130 (eigenes Bild)

Nordhäuser Dom, der barocke Hochaltar, 1726 (eigenes Bild)

Wolfgang Nickel hat 2012 dort in der südwestlichen Ecke des Raumes unter Einbeziehung einer Pietà aus dem Jahr 1647 einen Trauer- und Gedenkbereich geschaffen.

Eine Art Marienaltar an der Westseite des Nordhäuser Doms, Konzeption Wolfgang Nickel 2012 (eigenes Bild)

Nordhäuser Dom, die frühbarocke Pietà von 1647 (eigenes Bild)

An der Südwand befindet sich Nickels eigentliches Kunstwerk, eine Glasinstallation zum Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkriegs. Auch Nordhausen ist sehr traumatisiert von den Bombenangriffen Anfang April 1945, und so gibt es links eine bildhinterlegte Glastafel mit den Namen der durch die Bomben Umgekommenen, rechts eine Glastafel mit den Namen der gefallenen Soldaten, im Zentrum aber eine Installation zu den Opfern des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Zwischen zwei Edelstahlsäulen ist authentischer Stacheldraht gespannt und birgt ein Stück der Lagermauer, das noch blutige Glassplitter der Mauerkrone erkennen läßt. (Das mit dem Blut sieht man nicht wirklich, aber ich weiß es aus den Erzählungen des Künstlers.)

Nordhäuser Dom, Gedenkort für die Toten des Zweiten Weltkriegs von Wolfgang Nickel, 2012 (eigenes Bild)

Das Kunstwerk ist im Internet recht gut beschrieben. Deswegen schreibe ich also nicht. Sondern wegen der Kerzen. Es gibt eine Möglichkeit, rechts und links der Pietà Kerzen zum Gedenken an die Toten zu entzünden. Der Plan ist hier beschrieben, und da sieht man auch den Kerzenschein sehr schön.

Die Möglichkeit besteht aber, wenn es dumm kommt, nur theoretisch. Praktisch brannte, als ich den Dom betrat, gerade keine Kerze und ein Feuerzeug oder Streichhölzer fanden sich auch nicht. Der Handwerksmeister, der sich auf einem Gerüst vor der Orgel zu schaffen machte, war leider Nichtraucher, ich bin es auch – und so blieb mein Kerzlein dunkel.

Mein bezahltes Kerzlein mit der Bitte, es bei Gelegenheit zu entzünden (Dom Nordhausen, 1. August 2018, eigenes Bild)

Was für eine Symbolik! dachte ich. Wenn das Feuer erstmal erloschen ist – wie schwer oder unmöglich ist es dann, es wieder anzufachen! „Die Tradition ist die Weitergabe des Feuers“, fiel mir ein – und die Bereiche, in denen es in unserer Pfarrei in Weimar fünf vor Zwölf ist, was die Bewahrung des Feuers anbelangt.

Das betrifft zum Glück nicht die Marienfrömmigkeit. Kerzen bei der Maria brennen in Weimar immer – wobei es, seit unsere schöne Statue zur Restaurierung war und den Platz gewechselt hat, interessanterweise eher die Immerwährende Hilfe ist, vor der gebetet wird:

Herz Jesu Weimar, Ikone der Immerwährenden Hilfe an einem ganz normalen Donnerstag Vormittag (27. September 2018; eigenes Bild)

Herz Jesu Weimar, Ikone der Immerwährenden Hilfe an einem ganz normalen Freitag Vormittag (28. September 2018; eigenes Bild)

Der kleine Sandkasten vor der Marien-Statue war zu beiden Zeitpunkten leer. Warum das so ist, warum plötzlich die Ikone bevorzugt wird, dazu gibt es verschiedene Theorien. Das würde an dieser Stelle zu weit führen, das müssen wir mal in einem gesonderten Text entfalten.

Nein, die Marienfrömmigkeit ist es hier nicht, die zu verglühen droht. Aber im Bereich der Kirchenchöre sollte es bekanntlich in jeder Altersgruppe deutlich mehr brutzeln! Und dafür können nicht allein diejenigen sorgen, die ehrenamtlich die Chorarbeit ermöglichen und außerhalb der Pfarrei berufstätig sind.

Cornelie Becker-Lamers

Das Wunder des Lebens

Gestern war Erntedankfest. Mittlerweile wird das als Kinderfest gefeiert. Weil die Möhren ja das ganze Jahr über im Rewe liegen. Und die Äpfel auch, notfalls in Neuseeland auf die Reise geschickt. Da ist das für die Erwachsenen offenbar nicht mehr so existentiell. Zugleich unterstellt man bei Kindern entweder die größere Naturnähe, oder man will sie gerade anerziehen. Weil man doch ein bißchen schlechtes Gewissen hat, daß man kaum noch was im Garten macht? So einen Mechanismus könnte ich mir zumindest vorstellen.

Weil jedenfalls Erntedank heutzutage eher ein Kinderfest ist, ist es ungünstig, wenn es in die Herbstferien fällt. Weil die Familien dann unterwegs sind, zu den Großeltern oder wohin auch immer. Das Erntedankfest wird dann vorgefeiert, zu Beginn der Herbstferien, oder, wie in Weimar, sogar schon am 23. September, damit es sich nicht Ende September mit der Festmesse zu unserem Kirchweihjubiläum überschneidet.

Also war gestern nur eigentlich das Erntedankfest.
Ok.
Trotzdem dachte ich, wir posten eingedenk Erntedank was Schönes zum Thema „Wunder des Lebens“. Mir waren beim Spazierengehen nämlich wieder die seidenweichen und glänzenden frischen Kastanien aufgefallen und ich hatte wieder, obwohl ohne Kinder unterwegs, meine Hosentaschen damit vollstopfen müssen. Manche Früchte waren sogar noch in ihren Schalen. Die kann man dann ganz frisch auspacken. Das ist toll. Allerdings piksen sie bis dahin. Die nimmt man lieber auf dem Rückweg mit.

