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“Hatten wir diese Auseinandersetzungen nicht schon gewonnen?”

Ross Douthat hält die ‘Erasmus Lecture’ 2015
Neues aus der Blogœzese 2a/3 

Ende April hatten wir uns über die Blogœzese Gedanken gemacht und anhand ermutigender aktueller Beispiele einen kleinen Rückblick gewagt auf ihre Geschichte, vor allem in den vergangenen 7 – 8 Jahren. Dabei kamen wir nicht umhin, die Entwicklung in diesem Zeitraum als eine krisenhafte zu charakterisieren. Beim Nachdenken darüber hatten wir postuliert, es gebe über die je individuellen Gründe für ein Nachlassen in der Intensität der Textproduktion hinaus auch ein “verbindendes Element”, das uns alle gemeinsam gehemmt hat, und das vielleicht auch noch fortwirkt.

Aber bevor wir zu diesen durchaus ernsthaften und auch selbstkritischen Betrachtungen schreiten, haben wir noch ein Schmankerl für Sie, das sich eher heiter einfügt in den ‘Komplex Blogœzese’. Cornelie hat es, sozusagen als “Beifang”, “aufgestöbert”, als sie vor kurzem den ersten Teil ihres Berichts über die Internet-Präsenz der Franz-Liszt-Gedächtnisorgel in unserer Pfarrkirche schrieb. Zu diesem Thema hatte sich nämlich der Blog “Nacht des Herrn” anläßlich der Weihe der Orgel verblüffend kundig geäußert.

Der Autor dieses Blogs agiert nach wie vor anonym über eine kommerzielle amerikanische Plattform (dafür wird man mit Werbung genervt… 🙄 ). Naja, spart neben Geld eben auch die Verpflichtung zur Bereitstellung eines Impressums und einer Datenschutzerklärung, das muß jeder selber wissen. Im Grunde konnten wir ja schon vor über 5 Jahren über diesen Mitbloggenden (denn die Bezeichnung “Kollege”, die wir ja sonst immer wählen, würde er vermutlich seitens PuLa eher nicht so mögen), leider nur den Kopf schütteln (hier, ganz zum Schluß). 
Und es hat sich dort nichts geändert! Weder die (wie wir 2014 schrieben) auch hier “intermittierende Erscheinungsweise”, noch die reichlich eklektizistische Themenwahl, die für unser Empfinden immer wieder mal nur so “irgendwie” etwas mit katholischen Fragen zu tun hat, und schon gar nicht das Hauptcharakteristikum des Autors, der sich nach wie vor “Nachtbriefträger” nennt: Er ist immer (noch) der gaaanz Arme! 😉 Schrieb er damals von sich, seine Funktionsbezeichnung sei eigentlich “Sündenbock”, so grämt er sich im Jahr 2017 (vermutlich wieder aufgrund einer beruflichen Veränderung, bzw. Versetzung) darüber, daß er als “Neuer im Team” erst einmal fragen soll, bevor etwas verändert werden darf – So was aber auch! (hier) (Unbenommen bleibt dabei, daß die Beobachtung, wie “Ehrenamtliche” zur Begründung von Veränderungsunwilligkeit instrumentalisiert werden können, sehr nachvollziehbar ist!).

Naja, und vor gar nicht langer Zeit, am 2. März 2020, läßt unser anonymer Autor dann seinen Blog, die “Nacht des Herrn” als “Dornröschen” (sic!) wieder erwachen.

Lassen wir mal dahingestellt, ob “Sleeping beauty” hier wirklich der richtige Vergleich ist, und stellen einfach nur fest: Wenn sogar der Nachtbriefträger jedenfalls den Vorsatz faßt, wieder regelmäßig in die Tasten zu greifen, so wollen wir das als ein weiteres positives Zeichen der Wiederbelebung der Blogœzese sehen und sagen in diesem Sinne: Willkommen zurück, lieber Mitbloggender! 

Von dieser Ouvertüre her, so mußte ich feststellen, hätte sich ein Thema zur Überleitung auf den Hauptteil des Beitrags allenfalls reichlich gezwungen finden lassen, und daher – fange ich einfach an:

Am Abend des 26. Oktober 2015 hielt in New York Ross Douthat die ‘Erasmus Lecture’, die die Trägerinstitution des Magazins ‘First Things’ jährlich veranstaltet.
Der Harvard-Absolvent Douthat (gesprochen etwa: “Daußat, sorry, mit Lautschrift stehe ich auf Kriegsfuß.. 😉 ) , Jg. 1979, ist ein amerikanischer Autor, Blogger 😀 und seit einigen Jahren (als solcher gesuchter und ausgewählter!) konservativer “Op-Ed-Kolumnist” der New York Times. Er konvertierte in den frühen 90er Jahren zusammen mit der ganzen Familie zum Katholischen Glauben und gilt als eine gewichtige Stimme im traditionsorientierten Spektrum des US-amerikanischen Katholizismus.
Das First-Things Magazine ist eine seit 1990 monatlich in New York erscheinende, konservative ökumenische und interreligiöse Publikation (protestantisch, katholisch, jüdisch). Ihr Ziel ist es “eine religiös informierte und philosophisch untermauerte öffentliche Übereinkunft zur Ordnung der Gesellschaft zu fördern”. 

