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„also: Weimarer“ – Teil II

Jetzt wirklich Gedanken über das Zitat zum Tage (zum 3. Oktober 2020)

Liebe Leser – ich weiß, ich habe Sie lange warten lassen, bis ich nun, nach gut vier Wochen, endlich das Rätsel um den letzten PuLa-Beitrag vom 3. Oktober 2020, dem 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, auflöse. Ich habe seither einfach nochmal sehr viel über die nun folgenden Texte nachgedacht und sie immer wieder überarbeitet.

Sie werden es inzwischen selber bemerkt oder im Interview nachgehört haben: Am 3. Oktober habe ich – sagen wir: Ihre Ortskenntnis ein wenig herausgefordert 😉 ; mit einem angeblichen Interviewbeitrag unseres Pfarrers nämlich. Wobei ich das genauer formulieren muß: Weder das Interview noch die zitierte Frage der Redakteurin, wie sich „die kirchliche Situation verändert“ habe „in den letzten Jahrzehnten, seit es die DDR nicht mehr gibt“, sind erfunden. Auch die von mir geschilderten Inhalte nicht. Alle Personen und ihr Engagement, von dem ich im letzten PuLa-Beitrag geschrieben habe, kenne ich persönlich und kann alles bezeugen. Aber Pfarrer Gothe hat kein Wort darüber verloren. Und wie ich aus einer Email weiß, haben nicht alle Leser des Textes vom 3. Oktober sofort geschmunzelt und gedacht: ‚Das hat er doch nie im Leben gesagt.‘

Hat er ja auch wirklich nicht. Aber ist das nicht seltsam? Warum mußte ich die Schilderung und vor allem die Begeisterung eines Ortsgeistlichen über ein reiches ehrenamtliches Engagement in seiner Pfarrei hinzuerfinden? Ist denn nicht ein Hinweis auf genau dieses Engagement hochgebildeter und gut situierter Pensionäre, die sich für eine Wahlheimat Weimar entscheiden und hier im Alter noch einmal Fuß fassen wollen; ist nicht ein Hinweis auf genau dieses Engagement der kulturell interessierten Zugezogenen, die hier Familie gründen oder ihre Kinder großziehen – ist nicht ein solcher Hinweis exakt die Antwort auf eine Frage nach der Entwicklung der Weimarer Pfarrei – und wohl tatsächlich besonders der Weimarer Pfarrei – nach der Wende? Sie sagen es: Na klar ist er das. Um selber heimisch zu werden und vor allem ihren Kindern eine Heimat zu schaffen, war (woher das Präteritum kommt, erklären wir in den folgenden Beiträgen genauer) die Bereitschaft vieler Zugezogener zur aktiven Mitwirkung am Gemeindeleben eine Zeitlang sehr hoch. Und gerade am Gemeindeleben: Denn anders als in Sport- und Musikvereinen wird hier nicht nach Alter oder Geschlecht sortiert, sondern die ganze Familie, jeder Mensch kann „von der Wiege bis zur Bahre“ hier dazugehören. PuLa hat das schon einmal reflektiert.

Eine riesengroße Verantwortung, aber eben auch eine wunderschöne Aufgabe, die auf den Kirchgemeinden überall auf der Welt ruht: Heimat für Fremde zu werden, Beheimatung von Zugezogenen zu ermöglichen (und welche Pfarreien könnten das besser ermessen als die katholischen Pfarreien Mitteldeutschlands, die vor zwei-drei Generationen durch den Zuzug so vieler Vertriebener erstarkten?). Gerade für die Weimarer katholische Gemeinde war die Integrations- und Leistungsbereitschaft der vielen nach der Wende aus intensiver katholisch geprägten Gegenden der alten Bundesrepublik Zugezogenen natürlich vor allem eine riesengroße Chance.

Aber wie ist es all diesen Menschen ergangen?

Das Frappierende an der Interviewpassage, dem Ausgangspunkt der vorliegenden PuLa-Reihe (ab etwa Minute 7:10), ist, daß unser Pfarrer auf die Frage nach der kirchlichen Situation „seit es die DDR nicht mehr gibt“ noch einmal ausführlich mit den Vertriebenen anfängt (über deren Rolle zur Gründung neuer katholischer Pfarreien im Kernland der Reformation nach dem Zweiten Weltkrieg er zuvor bereits minutenlang geredet hat) und schließlich zusammenfaßt: „Wir haben hier eine Gemeinde, in der ganz stark diese Vertriebenengeneration auch da ist und ihre Kinder – also: Weimarer, aber auch eben viele Zugezogene, die sich hier mit einbringen und die das hier ganz ganz bunt und vielfältig machen.“ (Minute 8:25-42).

„Weimarer“ hier – „bunt“ da: Ich finde, besser kann man ein Ausstehen des Zusammenwachsens und mangelnde Integration kaum formulieren. Und weil das so intuitiv herauskommt – hier war kein strategischer Sprecher am Werk – und doch die Sache so perfekt auf den Punkt bringt, deshalb möchte ich eben diese Passage im Kontext des 3. Oktober 2020 diskutieren.