Ganz frische Kastanien, nach Volksglauben gut gegen Rheuma, auch prophylaktisch: Man sollte immer welche in den Jackentaschen haben

Vor allem aber hatten wir in der ersten Ferienwoche, also bis gestern, fünf Hasenjunge, etwa vier Wochen alt, mit ihrer bildhübschen Mama und dem schlappohrigen Papa (in einem Extrastall) zur Pflege. Die Kleinen sind schon unglaublich groß. Wenn man sie gesehen hat, als sie ein paar Tage alt waren, mag man es kaum glauben. Freilich sehen sie dicker aus, als sie sind. Das sind alles die langen Haare. Wenn man sie vorsichtig anfaßt, streichelt oder auf den Arm nimmt, spürt man jedes der fragilen Knöchelchen des Skeletts durch Haut und Fell hindurch. Das ist beim Papi schon anders, der ist wirklich dick!

Hasenvater und die bildhübsche Hasenmama mit ihren strahlend blauen Augen

Die Kleinen fressen aber auch wie die Scheuendrescher und brauchen zweimal täglich frisches Grün, Möhren, Äpfel, Brötchen und Wasser. Und Trockenfutter zur Sicherheit. Das fressen sie aber praktisch nicht, wenn es auch frischgepflückten Löwenzahn und Giersch gibt.

„Erntedank“, denken auch die Häschen

Weil es so süß aussieht und sich vor allem auch so niedlich anhört, wenn sie sich auf das frische Futter stürzen (unser Garten ist derzeit restlos von Löwenzahn befreit und auch die sorgsam gepflegten Giersch-Plantagen 😉 an den Beeträndern sind merklich geschrumpft), habe ich einen kleinen Film gedreht und poste ihn hier unter dem Motto „Wunder des Lebens“.

Enjoy! 🙂

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Nun ja, mit süßen Häschen kann ich nicht aufwarten, aber eine wahre Erntedankfreude habe ich gerade auch erleben dürfen:

Zitronatzitronen, Jg. 2017/18

Vier Zitronatzitronen (citrus medica) gewachsen nicht in Medien (Name!), sondern in Weimar. Nach etlichen Jahren scheint sich das stachelige Bäumchen besonnen zu haben und will nun Früchte tragen, wie schön!

Damit einher geht der Vorausblick auf eine kommende Zeit im Kirchenjahr (OCC [obligatory catholic content]): Den Advent nämlich!
Denn wenn die Früchte kandiert sein werden, dann landen sie im Stollen!
Ich freu‘ mich drauf, auch wenn der Oktober gerade noch spätsommerlich einherkommt… 😉

Gereon Lamers

„… ein Grund zum Feiern“

Zwei Veranstaltungshinweise für alle Liebhaber der Orgel

„Neun Jahre Kutterorgel […] sind ein Grund zum Feiern. So lange schon erfreut der schöne Klang der 3-manualigen Kutterorgel in Gottesdiensten und Konzerten.“

Ah! Werden Sie denken: Genau! Endlich sagt es mal einer!

Aber Moment mal – wir … wir haben doch gar keine Kutterorgel. Hat unsere Orgel nicht Orgelbau Waltershausen gebaut? Und war das nicht 2011? Das sind doch erst sieben Jahre, nicht neun.

Sie haben vollkommen Recht! Zum Jubiläumsjahr von Liszts 200. Geburtstag wurde die Orgel der Musikhochschule in unserer Kirche fertig und seither dürfen wir sie für Liturgie und Konzerte mit nutzen. Und so stammt obiges Zitat denn auch nicht aus einer Infomail aus Weimar, sondern aus einer aus Jena, wo man sich der Dankesschuld für die schöne neue Orgel ein wenig besser bewußt ist als bei uns. Unser „Grund zum Feiern“ läge bekanntlich jeweils um den 8. Mai herum.

Aber da Jena nicht weit ist, möchte ich die Einladung zum 9. Jenaer Orgelfest, dem Festgottesdienst mit dem dortigen Kantor, Herrn KMD Detlef Regel und einem nachmittäglichen Konzert mit Agnieszka Kosmecka am kommenden Sonntag, dem 9. September, gerne an Sie alle weitergeben. Bach, Gounod, Jackson und Willscher werden gespielt. Nein, nicht im Konzert. In der Messe um 11.00 Uhr. Das Konzert kommt dann erst noch, um 16 Uhr. Alles in der Kirche St. Johann Baptist bei freiem Eintritt.

Und wir Weimarer? Gehen leer aus? Nein! Durch Privatinitiative und das große ehrenamtliche Engagement, auf welches man sich in Herz Jesu Weimar immer verlassen kann (und verläßt), ist es gelungen, anläßlich der diesjährigen Kirchweih Ende September zwei Konzerte und eine festliche Messe auf die Beine zu stellen. Am Samstag, dem 29. September wird um 19.30 Herr István Ella das Festwochenende mit einem Orgelkonzert eröffnen. Hier das Plakat, das ebenfalls an einem heimischen Computer erstellt wurde (nicht von uns – nicht daß Sie uns aus Versehen mit fremden Federn schmücken! Beide Konzerte haben nichts mit meinem Mann oder mir zu tun.)

Konzertplakat I. Ella (Bild: D.M.)

Am darauffolgenden Sonntag, 30. September, wird die Liturgie des Hochamts von Kirchenchor und musikalischen Gästen besonders festlich gestaltet und um 16 Uhr klingt das Kirchweihwochenende mit einem Konzert der Mainzer Dombläser aus.

