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PuLa unterwegs: Böhmisch-katholisch oder Vibes in Weipert

Eine Messe im Alten Ritus im deutsch-tschechischen Grenzgebiet

Zu Laetare haben wir in diesem Jahr eine Freundin in Annaberg im Erzgebirge besucht. Sie bevorzugt die Feier der Heiligen Messe im traditionellen römischen Ritus und geht deshalb sonntags meist nicht in die Kirche ihrer Ortspfarrei.

Pfarrei Maria, Mutter der Kirche; die kleine katholische Kirche Heilig Kreuz in Annaberg/ Erzgebirge (Quelle) Links im Hintergrund ist der Turm der riesigen Hallenkirche St. Anna zu sehen, seit 1539 evangelisch-lutherisch

Denn obwohl die Netzpräsenz der Erzgebirgspfarrei den schönen und lustigen Namen „Erz-katholisch trägt, scheint es dort nicht unbedingt ursprünglich-katholisch zuzugehen. Unsere Freundin fährt also in der Regel in die Kirche mit dem Patrozinium Allerheiligen in Weipert, 15 km südlich über den nächsten Berg und über den Pöhlbach, der an dieser Stelle die Grenze nach Tschechien markiert. Zu Laetare fuhren wir gemeinsam.

Pfarrkirche Allerheiligen Weipert/ Vejprty (eigenes Bild)

Pfarrkirche Allerheiligen Weipert/ Vejprty (eigenes Bild)

Weipert (Vejprty) am Bärenstein ist ein 1945 leer gezogener und zu Sozialismuszeiten nur sparsam wiederbevölkerter Ort im Westböhmischen, dessen Einwohnerzahl heute den Stand von 1830, nämlich knapp 3000 Menschen, erreicht hat. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prosperierte das Städtchen und wuchs mit seinen 50 Fabriken auf eine Zahl zwischen zehn- und elfeinhalbtausend, zu 95% deutschen Einwohnern an – eine Zahl, die bis zum Kriegsbeginn 1939 konstant blieb. 1950 wohnten hier (durch Neuansiedlung tschechischer Familien?) knapp halb so viele Menschen, heute beträgt die Einwohnerzahl wie gesagt nicht einmal mehr ein Drittel – eben wie 1830 wieder knapp 3000 Leute.

Wir konnten den Ort selber nicht erkunden, weil wir die Zeit brauchten, um Annaberg kennen zu lernen. Aber der einstige Reichtum der Stadt und ihrer Einwohner ist auch dem Kirchenbau schon ablesbar. Mit Hilfe des Google Übersetzers kann man einer tschechischen Seite hierzu folgende Informationen entnehmen: 

Die Allerheiligenkirche in Weipert wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von Lutheranern in einer ehemaligen Bergbausiedlung erbaut. Bei dem ursprünglichen Gebäude handelte es sich um einen Fachwerkbau, der sich an der Stelle der heutigen Kirche befand. Aussehen und Größe sind unbekannt. Im Jahr 1745 wurde der alte Turm, vermutlich ebenfalls eine Fachwerkkonstruktion, abgerissen. In den Jahren 1746–48 wurde er durch einen gemauerten Turm ersetzt, der noch heute den unteren Teil des Turms der heutigen Kirche bildet.

Das Kirchenschiff wurde 1783-86 so gebaut, daß es der Achse der Haupt-(Süd-)Fassade des Turms folgt. Die jetzige Kirche ist ein einschiffiger Bau mit einem nach Norden ausgerichteten Presbyterium. Das minimal dekorierte Äußere verbirgt einen Raum mit Rokoko-Dekor und Innenausstattung, komplett mit einem Baptisterium aus dem Jahr 1700, das aus dem ursprünglichen Bau übertragen wurde. Die Kirche ist in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben, mit Ausnahme des Turms, der nach dem Brand von 1827 repariert und 1912 von ursprünglich 34,8 auf 53 Meter erhöht wurde.

Die Kirche bildete zusammen mit der Pfarrei im Süden, der Schule im Osten und dem Rathaus im Westen einen Platz, der im 19. Jahrhundert landschaftlich gestaltet wurde. Nach 1945 verfiel sie mit der ganzen Stadt, das Rathaus wurde durch ein Kulturhaus ersetzt. Nach 1990 wurde das Innere der Kirche restauriert und mit notwendigen Arbeiten an der Fassade begonnen.

