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Der Adventskalender mit der Droste, Tag 6

Heute mit Video, siehe unten!

Am dritten Sonntage nach Ostern

»Über ein kleines werdet ihr mich sehen.« [Joh. 16, 16]

Ich seh dich nicht!
Wo bist du denn, o Hort, o Lebenshauch?
Kannst du nicht wehen, daß mein Ohr es hört?
Was nebelst, was verflatterst du wie Rauch,
Wenn sich das Aug‘ nach deinen Zeichen kehrt?
Mein Wüstenlicht,
Mein Aaronsstab, der lieblich könnte grünen,
Du tust es nicht;
So muß ich eigne Schuld und Torheit sühnen!

Heiß ist der Tag;
Die Sonne prallt von meiner Zelle Wand,
Ein traulich Vöglein flattert ein und aus;
Sein glänzend Auge fragt mich unverwandt:
Schaut nicht der Herr zu diesen Fenstern aus?
Was fragst du nach?
Die Stirne muß ich senken und erröten.
O bittre Schmach!
Mein Wissen mußte meinen Glauben töten.

Die Wolke steigt,
Und langsam über den azurnen Bau
Hat eine Schwefelhülle sich gelegt.
Die Lüfte wehn so seufzervoll und lau
Und Angstgestöhn sich in den Zweigen regt;
Die Herde keucht.
Was fühlt das stumpfe Tier, ist’s deine Schwüle?
Ich steh gebeugt;
Mein Herr berühre mich, daß ich dich fühle!

Ein Donnerschlag!
Entsetzen hat den kranken Wald gepackt.
Ich sehe, wie im Nest mein Vogel duckt,
Wie Ast an Ast sich ächzend reibt und knackt,
Wie Blitz an Blitz durch Schwefelgassen zuckt;
Ich schau ihm nach.
Ist’s deine Leuchte nicht, gewaltig Wesen?
Warum denn, ach!
Warum nur fällt mir ein was ich gelesen?

Das Dunkel weicht;
Und wie ein leises Weinen fällt herab
Der Wolkentau; Geflüster fern und nah.
Die Sonne senkt den goldnen Gnadenstab,
Und plötzlich steht der Friedensbogen da.
Wie? wird denn feucht
Mein Auge, ist nicht Dunstgebild der Regen?
Mir wird so leicht!
Wie? kann denn Halmes Reibung mich bewegen?

Auf Bergeshöhn
Stand ein Prophet und suchte dich wie ich:
Da brach ein Sturm der Riesenfichte Ast,
Da fraß ein Feuer durch die Wipfel sich;
Doch unerschüttert stand der Wüste Gast.
Da kam ein Wehn
Wie Gnadenhauch und zitternd überwunden
Sank der Prophet,
Und weinte laut und hatte dich gefunden.

Hat denn dein Hauch
Verkündet mir, was sich im Sturme barg,
Was nicht im Blitze sich enträtselt hat?
So will ich harren auch, schon wächst mein Sarg,
Der Regen fällt auf meine Schlummerstatt.
Dann wird wie Rauch
Entschwinden eitler Weisheit Nebelschemen,
Dann schau ich auch,
»Und meine Freude wird mir niemand nehmen.«


Annette von Droste-Hülshoff

Der große mitteldeutsche 😉 Komponist Händel hat mit dem folgenden Duett aus dem Oratorium L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato (Premiere im Februar 1740) nicht nur Musik geschaffen, so schön, daß sie vielleicht erreicht, aber m.E. nicht übertroffen werden konnte, nein, er hat, recht betrachtet, auch echt adventliche Musik geschrieben! Hören Sie nur:

 

Der Text:

As steals the morn upon the night,
And melts the shades away:
So Truth does Fancy’s charm dissolve,
And rising Reason puts to flight
The fumes that did the mind involve,
Restoring intellectual day.

basierend auf William Shakespeares „Tempest“ (Akt 5, Szene 1) aufgegriffen von John Milton und dann verarbeitet von Händels Librettisten Charles Jennens wird gerne als „aufklärerisch“ verstanden, immer nach dem Motto: Wo „Verstand“ (Reason) draufsteht, da kann „natürlich“ nur Weltliches gemeint sein, die „Wissenschaft“.

Und in der Tat, das ist eine der größten und unseligsten Propagandaleistungen der „Aufklärer“ und ihrer Nachbeter bis heute, die es geschafft haben, daß die so verstandene „Wahrheit“ (Truth) in einen Gegensatz gerückt wird zum (trügerischen) „Zauber“ (charm) bloßer „Neigung“ (fancy), der seinerseits identifiziert wird mit der als Aberglauben verunglimpften Religion.
Seufz! 🙁
Aber das ist natürlich alles Unsinn. Zunächst ist schon rein historisch darauf hinzuweisen, daß wir es hier nicht mit dem zu tun haben, was gemeinhin mit „Aufklärung“ assoziiert wird, nämlich deren vorwiegend französisch dominierte Spätphase, 30, 40 Jahre später, mit ihrer ausgeprägt antichristlichen Tendenz. Haltungen, die den Freunden Händel und Jennens, der einer besonders strengen Richtung des Anglikanismus anhing, völlig fremd waren.
Weiterhin ist ja inzwischen nun wirklich jedermann klar und über-deutlich geworden, daß der Versuch auf der Basis der „Aufklärung“ eine in sich schlüssige und tragfähige Begründung allgemein verbindlichen moralischen Wertens und Verhaltens zu finden, die in der Lage wäre, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten, als gescheitert gelten muß. Seit langem. Was letztlich genau daran liegt, daß diese Versuche an der epistemologischen Frage, was denn „Wahrheit“ wirklich sei, scheitern müssen.

Dieses Ungenügen an dem vermeintlichen (Bücher-) Wissen, das die Wahrheit nicht erschöpfend umfaßt, hat die Droste auch bereits schmerzlich empfunden:

Die Stirne muß ich senken und erröten.
O bittre Schmach!
Mein Wissen mußte meinen Glauben töten.

Und:

Ist’s deine Leuchte nicht, gewaltig Wesen?
Warum denn, ach!
Warum nur fällt mir ein was ich gelesen?
(Hervorhebung von mir)

Nun, sie wußte es letztlich dank göttlicher Gnade, wie auch dieses Gedicht zeigt, besser und wir wissen es auch: Die Wahrheit, das ist eine Person und Er hat es uns selbst gesagt: „Ich bin die Wahrheit“. Und er ist der Logos und so muß man folglich diesen Text lesen:

So heißt der HErr unseliger Neigung Zauber sich zu heben,
Und der aufgehende Logos macht fliehen
Die Dünste, die den Geist verstrickten

Oder mit den Worten Annettes:

Dann wird wie Rauch
Entschwinden eitler Weisheit Nebelschemen

Und im Advent hoffen und warten wir genau darauf, auf den „Aufgang“, Seinen Aufgang , den des Logos, den „Ortus“ der Sonne der Gerechtigkeit (Mal 4,2), Christus, den HErrn.

Und deshalb haben Händel&Jennens mit diesem Stück adventliche Musik par excellence geschaffen, die mir bei eben diesem Gedicht einfallen mußte! 🙂

Gereon Lamers

 

 

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