Soweit die Ankündigungen. Jetzt noch das obligatorische Youtube-Video, in dem wir diesmal István Ella bei einem Konzert zuhören dürfen, das er vor sechs Jahren in der Erlöserkirche Jerusalem gegeben hat.

Enjoy! 🙂

Cornelie Becker-Lamers

Atta unsar

Die Cäcilini singen morgen (26. August 2018) im Hochamt

Übersetzungen der Bibel (wie wir heute sagen) hat es ja immer gegeben. Das fängt im frühen 3. Jh. v. Chr. mit dem Pentateuch an, der durch eine Gruppe von Gelehrten in Alexandria ins Griechische übertragen wird – der Grundstock der bis ins erste nachchristliche Jh. hinein entstehenden sogenannten „Septuaginta“. 70 Gelehrte sollen sich, einem fiktiv-zeitgenössischen Bericht, nämlich dem „Brief des Aristeas“, zufolge zur korrekten Übersetzung abgestimmt haben. Die Geschichte, die sich im Laufe der Zeit entwickelte und nach der die 70 vollständig unabhängig voneinander zum identischen griechischen Wortlaut fanden, ist allerdings viel zu schön, um nicht ebenfalls weitererzählt zu werden. (Vgl. hierzu ausführlich Zur Legende von der Übersetzung der Septuaginta, in: Septuaginta deutsch, hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2009, S. 1503-07).

Lateinische Bibelübersetzungen ließen nicht allzulange auf sich warten. Als sich Hieronymus im Auftrag von Papst Damasus im späten 4. Jh. an die (übrigens erst nachmittelalterlich dann so bezeichnete) „Vulgata“ machte, ging es bereits um die Revision konkurrierender lateinischer Übertragungen.

Hieronymus Im Gehäuse, A. Dürer (Bild: Wikicommons)

Noch vor Hieronymus setzte sich ein gotischer Bischof hin, um uns mit seiner Bibelübersetzung das älteste germanische Sprachdenkmal zu hinterlassen: Die nach ihm benannte „Ulfilas“. Wulfila, so sein eigentlicher Name, lebte von ca. 311 bis 383 und wurde um das Jahr 340 von Eusebius von Nikomedia in Antiochia zum Bischof geweiht (mithin von demselben Reichsbischof Konstantinopels, der – entgegen der Legende erst auf dem Totenbett im Jahre 337 und noch dazu im arianischen Glauben – Kaiser Konstantin den Großen getauft hatte). Anders als seine Kollegen hatte Wulfila, bevor er seine Übersetzungsarbeit beginnen konnte, zunächst einmal die Voraussetzungen seiner Niederschrift zu schaffen: Die Schrift. Eine gotische Schrift.

Wie man am Schriftbild unmittelbar sieht, bediente er sich dabei des griechischen Alphabets (dessen Buchstaben er zum Teil mit abweichenden Lauten belegte) und durchsetzte es mit germanischen Runen – etwa dem „Thorn“ für ein stimmloses „th“ (wie im Englischen).

Griechisches Schriftbild: eine Seite aus der Septuaginta (Bild: Wikicommons)

 

Gotisches Schriftbild: eine Seite aus dem „Codex Argenteus“, der berühmtesten Abschrift der Ulfilas (Bild: Wikicommons)

Die erhaltenen Teile der „Ulfilas“ beinhalten auch das sechste Kapitel des Matthäus-Evangeliums und hierin die Verse 9-13: Das vollständige Vater Unser – sogar mit dem in Vers 13 hinzugefügten „Denn dein ist das Reich …“ Hören Sie mal:

Na, bravo! Werden Sie denken. Veräppeln kann ich mich selber! Woher will er denn wissen, wie man die Worte ausspricht, hm? Hat er eine CD von damals gefunden?

Das ist in der Tat bei Codex-Sprachen (den früher sogenannten „toten Sprachen“) immer die Krux – aber in diesem Fall durch die Bekanntheit der Textvorlage wohl mit überschaubarem Aufwand zu lösen gewesen. Der Schlüssel zu den Aussprachefragen sind natürlich die Eigennamen und Lehnwörter, die zeitgleich in anderen Schriften und Sprachen überliefert sind. Wenn beispielsweise im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums steht, daß Maria nach der verstörenden Verkündigung des Engels „AileisabaiÞ“ – Elisabeth – aufsucht, wissen wir, daß ein langes offenes „e“ im gotischen als „ai“, ein langes geschlossenes „i“ als „ei“ dargestellt wird – und schon ist klar, daß das „weihnai namo thein“ – geheiligt werde dein Name – „wiichnää namo thiin“ heißen muß. (Irritierend finde ich im Zusammenhang mit den neuesten Gepflogenheiten der theologischen Forschungsliteratur, daß das „th“ am Namensende von Elisabeth durch Wulfila mit dem Thorn, also wirklich als „th“ mit Zunge zwischen den Zähnen wiedergegeben wird und heutige Wissenschaft, sogar das superauthentische „Münchner Neue Testament“, bei Elisabet – wie bei Rut, Betlehem und öfter – das „h“ wegläßt … Kann dazu jemand etwas sagen?)

Aber warum schreibe ich das alles hier überhaupt?
Weil die Cäcilini morgen, am 26. August, in der 10.00-Uhr-Messe bei Dr. Pittner in Herz Jesu Weimar neben drei anderen Liedern und Chorsätzen auch eine Vertonung des „Atta unsar“ vortragen werden.

