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Willkommenskultur und Beheimatung (2/2)

Familienkreise in Weimar

Unlängst feierte der Familienkreis I unserer Pfarrei sein 60-jähriges Bestehen. Das ist toll und PuLa gratuliert den alten Herrschaften von Herzen. Der Jubel über das Jubiläum blieb mir allerdings im Halse stecken, als mir einfiel, daß es in Herz Jesu Weimar m.W. keinen Familienkreis gibt, der sein 5-, sein 10- oder sein 15-jähriges Bestehen feiern könnte. Am 6. November 2010, bei dem letzten echten Ehrenamtlertreffen, das mit einem Vortrag zu Gemeindeentwicklung und Willkommenskultur (hier war das berühmte Weckglas zu sehen, in dem der Gremien- und Klüngelclan eben gerade nicht sitzen soll) äußerlich tatsächlich wie eine Art Fortbildung aufgebaut war (leider wurden Austausch und Diskussion nach dem Vortrag unterbunden, was eine Selbstreflexion der Gemeindearbeit letztlich doch scheitern ließ), sprach ich unseren Gemeindereferenten auf die Bildung neuer Familienkreise an. Der Angesprochene, bei dem man ja immer schon mal den Eindruck hat, er wähle seine Worte so, daß das Gespräch möglichst schnell zu Ende ist, antwortete lächelnd, es stehe mir jederzeit frei, einen Familienkreis zu gründen. Hm. Wenn man irgendwo schon so weit angekommen ist, daß man weiß, mit wem man in einen Familienkreis gehen möchte, braucht man diesen Familienkreis zur Integration nicht mehr. Von daher hatte ich doch eher an die mir aus Erfurt bekannte Organisation solcher Kreise von seiten der Leitung der Gemeinde her gedacht. (Vor allem war in Herz Jesu Weimar lange so eine Frage, ob Eigeninitiativen aus der Pfarrei heraus auch wirklich als Gemeindeangelegenheit betrachtet würden: Hat man doch jahrelang sogar geschafft, die Cäcilini als meine Privatangelegenheit zu definieren, u.a. weil ich aus unlängst an dieser Stelle dargelegten Gründen begonnen hatte, selber für die Gruppe zu komponieren.)

In unserem Fall blieb es also beim regelmäßigen Besuch des Bibelkreises (bei dem ebenfalls das monatliche Treffen für einen inneren Zusammenhalt und das Gefühl von Zugehörigkeit sorgt) und bei der individuellen Initiative eines „Frauenfrühstücks“. Unser „Frauenfrühstück“ ist ein von Fall zu Fall erweiterbarer harter Kern von Müttern, deren Kinder gemeinsam den hiesigen katholischen Kindergarten besuchten. Wie im vergangenen Beitrag dargestellt, half dieser Freundinnenkreis ebenso, Kinder und Jugendliche zusammenzubringen, wie dies die Freundschaften aus Chor oder Instrumentalkreis tun (Stichwort Kantorennachwuchs). Andere Eltern engagieren sich im Rahmen der „Kinderkirche“, einem Angebot für Vor- und Grundschulkinder. Aber es bleibt eben bei vereinzelten Initiativen der besonders Engagierten. Zur zuverlässigen und vor allem umfänglichen Nachwuchsarbeit der Pfarrei reicht es in keinem Fall aus, sich auf das Prinzip zu verlassen, das hier seit Jahren vorherrscht: Man telefoniert die Kinder der Freundinnen und die Freundinnen der Kinder zusammen. Da bleibt es zu sehr dem Zufall überlassen, wem die Seelsorge zugute kommt und wer durch die Maschen rutscht. Verantwortbar ist das auf Dauer nicht.

Also: Was ist geschehen?

Um auf Nele Heyses Schauspieltruppe zurückzukommen: Das hat sich verändert. Es gibt nicht weniger Katholiken und nicht weniger Familien, die Interesse am Engagement in der Pfarrei hätten. Aber es gibt keine jungen oder mittelalten Familienkreise mehr und damit keine organisierte Zusammengehörigkeit einzelner Familien, keine planbare Zugehörigkeit ganzer Gruppen zur Pfarrei, kein Bemühen um die gemeindliche ‚Kundenbindung‘. Man verläßt sich seit 2003 und auch nach ca. Mai 2016 wieder auf eine bestehende Struktur, ohne sie zu verjüngen (wir werden an anderer Stelle noch genauer darauf zurückkommen). Man verläßt sich auf die Familienkreise und übersieht offenbar geflissentlich, daß die jüngsten noch in dieser Form organisierten Elternpaare Ende 50 sind.