Die jährlichen  ‘Erasmus-Lectures’, sie finden sogar bereits seit 1987 statt, werden jährlich von über 500 Menschen besucht. Die Referenten sind fürwahr hochkarätig, auch ein gewisser Joseph Ratzinger gehörte einmal dazu. 

Vor diesem Hintergrund ist es glaube ich angebracht, einmal mehr festzustellen, daß in der breiten deutschen Öffentlichkeit im allgemeinen, aber auch speziell in der (ohnehin überschaubaren) katholischen intellektuellen “Szene” in der Regel ein Zerrbild von der Debatte in den USA gezeichnet wird! Ja, es gibt dort, im weltlichen wie im religiösen Bereich der öffentlichen Debatte schrille Stimmen. Mehr als genug und auch mir ist das immer wieder sehr unangenehm.
Aber es gibt eben auch Institutionen, Debatten und Persönlichkeiten wie die im Umfeld von ‘First Things’. Institutionen und Debatten, wie es sie hierzulande einfach nicht gibt. Streitbar, aber zivilisiert und vor allem mit einem
erheblich breiteren Meinungsspektrum! Das geht, gerade seit 2016, im immer gleichen Trump-Bashing unter und wenn das nichts mehr “hilft” werden über “die Amerikaner” einfach die Geschichten erfunden, die das hiesige Publikum erwartet. So z.B die Leserschaft des “Spiegel”, der einen Claas Relotius bei sich so richtig zur “Hochform” auflaufen ließ. Ich habe das schon öfter geschrieben: Unterreflektierter Antiamerikanismus ist eine Dummheit, die den, der ihn pflegt, insoweit mit den beiden totalitären Ideologien gemein macht, unter denen Deutschland und die Welt im 20. Jahrhundert gelitten haben. 

Deswegen gehört an diese Stelle einer unserer allseits beliebten 😉 Praktischen PuLa-Tips: Wenn Ihnen, gerade im katholischen Bereich, eine(r) mit Bemerkungen kommt wie: “Die Amis halt” (samt einschlägigem Augenaufschlag), dann sollten Sie hellwach werden! Denn die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, daß Sie nur davon abgehalten werden sollen, Debatten und Standpunkte kennenzulernen, die denen, die so reden, nicht passen. Weil sie, zum Beispiel, deren vermeintliche Selbstverständlichkeiten erschüttern. Sie sollten sich dann nicht nur nicht abschrecken lassen, sondern besonders neugierig werden, um sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Ok, fangen wir nach diesem “kleinen Einschub” einfach noch einmal an: 

Am Abend des 26. Oktober 2015 hielt in New York Ross Douthat die ‘Erasmus Lecture’ und er begann mit einer Geschichte, die er, wie er sagte, oft gehört und auch einige Male selbst erzählt habe, einer “Geschichte über die Katholische Kirche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts”:

Einst, vor 50 Jahren habe es ein ökumenisches Konzil gegeben, nach eigenem Bekunden “pastoral”, keinesfalls “revolutionär” in seiner Zielsetzung und dementsprechend seien auch seine Verhandlungen und die Dokumente, die daraus erwuchsen, alles andere als dazu angetan gewesen, die Lehre neu zu schreiben, bzw. die Kirche zu protestantisieren.

Jedoch sei dieses 21. Ökumenische Konzil zeitlich zusammengefallen mit einer Ära sozialen Aufruhrs und revolutionärer kultureller Umbrüche in der westlichen Welt und so sei die erhoffte Erneuerung bald “gekidnapped” worden, von jenen, die eine Anpassung an den Zeitgeist der 60er Jahre und die Veränderung der Kirche “nach linksprotestantischem Vorbild” anstrebten.

Schnell hätten sich zwei Parteien gebildet, eine, die in Kontinuität zu Lehre und Tradition dem tatsächlichen Gehalt der Konzilsdokumente folgte, und eine, deren Loyalität dem vermeintlichen “Geist des Konzils” gehörte, der mit den jeweiligen kulturellen Moden der Zeit zusammenfiel. 