Und warum dies? Weil das Gotische für die Geschichte Thüringens nicht irrelevant ist. Um nicht zu sagen: Weil Radegunde (vgl. jüngst erst auch hier) dieses Atta unsar gebetet haben könnte. Ihre Tante, an deren Hof die kleine Prinzessin nach dem Tod ihrer Eltern aufwuchs, war schließlich Amalaberga, eine Nichte Theoderichs des Großen. Amalaberga war aus Ravenna mit Herminafried nach Thüringen verheiratet worden, um die ostgotisch-thüringische Phalanx gegen die Franken zu festigen. Ich bin sicher, sie hat den Kindern das Vater unser beigebracht – das Atta unsar aus Wulfilas Übersetzung. (Zu Texten, Vokabular und Grammatik des Gotischen vgl. Friedrich Ludwig Stamms Ulfilas oder die uns erhaltenen Denkmäler der gotischen Sprache. Text, Wörterbuch und Grammatik, Stuttgart: Magnus o.J.)

Cornelie Becker-Lamers

PS: Ich hätte da noch was: Die „Ulfilas“ ist in einer scriptio continua verfaßt – in einer fortlaufenden Majuskelschrift, die die einzelnen Wörter nicht voneinander trennt. Ab und zu sind Punkte in den Text gesetzt, um Sinnabschnitte zu kennzeichnen. Mir ist, als hätte ich mal gelernt, dies sei die Grundlage der Verseinteilung der Bibelkapitel. Ich konnte das aber seither nicht mehr verifizieren. Es müßte in einem Aufsatz von Walter Haug stehen. Kann jemand helfen?

PPS: Wo wir schon gerade beim Fragenstellen sind hätte ich da noch eine zum Stichwort “Bibelübersetzungen” (s. erster Satz dieses Beitrags). Die Übersetzungen der Hl. Schriften des Judentums, wie sie die Septuaginta (ursprünglich) darstellt, würde ich persönlich niemals als “Bibel“-Übersetzung bezeichnen, und zwar aus Rücksichtnahme auf das jüdische Empfinden, ist doch “Bibel”, so wie ich das verstanden habe, ein historisch ganz und gar christlicher (und insofern übrigens auch u.U. anachronistischer) Begriff! Analog also zu der Vorsicht in der Verwendung des Gottesnamens, zu der Papst Benedikt vor einiger Zeit aus ebendiesem Grund der Rücksichtnahme aufgrufen hat (vgl. hier). Nach meinem Gefühl zum Glück nicht ganz ohne Erfolg.
Daß es historisch derartige Empfindlichkeiten sehr wohl gegeben hat, zeigt in Bezug auf die Septuaginta ja allein schon die Tatsache, daß das Judentum schon recht bald die Notwendigkeit empfand, sich eine andere, “neue” Textgrundlage zu schaffen, als es die Septuaginta als christlicherseits “gekapert” und von daher für sich selbst sozusagen “kontaminiert” empfand. (Ein Faktum, nebenbei, daß ich in Bezug auf die seitens der “Humanisten”, vor allem aber nicht nur “reformatorischer” Provenienz, einseitige Abwertung der griechisch-lateinischen Texttradition zugunsten der hebräischen Überlieferung für sehr betrachtungswürdig halte!).
Nun muß ich aber zur Kenntnis nehmen, daß auch jüdische Gelehrte immer wieder von sich aus “Hebräische Bibel” schreiben, so, als ob es ihnen offenbar nichts ausmache.
Weiß dazu jemand etwas? Hat es mit unterschiedlichen Richtungen innerhalb des Judentums zu tun?
Ich finde bis auf weiteres jedenfalls, wir sollten, wenn das gemeint ist, gemeinsam von den jüdischen Hl. Schriften, vom ‘Tanach’ sprechen und dafür die notwendige Empathie und Energie aufwenden! (und nicht für so bemühte und für uns m.E. nicht “nur” traditionsferne, sondern wirklich verfälschende “Klimmzüge” wie “Erstes” Testament, wenn wir vom Alten Testament sprechen…)

Gereon Lamers

Sketch des Monats: Die Kirchenfenster

Ein Sketch für acht Personen, fünf Schafe, zwei Lämmchen
und einen Hütehund

Köthen/ Anhalt. In dem kleinen Städtchen mit der großen Geschichte herrscht immenser Aufruhr. Man hat sich, jetzt, abends, beim Bier, noch keineswegs von dem Schrecken erholt, daß heute mittag, pünktlich zum Gedenktag Mariä Krönung (der aber in dieser Gegend kaum noch jemandem etwas sagt), eine kleine Schafherde in Begleitung ihres Hütehundes mitten durch die engen Straßen des beschaulichen Städtchens ihres Weges zog. Gut … ein paar Schafe in der Stadt … das ginge bei einem Flecken von den Ausmaßen der Bachstadt Köthen/ Anhalt ja noch. [Um nicht zu sagen, das kommt auch in Thüringer Kommunen vor, und zwar heute! 😯 ]

Aber die Nachbarin der Großcousine hat gesehen, daß sie Phablets mit dem Köthener Stadtplan vor sich hertrugen. Und der Dachdecker bei Biesels hat sie sogar reden hören!

Merkwürdig! Wer oder was mag das gewesen sein?

Ich glaube, liebe Leser, wir vermuten dasselbe. Schauen wir uns die Szene doch einmal genauer an … na klar!!! Auf dem Parkplatz beim Schloß steht der neue Pritschenwagen. Und sagen Sie mal – kennen wir das Auto dort drüben nicht auch? Es kommt vom Kennzeichen her aus dem selben Kreis wie der Pritschenwagen … na, vielleicht klärt sich das im Laufe der Geschichte.

Köthen, Schloß, im Herbst 2012 (eigenes Bild)

Kohle: So. Das wäre das Schloß.

Fixi (mault): Ich will nicht ins Museum!

Wolle: Mußt du ja auch gar nicht! Wir suchen die Kirche.