Meines Erachtens scheitert die Jugendarbeit derzeit u.a. deshalb, weil die potentiell aktiven Jugendlichen in erklecklicher Zahl aus den Familien der Zugezogenen stammen, denen man zur Beheimatung – um es vorsichtig auszudrücken – nicht die Brücken gebaut hat, die etwa ein legendärer Pfarrer Hentrich zu schlagen wußte. Zwischen Hentrichs Berufung Neuzugezogener in den Pfarrgemeinderat – nicht obwohl, sondern gerade weil sie neu zugezogen waren – und dem Jubel über den wieder „Wessi-freien Kirchenvorstand“ aus dem Jahr 2014 liegen Welten.

Vielleicht wäre es wert, die Neugründung von Familienkreisen zu erwägen, um die Zukunft der Pfarrei wieder auf etwas sicherere Füße zu stellen? Jedenfalls sollte keine Gelegenheit versäumt werden, Eltern und Ehrenamtliche untereinander bekannt zu machen und zu vernetzen (Stichwort: „Threema“…?) – sei es durch die Wiedereinführung der „Tischmüttergruppen“ im Firmunterricht, sei es durch andere, generationenübergreifende kontinuierliche Formen. Wenn wir nicht heute beginnen, uns mit Jugendlichen und Eltern in größeren Runden zu treffen, zu diskutieren, zu träumen, Ideen auszutauschen, konkret zu planen und zu realisieren, werden die Verantwortlichen zur anvisierten „Jugendsynode“ im kommenden Jahr in leeren Räumen sitzen.

Cornelie Becker-Lamers

PS: Ist es mit den Familienkreisen wie mit dem Impfschutz? Wenn 95% aller Familien mit Kindern in Familienkreisen organisiert sind, können diejenigen, deren Eltern keinem Kreis angehören, in den Gruppen mitschwimmen, die von den Jugendlichen aus den Kreisen getragen werden. Wenn niemand mehr organisiert ist – treffen sich die Jugendlichen auf dem „Wieland“. Diesen Zustand haben wir gerade.

 

2 Trackbacks/Pingbacks

  1. Pulchra ut Luna › Der BDKJotnik 1/2 on Samstag, 30. November 2019 um 10:36

    […] erst wenige Tage vor Startschuß von der Aktion erfahren. Wie ebenfalls unlängst an dieser Stelle skizziert, überläßt man unser Gemeindeleben seit Jahren dem Prinzip: Einer telefoniert die Kinder der […]

  2. Pulchra ut Luna › „also: Weimarer“ – Teil II on Samstag, 7. November 2020 um 21:42

    […] Hat er ja auch wirklich nicht. Aber ist das nicht seltsam? Warum mußte ich die Schilderung und vor allem die Begeisterung eines Ortsgeistlichen über ein reiches ehrenamtliches Engagement in seiner Pfarrei hinzuerfinden? Ist denn nicht ein Hinweis auf genau dieses Engagement hochgebildeter und gut situierter Pensionäre, die sich für eine Wahlheimat Weimar entscheiden und hier im Alter noch einmal Fuß fassen wollen; ist nicht ein Hinweis auf genau dieses Engagement der kulturell interessierten Zugezogenen, die hier Familie gründen oder ihre Kinder großziehen – ist nicht ein solcher Hinweis exakt die Antwort auf eine Frage nach der Entwicklung der Weimarer Pfarrei – und wohl tatsächlich besonders der Weimarer Pfarrei – nach der Wende? Sie sagen es: Na klar ist er das. Um selber heimisch zu werden und vor allem ihren Kindern eine Heimat zu schaffen, war (woher das Präteritum kommt, erklären wir in den folgenden Beiträgen genauer) die Bereitschaft vieler Zugezogener zur aktiven Mitwirkung am Gemeindeleben eine Zeitlang sehr hoch. Und gerade am Gemeindeleben: Denn anders als in Sport- und Musikvereinen wird hier nicht nach Alter oder Geschlecht sortiert, sondern die ganze Familie, jeder Mensch kann „von der Wiege bis zur Bahre“ hier dazugehören. PuLa hat das schon einmal reflektiert. […]

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