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Gott (m/w/d)?

Oder „Wie spricht man einen Stern aus?“
Wie Pfarrer Gothe
den Gottesnamen rettete

 

Eigentlich habe ich momentan überhaupt keine Zeit, über anderes als meine ganz direkte Arbeit nachzudenken. Aber der diesjährige Weihnachtspfarrbrief rückt die gleichermaßen drängende Arbeit an einem Vortrag, einer Singspielkomposition und einem Förderantrag für Kinderchorprojekte denn doch für eine Stunde in den Hintergrund. Denn so sieht er aus:

Weihnachtspfarrbrief, Herz Jesu Weimar 2022

Ein Stich von Gustave Doré, auf dem Josef und der Jesusknabe sich voller Sorge nach möglichen Verfolgern umzuschauen scheinen, während Maria erkennbar sehnsuchtsvoll in eine sichere Zukunft im ägyptischen Exil blickt, macht den zweiten Schritt vor dem ersten. Zur Zeit warten wir ja noch auf die Ankunft dessen, der hier schon das erste Mal vor den Menschen fliehen muß. Überlagert hier eine Verbeugung vor den Themen der Tagespolitik einmal wieder die Verkündigung des Überzeitlichen? Das wäre ja leider nicht das erste Mal.

Aber „verstörender“, wie Pfarrer Gothe in seinem einleitenden Geistlichen Wort auf Seite 3 des Briefes zu Recht schreibt, ist – auf den zweiten Blick – der Schriftzug „G*tt“. Auf den zweiten Blick. Denn die erste Assoziation wird sicherlich bei vielen von uns der Nachahmung einer jüdischen Tradition gelten. Das Hebräische schreibt nur Konsonanten und erst masoretische Autoren des Mittelalters haben das Tetragramm vokalisiert.

Zudem beachtet das Judentum eine „vermeidende Schreibweise“ des göttlichen Namens, um Mißbrauch, Beschmutzung und Zerstörung dieses Namens unmöglich zu machen.

Das Lateinische allerdings schreibt Vokale. Und die Vermeidung des Gottesnamens (zumal man sich gerade in der jüdischen Theologie offenbar einig ist, den Begriff ‚Gott‘ nicht als Eigennamen vergleichbar JHWH, sondern als Gattungsbezeichnung anzusehen) ist meines Erachtens für uns Christen ebensowenig bindend vorgeschrieben wie das Schächten für koscheres Fleisch. Die Schreibweisen G’tt/ G“tt/ G-tt/ G!tt oder G+tt sind daher meines Erachtens irgendwo zwischen woker cultural appropiation und falsch verstandener Toleranz (Toleranz nämlich als Nachahmung, nicht Respektieren eines Andern) zu verorten. Weswegen ein jüdisches Publikationsorgan denn auch Rabbi Alfred J. Kolatch zitiert, der „diese Schreibung ‚für nichts weiter als eine vorübergehende Mode‘“ hält. 

Aber:

Die Katholische Studierende Jugend (KSJ) hat 2020 beschlossen, nicht mehr ‚Gott‘, sondern ‚Gott*‘ zu schreiben. Die Katholische Junge Gemeinde macht es ihr nach und verwendet ‚Gott+‘.“
(Pfr. Gothe im Pfarrbrief 2022, S. 3)

Tja. Das ist zugegebenermaßen beides noch schlimmer als das oben bereits Zitierte, wenn man davon absieht, daß ich bei der Schreibung „G!tt“ an das Wort „Igitt“ denken mußte. Mit Zeichen ist halt nicht zu spaßen …