Kohle: Die kommt hier gleich. (Er zeigt den Schloßplatz hinunter in Richtung Stiftstraße.)

Grauchen: Nah beim Schloß.

Flocke: War ja auch für das frisch konvertierte Herrscherpaar.

Blütenweiß: „Die Romantik war das Zeichen eines fast bewußtlos hervorgetretenen Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche.“

Wolle: Ui!

Grauchen: Wo hast du das denn her?

Blütenweiß (errötet ein wenig): Eichendorff.

Kohle: Ein schöner Satz. – Jetzt laßt uns hier die Stiftstraße lang gehen.

Huf: Ich will aber lieber hier (Er wendet sich dem Prinzessinhaus zu und stürmt die Schloßstraße entlang.)

Tatze: Wuff! Dann geht ihr auch hier lang! Die Herde muß zusammen bleiben.

Kohle (für sich): Despoten. Alles Despoten! (Er trabt hinter den Lämmchen her.)

Blütenweiß (begütigend): Laß mal! Der Ortskern hier ist glaube ich klein – dann gucken wir halt erst ein paar andere Sehenswürdigkeiten an und kommen von der andern Seite zur Kirche.

In der Tat. Nach wenigen Metern:

Köthen, Rathaus, im Herbst 2012 (eigenes Bild)

Huf (stolz): Seht ihr – das Rathaus! Das hat sich doch wohl gelohnt! (Er trabt weiter zum Marktplatz mit der Jakobskirche. Kohle wirft einen Blick in die Springstraße, an deren Ende er zu Recht wiederum die berühmte katholische Kirche vermutet und folgt dann den Lämmchen.)

Köthen, Springstraße im Herbst 2015 (eigenes Bild)

Flocke: Na, jetzt können wir auch gleich bis zur Wallstraße durchgehen.

Grauchen: Wieso? Was ist denn da?

Wolle: Na, das Wohnhaus vom Hahnemann!

Grauchen: Welcher Hahnemann?

Huf (stöhnt): Der Entdecker der Homöopathie.

Flocke: Na – sagen wir: der Wiederentdecker. Ist alles die alte Frauenmedizin.

Grauchen: Ach! Und der wohnt hier?

Kohle: Wohnte. Ist tot. – Ja, klar. Wußtest du das nicht?

Fixi und Huf: Woher kommt die Homöopathie? (Im Quintfall) Aus Mitteldeutschland!

Über den Bachplatz mit einer typischen Büste des Komponisten gelangen sie in die Wallstraße und tatsächlich:

Köthen, Wohnhaus von Samuel Hahnemann in der Wallstraße 47 (eigenes Bild)

Kohle: Da ist es!

Fixi: Schön! (Sie liest die Gedenktafel am Haus.)

Huf: Laßt uns weiter gehen.

Wolle (will eine Infostele lesen): Daß die Lämmchen immer so einen Bewegungsdrang haben! (Sie trabt der Herde hinterher. Nach wenigen Schritten gelangen sie zum Magdeburger Turm und biegen in die Straße zur Agnuskirche ein.)

Köthen, Platz mit Magdeburger Turm, im Herbst 2012 (eigenes Bild)

 

Köthen, St Agnus 2012 (eigenes Bild)

Fixi: Das soll eine Kirche sein? Sieht aus wie ein Schulhaus.

Kohle: Hm. Ist es aber nicht. Manche Kirchen sind hier einfach in die Straßenschlucht gebaut.

Wolle: Oder die Straßen sind drumrumgewachsen? Seht mal dort vorn.

Grauchen: Na endlich!

Köthen, katholische Kirche St. Marien, im Herbst 2012 (eigenes Bild)

Huf: Ist das die Kirche?

Kohle: Na klar!

Fixi: Und dort sind wir verabredet?

Wolle: Yep! Ich hab telefoniert – sonst kann man nur durch eine Glasscheibe gucken.

Flocke: Aber die freuen sich ja, wenn jemand kommt!

Wolle: Ja! War supernett!

(Sie nähern sich der Kirche. Während Wolle, Flocke und Kohle die Gruppe im Pfarramt Ecke Springstraße anmelden, umrunden Fixi und Huf soweit als möglich das klassizistische Gebäude und entdecken wiederum eine Erläuterungstafel.)

Tafel an der Kirche (Eigenes Bild)

Die Schafe kommen im Schlepptau der Pfarrsekretärin zurück und alle erklimmen die Stufen zum Kircheninneren. Als sich das Portal öffnet, prallen die Schafe zurück: Am Glaseinbau, der das Innere der Kirche vor Vandalismus schützt, drücken sich Edith, Richard, Teresa, Emily, Karl, Hanna und Silke die Nasen platt! Natürlich gibt es jetzt erstmal ein Riesen-Hallo.

Richard (blickt sich nach den Eintretenden um, freudig): Das gibt’s doch gar nicht!

Edith (schaut auch): Määänsch – Ihr hier?

Teresa quiekt und läuft zu den Lämmchen – die drei verschwinden ganz schnell wieder nach draußen.

Tatze: Heee! Ihr könnt euch doch nicht einfach verabsentieren!

Richard: Laß mal, Tatze, ich glaube, das geht klar! Teresa ist ein großes Mädchen.

Die Schafe begrüßen ihre Wundersdorfer Freunde begeistert und ausgiebig

Die Pfarrsekretärin (lächelt): Ach, Sie kennen sich wohl? Na, dann komm‘ Se mal gleich mit rin!

Sie sperrt auf und läßt die mittlerweile ansehnlich große Gruppe ins Kirchenschiff. Tatze der Tapfere läuft die ganze Zeit über zwischen den verschiedenen Grüppchen innerhalb und außerhalb der Kirche hin und her, damit keiner verloren geht.

