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Der Tennisschläger im Herrgottswinkel

Zur religiösen Symbolik in Buñuels „Andalusischem Hund“

Am kommenden Dienstag, 30. April ist in der Weimarhalle ab 19.30 Uhr der surrealistische Stummfilm „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí zu sehen. Als Filmmusik erklingen wie bei der Uraufführung abwechselnd Tangos und der „Liebestod“ aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Nur daß diese Musik nicht wie 1929 von einem hinter der Bühne plazierten Grammophon kommt, sondern vom Orchester der Musikhochschule Franz Liszt Weimar unter der Leitung von Professor Nicolás Pasquet live gespielt wird. Da der Film nur sechszehn Minuten dauert (das reicht auch …), wird er zweimal gezeigt, beim zweiten Durchgang mit der 1983 eigens zum Film komponierten Musik von Mauricio Kagel.

Hm. Was hat diese Information auf einem Blog mit dem Untertitel „Katholisch in Weimar“ („OCC“) zu suchen? Buñuel und Dalí waren katholisch, klar. Aber sieht man das auch? Ich glaube schon. Daß in dem Film die Religionskritik einigermaßen offensichtlich ist, steht in den Kommentaren recht einhellig fest. Die über den Boden geschleiften Seminaristen und so. Die Kirche, die die Begierden des Mannes hemmt. Paßte den Surrealisten natürlich nicht.

Ein bißchen zu kurz kommt mir internetweit nicht nur der Verweis auf Franz Kafka, sondern auch Erwähnung und Deutung konkreter Symbole und Symbolhandlungen, die mir beim ersten Schauen heute (oder Wiederschauen, ich glaube, vor 25 Jahren habe ich den Film schon einmal in einem Museum laufen sehen) sofort ins Auge fielen. Um nicht zu sagen: Ich vermisse diese Hinweise im Netz vollständig. Professor Lorenz Engell (Bauhaus-Universität) wird sie und vieles mehr bei seiner Einführung am Dienstag ab 18.45 Uhr vermutlich erwähnen. Aber man kann ja schon mal ein bißchen neugierig machen. Mein kleiner Teaser beansprucht dabei überhaupt keine Vollständigkeit sondern soll nur beginnen zu ergänzen, was im Netz meiner Recherche nach bisher fehlt.

Schauen wir zunächst den Film. YouTube hat ihn mit den Originalmusiken. Das übliche „enjoy“ kann man diesmal aber beim besten Willen nicht schreiben.

Grundlage zur Idee des Films waren zwei Träume der Drehbuchautoren: Buñuel soll von der Wolke geträumt haben, die den Mond durchschnitt, Dalí von den Ameisen in der Hand – die beiden Hauptschocker des Filmes. Diese Hand ist mehrmals zu sehen, zuerst ab Minute 5:10. Die Ameisen krabbeln aus einer kleinen runden Wunde im Handteller – eine ikonographisch sehr eindeutige Anspielung auf ein Stigma, die Christuswunde. Zugleich steht hinter dieser sprichwörtlich „kafkaesken“ Situation tatsächlich eine Erzählung Franz Kafkas: „Ein Landarzt“. 1917 entstanden, erschien der Text 1918 erstmals und war 1920 bereits namengebend für eine ganze Sammlung von Erzählungen des Autors. Zwölf Jahre älter als der Film – Buñuel und Dalí mit Sicherheit bekannt. Im „Landarzt“ ist es eine schwärende handtellergroße Wunde im Lendenbereich eines Heranwachsenden, aus der Würmer kriechen und die für die Unheilbarkeit des Leidens steht. Zeitgemäße psychoanalytische Deutungen (1917 formulierte Sigmund Freud auf der Grundlage seiner Entdeckung des Unbewußten den berühmten Satz, „das Ich [sei] nicht Herr im eigenen Hause“) sehen darin einen Hinweis auf die Triebgesteuertheit des Menschen (im Film konkret der männlichen Hauptfigur) – altmodisch gesprochen also auf die Todsünde der Luxuria: Unheilbar und (so m.E. die Aussage des Films) schrecklich wie das Leiden Christi.

Der Film aber kehrt, so entnimmt man den Kommentaren, die Bewertung der Leidenschaft um. Religion und Bildungsbürgertum (symbolisiert in zwei Seminaristen und zwei Konzertflügeln ab Minute 10:47) hemmen die Wollust – und das ist wiederum dem Leiden Christi vergleichbar: Unübersehbar die Symbolik des Kreuztragens in dieser Szene (gesamt ab Minute 10:25). Der Mann schultert die schwere Last und stürzt (zunächst als Slapstick inszeniert) mehrmals unter ihr. Bei Licht besehen aber drosselt allein die entschlossene Gegenwehr der Frau die Leidenschaft ihres Verfolgers und der Rückgriff auf Kultur und Religion erscheinen als Übersprungshandlungen, die seine Energie hilfreich ablenken.

Vorbereitet wurden in meiner Wahrnehmung all diese Deutungen durch einen Gegenstand an der Wand, der mehrmals unvollständig ins Bild kommt, bevor er ab Minute 9:52 zur Waffe wird. In Minute 4:50, bei einer Art Totenwache der weiblichen Hauptfigur, fiel er mir erstmals auf und ich hielt ihn für ein Kruzifix an der Wand des Schlafzimmers. Ein Kruzifix mit Dach. Erst in Minute 9:52, als die Frau vor der Vergewaltigung durch den aufdringlichen Mann flieht und den Gegenstand als Waffe von der Wand reißt, sah ich, was es statt dessen war. An der Wand, vom Bett aus gut sichtbar, hängt kein Kruzifix, sondern ein Tennisschläger mit damals noch notwendigem Spannrahmen.

Soweit zu diesem erweiterten Veranstaltungshinweis. Die Idee des Sports als Ersatzreligion führt uns nämlich zu einem sehr guten Text, der letzten Samstag, 27. April, als Wort zum Sonntag unseres Pfarrers in unserer Lokalzeitung erschien. Aber das ist eine andere Geschichte, auf die wir dieser Tage sicherlich noch zurückkommen werden.

Cornelie Becker-Lamers

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