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Der Adventskalender mit der Droste, Tag 8 

Am zweiten Sonntage im Advent

Evangelium: Vom Zeichen an der Sonne [Lk 25, 25; 33]

»Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in einer Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit. – Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.«

 

Wo bleibst du, Wolke, die den Menschensohn
Soll tragen?
Seh ich das Morgenrot im Osten schon
Nicht leise ragen?
Die Dunkel steigen, die Zeit rollt matt und gleich.
Ich seh es flimmern, aber bleich ach, bleich!

Mein eignes Sinnen ist es was da quillt
Entzündet,
Wie aus dem Teiche grün und schlammerfüllt
Sich wohl entbindet
Ein Flämmchen und vom Schilfgestöhn umwankt
Unsicher in dem grauen Dunste schwankt.

So muß die allerkühnste Phantasie
Ermatten;
So in der Mondesscheibe sah ich nie
Des Berges Schatten
Gewiß, ob ein Koloß die Formen zog,
Ob eine Träne mich im Auge trog.

So ragt und wälzt sich in der Zukunft Reich
Ein Schemen.
Mein Sinnen sonder Kraft, Gedanke bleich –
Wer will mir nehmen
Das Hoffen, was ich in des Herzens Schrein
Gehegt als meiner Armut Edelstein?

Gib dich gefangen, törichter Verstand!
Steig nieder
Und zünde an des Glaubens reinem Brand
Dein Döchtlein wieder!
Die arme Lampe, deren matter Hauch
Verdumpft, erstickt in eignen Qualmes Rauch.

Du seltsam rätselhaft Geschöpf aus Ton
Mit Kräften,
Die leben, wühlen, zischen wie zum Hohn
In allen Säften,
O bade deinen wüsten Fiebertraum
Im einz’gen Quell, der ohne Schlamm und Schaum!

Wehr ab, stoß fort, was gleich dem frechen Feind
Dir sendet
Die Macht, so wetterleuchtet und verneint;
Und starr gewendet
Wie zum Polarstern halt das eine fest,
Sein Wort, sein heilig Wort – und Schach dem Rest!

Dann wirst du auf der Wolke deinen Herrn
Erkennen,
Dann sind Jahrtausende nicht kalt und fern,
Und zitternd nennen
Darfst du der Worte Wort, des Lebens Mark,
Wenn dem Geheimnis deine Seele stark.

Und heute schon, es steht in Gottes Hand,
Erschauen
Magst du den Heiland in der Seele Brand,
Glühndem Vertrauen.
Zerfallen mögen Erd und Himmels Höhn,
Doch seine Worte werden nicht vergehn.

Annette von Droste-Hülshoff

 

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