Hanna (zu den Schafen): Wenn wir euch nicht hätten!

Flocke: Da kannst du mal sehen!

Schafe und Menschen verteilen sich, einige folgen der Pfarrsekretärin, die eine Kirchenführung improvisiert.

Edith (schaut auf die beiden blaugrundigen Kirchenfenster): Da!

Köthen, Katholische Kirche, Fenster Mariä Krönung von Michael Triegel, 2015 (eigenes Bild)

Köthen, Katholische Kirche, Fenster Pietà von Michael Triegel, 2015 (eigenes Bild)

Richard (schaut auch): Daß sich endlich mal einer traut, figürliche Darstellungen zu realisieren! Wirklich mit den Fenstern Geschichten zu erzählen – wie die alten Fenster das auch machen.

Karl: Mhm! Und sich traut, etwas Schönes zu malen. Kann sich heute kaum einer leisten!

Hanna: Ich glaube, das könnte es viel öfter geben, wenn die Juroren in den Ordinariaten nicht die figürlichen Entwürfe immer durchfallen ließen!

Karl: Du meinst, die Künstler reichen solche Arbeiten ein – und ausgesucht werden die ungegenständlichen Farbflächen?

Hanna: Oder die Pfeile von Schreiter, ja.

Richard: Hm! (Er schaut sich die beiden Fenster an.) Und sag mal – das ist dann auf die Scheiben gedruckt?

Karl: So eine Art Druckverfahren, ja.

Richard: Hm, war das früher nicht durchgefärbt? (Er schaut.)

Karl: Michael Triegel ist aber Maler!

Hanna (zu Richard): Genau! Was soll er denn machen? Mecker nicht, sondern freu dich lieber, daß wir so schöne Bilder sehen! Mariä Krönung, und Adam und Eva rechts und links …

Karl: Da: Evas Apfel taucht als Granatapfel bei Maria wieder auf …

Richard: Und sie hält ihn wie einen Reichsapfel.

Edith (kommt angeschlendert): Und so sieht also der Künstler aus? (Sie schaut die Fenster an.)

Hanna: Wie?

Edith: Na, ich hab gestern im Netz ein bißchen gelesen, und da wird dem Triegel vorgeworfen, daß der Jesus aussieht wie er selber und Maria wie seine Frau.

Karl: Vorgeworfen? Aber das ist doch ganz normal!

Hanna: Dürer …

Richard: Und James Ensor malt eine Kreuzigung, wo auf dem Kreuz nicht INRI, sondern ENSOR steht …

Karl: Ja. Heckel … Barlach … bei allen findet man das. Also das ist jetzt wirklich nicht das Problem.

Hanna (blättert in einem Katalog zu den Bildern): Da ist ein Druckfehler in der Überschrift! (Sie hält Karl den Katalog hin.)

Karl: Stimmt! „Themenfenster“.

Hanna (lacht): „Thermenfenster“!

Kohle: Doch, doch! Das stimmt. Die heißen nach ihrer Form so, weil sie in den antiken Bädern so aussahen.

Hanna: Echt jetzt?

Kohle: Ja, echt.

Hanna: Man lernt nicht aus.

Fixi und Huf kommen mit Teresa in die Kirche. Ihre Rucksäcke sehen irgendwie verändert aus, und Teresa trägt plötzlich zwei Stoffbeutel, die sie stöhnend an der letzten Bankreihe fallen läßt. Ein paar Äpfel kullern heraus.

Fixi: Draußen ist es zu heiß! (Sie setzt ihren Rucksack ab.)

Huf (schaut nach oben): Das sind aber schöne Kirchenfenster – fast wie bei uns zuhause.

Hanna: Tja – das könnte man öfter haben, aber bei der Kirche haben sie wohl meist einen etwas anderen Geschmack.

Richard: Siehe neues Gotteslob

Karl: Hör mir damit auf! (Er lacht.)

Fixi: Könnte man die Entscheider nicht einer homöopathischen Konstitutionstherapie unterziehen?

Hanna (lacht): Wie stellst du dir das denn vor?

Huf (improvisiert): Na – mit hochpotenziertem … Imago officinale – dem Bildstöckelkraut.

Alle lachen.

Richard: Paß aber auf – der Arzt sagt immer, die Krankheit geht so lange, wie sie gekommen ist … Das kann also 50 Jahre dauern.

Edith: Umso eher sollte man mit der Therapie beginnen.

Hanna: Aber sagt mal, was schleppt ihr denn da in Rucksäcken und Beuteln herum?

Teresa (harmlos): Das? Das sind Äpfel aus dem Pfarrgarten. Wir haben den Pfarrer getroffen, und nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, meinte er, wir würden ihm einen großen Gefallen tun, wenn wir den Baum ein bißchen abernten könnten.

Richard: Na, dann krieg dir zuhause mal deine Schwester ran, um die Gläser für das ganze Apfelmus zu spülen …

Teresa (empört): Gläser spülen? Das muß Mama machen. Wir haben Schule!

 

ENDE

Cornelie Becker-Lamers

PS Anm. der Red. Das mit den Äpfeln (und dem Pfarrer) ist auch uns im Jahr 2015 in Köthen passiert…

Köthen, Äpfel Herbst 2015 (eigenes Bild)

PPS: Was Blütenweiß da von Eichendorff zitiert lautet vollständig so:
„Der Inhalt der Romantik war wesentlich katholisch, das denkwürdige Zeichen eines fast bewußtlos hervorgetretenen Heimwehs des Protestantismus nach der Kirche.“ Joseph von Eichendorff, Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, Paderborn 1857, S. 208, zitiert nach Barbara Mikuda-Hüttel, „Und nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehungen.“ Die katholische Marienkirche in Köthen zwischen Gottfried Bandhauer und Michael Triegel, in: Die Fenster von Michael Triegel in der Köthener Schloßkirche, hg. von der ostdeutschen Sparkassenstiftung, Dresden: Sandstein Verlag 2015, S. 12-17, S. 17.