Der Begriff Gott mit Gendersternchen … Das legt ihn erst noch einmal so richtig auf das männliche Geschlecht fest. Denn wenn Gott alles umfaßt, insbesondere eine väterliche und eine mütterliche Seite – was könnte aus unserer beschränkten menschlichen Sicht hinzuzufügen bleiben? Gott+ schließlich ruft eine womöglich noch unpassendere Assoziation ab. Der Begriff „Freundschaft plus“ („F+“) bezeichnet seit einigen Jahren ja die Konstruktion einer geplanten Unverbindlichkeit im sexuellen Umgang zweier Menschen. Und Gott mag ja alles mögliche sein – unverbindlich ist Er/Sie/Es nicht! Oder haben Sie je Sorge gehabt, daß eines Morgens irgendwo hinter den Kulissen die Idee aufkommen könnte, heute die Sonne mal nicht aufgehen zu lassen? In den Mythen der Azteken werden solche Ängste formuliert. Hierzulande sind sie eher unüblich. Und auch wenn Pfr. Gothe uns in seinem Geistlichen Wort zu Recht ermahnt, Gott (ich ergänze mal: obwohl Grundlage allen Lebens, ja überhaupt all dessen, was uns vorstellbar ist) vielleicht als selbstverständlich zu nehmen, nicht aber zu selbstverständlich von Ihm/Ihr zu reden, ist Seine Treue doch etwas, worauf wir uns unbedingt verlassen können.

Und so präferiert Pfr. Gothe denn auch die Schreibung „G*tt“:

G*TT gefällt mir noch besser, denn die provozierende Schriftzeichenfolge hat etwas Weihnachtliches.

Das nun, liebe PuLa-Leser, ist brillant! Das ist wirklich schlechterdings genial. Mit diesem – und ich formuliere das folgende voller Hochachtung und Sympathie – semantischen Taschenspielertrick knüpft unser Pfarrer, man kann es nicht anders sagen, an seine besseren Zeiten zu Beginn seiner hiesigen Amtszeit, konkret an den Herbst 2015 an. Gastierte am 20. November 2015 doch der Thüringer Landesjugendchor unter Nikolaus Müller in Herz Jesu Weimar und hatte sich den Nexus „Mensch und Gott“ zum Motto der Werkauswahl gesetzt. In einer Ansprache im Verlauf des Konzertes machte unser damals noch in jeder Hinsicht frische und erfrischende Pfarrer Gothe (noch kein Vierteljahr im Amt) aus der im Motto insinuierten Begegnung zweier Wesen schlicht eine kleine Predigt über die Doppelnatur Jesu: Mensch und Gott? (Nur) Christus ist MenschundGott! (Nebenbei: Zur ebenso verbindenden wie trennenden Funktion des „Wörtchens ‚und‘“ vgl. übrigens das sehr philosophische Liebesduett im zweiten Akt von Tristan und Isolde 😉 . Klammer zu.). Das war genial. Wir waren im Wortsinne begeistert.

Ein ebenso brillanter Schachzug gelingt Pfr. Gothe nun im diesjährigen Pfarrbrief wieder. In schlichter und scheinbar völlig naiver Übergehung sämtlicher intendierten zeitgebundenen Assoziationen gibt er in der Lesart des Gendersternchens als Stern von Betlehem dem Namen Gottes alle Reinheit und Unschuld wieder, die modische Schreibexperimente ihm nehmen (wollen). Und es kommt noch besser. Sogar die vieldiskutierte Genderpause – das Moderatoren derzeit verordnete Stocken vor jedem „–innen“ – wird thematisiert und ebenfalls dem Anlaß entsprechend neu gedeutet:

Wie spricht man einen Stern aus? Die Zunge stolpert und stockt. Uns fehlen die Worte, angemessen von Gott, seinem Wesen und Wirken zu sprechen. Und das muß uns bewußt bleiben, um nicht zu selbstverständlich von dem zu reden, was nicht selbstverständlich ist: Gott.

Wie heißt es in einer „vermeidenden Sprechweise“ des Jüdischen so schön? Ha-Kadósch, ba-rúch hú! – Der Heilige, gepriesen sei er!

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Hm! Also, mir einfachem Menschen stellt sich ja bei allem Einverständnis mit diesen Beobachtungen doch die Frage: Was hat denn diese schlaue Dekonstruktion, dieses pfiffige Unterlaufen intendierter Pseudo-Bedeutsamkeit überhaupt erst erforderlich gemacht? Anders gesagt: Warum überhaupt diese überflüssige Zeichenspielerei auf dem Cover des Pfarrbriefs? Aber vermutlich muß die Frage ja eher lauten: Wer hat sie erforderlich gemacht? Und dann schließe ich mich dem ‘Chapeau, Herr Pfarrer’ natürlich nur umso lieber an. 😉 

Gereon Lamers 

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