Diese letztere Partei hätte sich in vielen katholischen Institutionen erfolgreich breitgemacht, den Seminaren und den Orden, in katholischen Universitäten (in den USA gibt es so etwas relativ häufiger) und den Diözesanbürokratien – viele Jahre lang.
Die Ergebnisse seien im besten Fall enttäuschend, im Grunde aber desaströs gewesen: “Zusammenbruch der Meßteilnahme, verschwindende Berufungen, eine schnelle Erosion katholischer Identität, wohin man schaut”. 

Doch glücklicherweise für die Kirche sei dann ein Papst gewählt worden (der Hl. Johannes Paul II.), der der erstgenannten Partei angehört habe, der die Hermeneutik des Bruchs zurückgewiesen habe, die wahren Absichten des Konzils vorangetrieben und dabei die alten Wahrheiten des Katholizismus erneut klar verkündet habe.

“[…] Während ein liberalisierter, anpasserischer Katholizismus daran scheiterte, sich zu erneuern und daher bald (buchstäblich) aussterben würde, inspirierte das katholische Zeugnis dieses Papstes und seines Nachfolgers genau die Art der Erneuerung, auf die die Konzilsväter gehofft hatten: eine Generation von Bischöfen, Priestern und Laien, dazu bereit, die Fülle des Katholizismus und den Glanz seiner Wahrheit, zu bezeugen.”

“Und um die Jahrtausendwende war jedem mit Augen zu sehen klar, daß diese Generation die katholische Zukunft darstellte, daß die liberale Alternative auf die Probe gestellt worden und gescheitert war, und daß die Kirche des 21. Jahrhunderts eine erfolgreiche Synthese verkörpern würde – konservativ, aber modern, verwurzelt in der Tradition, aber nicht traditionalistisch, eine Synthese des konziliaren und des vorkonziliaren Katholizismus, der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche und der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils.”

Dies, so Douthat, sei das zentrale Narrativ (‚master narrative‘) des traditionellen Katholizismus gewesen, als er in den späten 90ern konvertierte, und er fuhr fort:

“Und als Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. die Nachfolge von Johannes Paul II. antrat, schien der Katholizismus aus dem „Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils“ so gut wie besiegt zu sein, der Triumph des traditionellen Katholizismus mehr oder weniger ratifiziert, und die Geschichte, die ich gerade erzählt habe, schien in ihrer Wahrheit als bestätigt.”

Eine Geschichte, die bekannt klingt, die wir alle in ihren Elementen kennen – und die mir, als ich sie nach fast 5 Jahren, in denen ich den Text schon kannte, dann endlich mal las 😐 dennoch so eben nicht vertraut war!, jedenfalls nicht so explizit und nicht so konsistent. 

Warum? Ich vermute, weil mein Weg in die Intensivierung meiner Beschäftigung mit katholischen Themen später begann, als solcher weniger bewußt/rational einsetzte, als bei dem Konvertiten Douthat und dann in dem Kampf, in den wir in Weimar gezwungen wurden, auch anders verlief.
Und, weil es in Deutschland niemanden gab, den ich kennengelernt hätte, der dieses ‘master narrative’ so auf den Begriff gebracht hätte…. 

Heute aber, so Ross Douthat schon vor fast fünf Jahren, ist diese optimistische Geschichte eine ‘Erzählung in der Krise’.

Damit, wie Douthat die Gründe dafür schildert, beschäftigt sich der nächste Beitrag dieser kleinen Reihe.

Gereon Lamers 

4 Kommentare

  1. Ester schrieb:

    Bin gespannt auf die Fortsetzung, aber ich kannte dieses Narrativ schon, nur hielt ich es schon immer für nicht zutreffend!
    Ich fand immer, daß die Gruppen die sich für den wahren, neuen Frühling der Kirche verwurzelt in der Tradition hielten, eher späten Rosen in geschütztem Winkel glichen.

    Sonntag, 31. Mai 2020 um 12:31 | Permalink
  2. O, ich bitte um Verzeihung, sehe den Kommentar gerade erst – man kommt nicht rum! 😉
    Das finde ich sehr interessant, denn, wie gesagt, mir war es jedenfalls nicht bewußt!
    War es denn irgendwo zu lesen?
    GL

    Donnerstag, 4. Juni 2020 um 22:12 | Permalink
  3. Ester schrieb:

    Der Rhein fließt in den Tiber, D. Hildebrand Der verwüstete Weinberg, De Mattei das 2. vatikanische Konzil, Bücher von Scott Hahn, und dann alles was die sich als konservativ, aber konzilstreu verstehenden Gruppen so geschrieben haben, man lese bei kath.net vor dem März 2013!

    Freitag, 5. Juni 2020 um 00:34 | Permalink
  4. Hm, ja, weiß schon, aber…
    Mehr in der Fortsetzung, aber vielen Dank auf jeden Fall!

    GL

    Samstag, 6. Juni 2020 um 21:28 | Permalink

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