Der römische Brunnen

Ein Sonntagmorgen voller guter Laune

Sie kennen das Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, Der römische Brunnen. Ja … ja klar, im Prinzip ja … Moment … Wie ging das nochmal? Lieber doch nochmal hinschreiben? Bitteschön! Das Gedicht geht so:

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Fontana dei Cavalli Marini in der Villa Borghese (Bild: Wikimedia Commons, User ‘Denisbelli’)

Ok – das Gedicht hat jetzt nicht direkt was mit der 10.00 Uhr-Messe am vorvorletzten Sonntag (Himmel – so lange ist das schon wieder her – damals habe ich diesen Text hier konzipiert) zu tun. Aber indirekt gleich in mehrerlei Hinsicht: Erstens waren die Weimarer Ministrantinnen und Ministranten – naja, also ein paar jedenfalls, darunter eins unserer Kinder – mitsamt Pfarrer am Vorabend zur Romwallfahrt

Rom 2018

aufgebrochen und wir wußten sie im gut gekühlten Reisebus mit zwei (wie unsere Tochter inzwischen berichtete) total netten Busfahrern noch immer auf dem Weg. Zweitens drängte sich im Verlauf der Homilie die Assoziation zu diesem Gedicht unweigerlich auf.

Aber der Reihe nach.

Es geht um das Hochamt am 29. Juli 2018. Pfarrvikar Riethmüller war der Zelebrant und durfte den Chor der Schloßkirche Blieskastel (sprich: Blieskáschdl 😉 ) unter der Leitung von Sebastian Brand und den zugehörigen Organisten im Einsatz für unsere Gemeinde begrüßen.

Die Leseordnung springt an jenem Sonntag aus dem Lesejahr B (Markusevangelium) für ein knappes Halbdutzend Sonntage ins Johannesevangelium und wir hörten die Geschichte von der Speisung der 5000. Ein kleiner Junge hat fünf Brote und zwei Fische, bringt sie Jesus und der spricht ein Dankgebet und gibt die Körbe in die Runde. Als alle satt sind, sendet Jesus die Jünger aus, die Reste einzusammeln und es bleiben zwölf Körbe voll Brot übrig. „Und von dem Brot essen wir heute noch“, sagte Pfarrer Riethmüller. Das fand ich unglaublich schön. So einen Bogen zu schlagen. Dann kam die Predigt auf den kleinen Jungen, der die Ausgangsbrote gespendet hatte – und damit auf das Geben. Gemeinde würde vom Geben leben und davon, daß jeder gibt, was er hat. Gut – das hatten wir ja gerade auf PuLa in etwas anderem Zusammenhang. Aber diesmal fiel mir eben der „Römische Brunnen“ ein. Denn genauso wichtig wie das Geben ist – das sehen wir in unserer Gemeinde – das Annehmen dessen, was angeboten wird. „Geben ist seliger denn nehmen“ ist ja ein schöner Spruch, der es da mal wieder aus der Bibel (Apg 20,35) in den Fundus der allgemeinen Redensarten geschafft hat. Stimmt natürlich auch. Man kann aber halt nur geben, wenn auch genommen wird. Man kann nur dann jemandem etwas anreichen, wenn der andere auch irgendwann zugreift. Sonst fällt die Gabe irgendwann an die Erde. Für einen Brunnen hieße das, das Wasser versickert unmittelbar.

Das Annehmen-Können ganz unterschiedlicher Angebote betrifft dabei zum einen die Verantwortlichen. Unsere Gemeinde trägt noch schwer an der Hypothek, die höchstoffiziell niedergeschriebene Sätze wie „nicht immer ist das Angebotene auch das Erwünschte“ ihr aufgebürdet haben und mit denen die Ausgrenzung so vieler tüchtiger Gemeindemitglieder gerechtfertigt werden sollte. (Zuletzt, im Sommer 2015, waren für meine Begriffe mehr Leute ausgegrenzt als noch ehrenamtlich tätig … es sei denn im ‚Untergrund‘ wie die Cäcilini oder PuLa. Und nur wenige davon sind schon wieder zurück.) Die Mahnung aus dem Römerbrief 12,4ff, daß jedes Glied am Leib Christi andere Gaben und damit auch andere Aufgaben hat, die aber alle gleich wichtig sind, ist nach wie vor noch nicht wieder ganz durchgesickert und kann in Herz Jesu Weimar bis heute nicht oft genug betont werden. Ja – 1 Korinther 12 sollte im Grunde zu Beginn jeder Messe vorgelesen werden, bis sich die Menschen wieder an den Gedanken gewöhnt haben, daß „das Auge nicht zu Hand sagen kann: Ich brauche dich nicht! Ebensowenig der Kopf zu den Füßen: Ich brauche euch nicht“. Zurück zur gegenseitigen Abhängigkeit von Geben und Nehmen: Eine Hand kann sich so lange und so weit ausstrecken, wie sie will – wenn der Fuß sich querstellt, geht es trotzdem keinen Schritt weiter.

Und da fiel mir eben der „Römische Brunnen“ ein. Denn zum andern betrifft das Annehmen auch alle Gemeindemitglieder. Wenn niemand mitmacht, nützt das schönste Angebot nichts. Und indem man annimmt – also zum Beispiel zum Chor hinzukommt, alle unsere Chöre brauchen weitere Mitglieder! –, gibt man natürlich zugleich. (Schließlich ist Singen, wie unser Chorleiter immer sagt, Hochleistungssport 🙂 ). Und man gibt eben genau wie in einem Römischen Brunnen: Indem man nimmt und in dem Maße, in dem man nimmt.