Die Tatsache, daß Herz Jesu Weimar noch strikt nach der von Frau Prof. Dr. Widl schon vor knapp zehn Jahren kritisierten „Dorflogik“ funktioniert, wird hier sehr anschaulich: „Die bislang weit verbreitete Gemeindestruktur im Sinne der Dorflogik ist hingegen die des Clans, in der wichtige Leute über unwichtigen Leuten stehen und vorgeben, wo es lang geht. Die Qualität und Anziehungskraft einer christlichen Gemeinschaft hängt heute hingegen wesentlich von den Mitgliedern selbst ab.“ (Maria Widl im Interview mit Eckhard Pohl, Tag des Herrn Nr. 7 vom 13. Februar 2011)

Kommunikation und Integration

Aber wie geht sowas denn auch eigentlich – Integration? Ich bin mit dem vorübergehenden Abklingen von Coronaverboten zu einem Weimarer Verein hinzugestoßen, in dem das verblüffend unkompliziert gelebt wird, die Integration neuer Mitglieder. Es gibt einen E-Mailverteiler, über den die organisatorischen Ansagen laufen, die Links, Corona-Belehrungen und Anhänge. Dort rutscht man mit Anmeldung automatisch hinein. Des weiteren gibt es eine WhatsApp-Gruppe, in der neben offiziellen Hinweisen auch persönlichere Anliegen gepostet werden können. Wenn man möchte, wird man auch hier hinzugenommen und mit jeder Menge niedlicher Willkommensemojis aller möglichen anderen Vereinsmitglieder empfangen. Und es gibt einen Chat, bei dem allein der ausbleibende Widerspruch reicht, um aufgenommen zu werden und wirklich persönlichen Anschluß zu finden. Hier werden gemeinsame Unternehmungen geplant; es regnet Fotos, Memes, persönliche Erinnerungen und Kommentare. Und dann beginnt sogar ein Telefonmuffel wie ich privat jemanden anzurufen. Der Leiter der Gruppe hat mit der Organisation dieser Kommunikation und Integration übrigens keinerlei Arbeit, er nutzt die Verteiler einfach mit für seine Ansagen und Hinweise. Es organisiert sich wie beschrieben selber, nachdem ein Vorstandsmitglied die entsprechenden Adressen der Neuzugänge in die jeweiligen Verteiler eingegeben hat. Wie schon einmal beschrieben, handhaben es die Cäcilini seit der „Rut“-Aufführung 2015 ganz genauso. 

Kommunikation und Integration in Herz Jesu Weimar

Wie Sie wissen, hat man von solcherart Vernetzung und Ermöglichung von Austausch und Kommunikation auch schon in unserem bischöflichen Ordinariat gehört und sich nach reiflicher Abwägung entschlossen, den datenschutzkonformen Messengerdienst Threema für alle Ehrenamtlichen des Bistums Erfurt kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Wie Sie sich weiterhin erinnern werden (PuLa berichtete), wurden den Ehrenamtlichen in Herz Jesu Weimar diese neuen Möglichkeiten von den Hauptamtlichen verschwiegen und noch auf Nachfrage nicht nur nicht weitergereicht, sondern diese Vernetzung ganz offiziell abgelehnt und damit unterbunden. Und da offensichtlich auch niemand aus dem Kirchortrat Interesse hat, an dieser Stelle effektiv nachzuhaken und uns unser Recht notfalls zu erstreiten, läuft diese sinnvolle und lobenswerte Initiative der Bistumsleitung in unserer Pfarrei ins Leere. Auch sie kann daher dem Mißstand keine Abhilfe schaffen, daß es in Herz Jesu Weimar etliche kleine und durchaus aktive Freundeskreise gibt, die aber alle sehr geschlossen sind und nichts von den Wünschen, Ideen und Initiativen der anderen wissen (können). Hier Synergien zu nutzen, ist schlichtweg unmöglich. 2018 wurde als letzte Gelegenheit, von den andern zu hören, auch noch die jährliche Gesprächsrunde der ehrenamtlichen LeiterInnen von Gruppen und Kreisen eingestellt.

Dabei bräuchten wir im Gemeindeleben von Herz Jesu Weimar eine organisierte Vernetzung so dringend wie das tägliche Brot. Denn im Sinne von 1Kor 12 – im Sinne des einen Leibes und der vielen Glieder, im Sinne verschiedener Charismen – muß die Integration der Zugezogenen gerade aus den alten Bundesländern m.E. und zu meinem wirklich wahnsinnig großen Bedauern wohl tatsächlich als gescheitert betrachtet werden.

Das nehmen wir jetzt mal symbolisch. Vertriebene und „also: Weimarer“: Unsere Kirche öffnet sich nach Osten. Herz Jesu Weimar in der Morgensonne (Bild: wikimedia commons; User: H. Helmlechner hat es um 10.23 Uhr im August 2020 aufgenommen)

 

Fortsetzung folgt morgen

 

Cornelie Becker-Lamers

 

2 Trackbacks/Pingbacks

  1. Pulchra ut Luna › „also: Weimarer“ – Teil V on Mittwoch, 11. November 2020 um 20:54

    […] ausgerechnet für diese Nicht-Gruppe der aus den alten Bundesländern Zugezogenen hat man die Idee organisierter Familienkreise in Herz Jesu Weimar aus der Mode kommen lassen. Schon 2014, noch in der Phase der zweijährlichen […]

  2. […] Mannes mit nach München nahm. Vielleicht betrachten wir diese wieder einmal so Weimar-typische Geschichte im Mai herum noch einmal genauer. Heute soll es um etwas anderes […]

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