Es wäre eigentlich wirklich gar keine so schlechte Idee, die ich da vor ziemlich genau zwei Jahren hatte, als der August-Frölich-Platz vor unserer Kirche für Autos gesperrt wurde: daß da jetzt eigentlich ein Römischer Brunnen hin müßte. Ja. Das würde gut zu Weimar passen und man hätte das Bild allezeit vor Augen.
[Anmerkung der Redaktion: Guter Plan! Aber natürlich mit einer Marienstatue obendrauf! #Frauendreißiger 🙂 ]

Einen für mich wichtigen Hinweis gab es in der Predigt am 29. Juli weiterhin: Daß das Selber-Einlegen der Hostien vor Beginn der Messe genau dieses Geben jedes Einzelnen symbolisiert und daß man also nicht „zwei oder drei Hostien – für die Kinder mit“ einlegen soll. Das war mir so nicht bewußt. Ich fand das Einlegen immer merkwürdig – jetzt nicht mehr.

Nun kommen wir aber noch einmal auf den Chor der Schloßkirche Blieskastel zurück, dessen Organist uns sehr sachkundig begleitet hat und der – regelmäßig mit Orgelbegleitung – bereits das Kyrie und einen afrikanischen Gesang (so klang es jedenfalls) zum Antwortpsalm vorgetragen hatte. Zum Dank sang die Gruppe dann das „Anima Christi sanctifica me“ in der Vertonung von Marco Frisina (nie gehört? Aber „Jesus Christ, you are my life“ kennen Sie – das ist von ihm).

[Anmerkung der Redaktion: So klingt’s auch, meiner bescheidenen Meinung nach; aber was weiß ich denn schon… 😉 ]

Den Orchesterpart übernahm wiederum der Organist und ich erfreute mich an dem Text (auf deutsch in GL 6,4), den die Cäcilini in eigener Vertonung auch schon gesungen haben. Hier kommt jetzt aber eine Version des Liedes von Marco Frisina.

Enjoy! 🙂

Nachtrag:

Übrigens kam in den Erzählungen der Kinder wie auch im öffentlichen Bericht des Pfarrers über die Ministrantenwallfahrt zum Ausdruck, daß der Höhepunkt der Reise ein Abendgebet in kleiner Runde in einem Park, die Füße im kühlenden Wasser eines Brunnens in Rom – gewissermaßen eines römischen Brunnens – gewesen sein muß. (Wie gut, daß sein Wasser aufgefangen worden und nicht versickert war). Womit wir bei der dritten Assoziation zu diesem Gedicht wären. Aller guten Dinge sind eben drei. 🙂 Und „Die Füße im Wasser“ führt auch gleich wieder zur nächsten sehr weisen Ballade von Conrad Ferdinand Meyer. Aber das ist eine andere Geschichte.

Cornelie Becker-Lamers

PS: Übrigens habe ich mir klarzumachen versucht, was diese 200 Denare bedeuten, von denen Philippus vor der Speisung der 5000 in Vers 7 spricht. Ich bin aber nicht weit gekommen. Vielleicht habe ich es falsch angepackt? Wenn man jedenfalls die Angaben aus dem Anhang meiner Bibelausgabe zu Rate zieht, ergeben sich folgende Werte: Ein Denar ist ein Viertelsilberschekel, wobei ein Schekel 11,5 gr wiegt. Ein Gramm Silber kostet derzeit 43 Cent (Der Preis aktualisiert sich ständig. Aber so etwa.)

200 Denare wären dann also 11,5 dividiert durch 4 mal 0,43 mal 200 bzw. „#rechnegeschickt“ 😉 11,5 mal 0,43 mal 50, macht 247,50 Euro. Das wäre jetzt aber der Silberpreis, der mit dem Münzwert ja nicht notwendigerweise übereinstimmt. Außerdem eben der heutige Silberpreis. Wenn man aber dem Gedankengang folgt, den Joachim Jeremias in seinem Buch „Jerusalem zur Zeit Jesu“ (1923/ 1958) in seiner Münzwerttabelle zugrunde legt, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Ein Denar ist dann, abgeleitet aus der Geschichte der Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16), der Lohn eines Tagelöhners und die Summe, von der eine Familie einen Tag lang leben kann (weshalb auch jene einen Denar erhalten, die nicht früh um sechs, sondern erst in der elften Stunde – um 17 Uhr – begonnen haben zu arbeiten). Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro und nicht zwölf, sondern nur acht Stunden Arbeit kommt man pro Tag auf eine Summe von rund 70 Euro, die einem Denar entsprächen.

200 Denare wären dann 14.000 Euro.

Hm.

Also ich denke mal, wenn Philippus wirklich so viel Bargeld bei sich hatte, hätte man von Brot für 14.000 Euro schon einige Stullen geschmiert bekommen. Das Problem wäre dann wohl eher gewesen, am See Genezareth eine Bäckerei zu finden, die abends noch für eine solche Summe Brot liefern kann.

Deshalb habe ich das Thema in meinem Beitrag nicht weiterverfolgt.

[Anmerkung der Redaktion: Kaufkraftvergleiche fallen in den Bereich der Historischen Hilfswissenschaften; davon verstehe ich, anders als von Musik, vgl. oben 😉 immerhin soviel, um sagen zu können: Das sind alles andere als banale Fragestellungen, zumal, wenn es sich um die Antike handelt. Die Idee, anhand des Lohnniveaus vorzugehen, stellt einen “klassischen” Zugang dar und könnte der Sache nahekommen. Und: Auf J. Jeremias kommen wir vielleicht nochmal zurück!]