Die Allerheiligenkirche Weipert also – ein katholisches Gotteshaus über lutherischen Grundmauern, während 15 km nördlich die 1539 erfolgte Inobhutnahme durch die Protestanten der riesigen Hallenkirche St. Anna in Annaberg ihren Hochaltar und die Kanzel erhalten hat. 😉

Blick ins Innere der Annenkirche mit Hochaltar, Kanzel, geschmückten Emporen und herrlichem Deckengewölbe, Annaberg im Erzgebirge (eigenes Bild)

Bei der Beschäftigung mit Reformation und Gegenreformation in Böhmen brummt einem schnell der Kopf. Und dabei ist von Jan Hus noch gar nicht die Rede. Fest steht wohl, daß man sich hier sehr früh vom katholischen Bekenntnis abkehrte. In der benachbarten Bergbausiedlung Conradsgrün, die man noch 1517 nach der Entdeckung ihres reichen Silbervorkommens in Anlehnung an den Namen der Stadt Annaberg in Sankt Joachimsthal umbenannt hatte – 1517 unterstellte man sich also noch gerne dem Patronat der Schutzheiligen der Bergleute und Spitzenklöpplerinnen – setzten die Grafen Schlick schon 1523 die Reformation durch, standen deshalb im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) auf der falschen Seite und verloren ihren Besitz an das Haus Habsburg. Die Habsburger bemühten sich ziemlich genau 200 Jahre lang, grob gesagt von 1575-1775, um die Rekatholisierung ihrer Länder, aber als konkreter Auslöser des 30jährigen Krieges 1618 markiert der sogenannte Zweite Prager Fenstersturz doch eindrücklich den Widerstand der protestantischen böhmischen Stände gegen ihren katholischen Landesherrn. Wie auch immer – die Demographietabelle zur Ortschaft Weipert weist zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine zu über 90% katholische sudetendeutsche Bevölkerung aus.

Dem Kirchenbau von Allerheiligen hat diese Bevölkerung sich eingeschrieben. 1898 stifteten die Eheleute Rosamunde und Wilhelm Kuhn sowie die Eheleute Theresia und Gustav Fükert dem barocken Bau je ein Fenster, rechterhand, also an der Ostseite des genordeten Kirchenbaus, eine Madonna, linkerhand, an der Westseite einen Christus Sieger.

 

 

Stifterfenster der Ehepaare Kuhn (Christus) und Fükert (Madonna) aus dem Jahr 1898 in Allerheiligen Weipert (eigene Bilder)

In diese Kirche also führte uns unsere Freundin am vergangenen Sonntag, zu Laetare 2022. Seine Predigt stellt Pfarrer Simon Polivka immer der Messe voran, damit im folgenden die Liturgie nicht gestört wird. Das gibt den Menschen, die nur die Predigt hören wollen, die Chance, danach den Gottesdienst zu verlassen. Und den Deutschen, die zu jeder Messe anreisen und kein tschechisch verstehen, gibt es die Chance, ein bißchen später zu kommen. Wir kamen später, aber rechtzeitig zum Asperges, und an der Kirchentür kam uns eine Dame entgegen.

Natürlich strotzte an diesem Sonntag der Altarraum von rosa Tuch. Kasel, Kelchvelum und sonstige Altarbedeckungen waren in zartem Lachs gehalten. Die Altersspanne der eingesetzten Meßdiener betrug schätzungsweise 60 Jahre. Mit Weihrauch wurde nicht gespart, so daß meine nach Ende der Messe aufgenommenen Bilder ein wenig nebelweiß erscheinen. Ein, wie wir gesprächsweise später erfuhren, regelmäßig aus Deutschland anreisender Organist begleitete die Gregorianik und den eingestreuten Gemeindegesang und lieferte auch ein schönes Nachspiel ab.

Die Lesung aus dem Beginn des Johannesevangeliums nach Abschluß der Messe; Pfarrkirche Allerheiligen Weipert, Laetare 2022 (eigenes Bild am 27. März 2022)

Nach der Messe begrüßte der Pfarrer vor der Kirche unsere Freundin und auch uns sehr freundlich in deutscher Sprache und erzählte, daß auch die anderen beiden Priester seiner Pfarrei die Messe im Alten Ritus feiern. Die Diözese, die in etwa so viele Katholiken zählt wie unsere, bricht darüber offenbar nicht zusammen. Auch die Gemeinde in Weipert macht es mit. Die geräumige Kirche war zwar nicht gerade voll – aber für die Gesamteinwohnerzahl von knapp 3.000 Menschen, für Nach-Coronazeiten, und eben auch für die speziellen tschechischen Verhältnisse war die Messe nicht schlecht besucht. Auch aus Deutschland kommen jeden Sonntag einige Familien über die Grenze zum Gottesdienst.

Wir möchten daher unseren Beitrag mit einer ausdrücklichen Reiseempfehlung ins tschechisch-deutsche Grenzgebiet Westböhmens abschließen. Es gibt viel zu entdecken!

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Das Stichwort „böhmisch-katholisch“ kenne ich von meiner Lausitzer Mutter, die damit gerne ihren oberschlesischen Vater zitierte. Es funktioniert als Wortspiel, hatte aber damals wohl durchaus einen abwertenden Zungenschlag. Der Titel meines Beitrags oben soll definitiv keinen pejorativen Beigeschmack aufrufen, sondern nur das Wortspiel.

C.B-L.

 

PPS: Was ich gerne ergänzen möchte: Diese Mitfeier der Hl. Messe im Grenzgebiet der Diözesen Pilsen und Leitmeritz (Weipert gehört zu letzterer), sie machte so manches deutlich und bot für mich einen durchaus faszinierenden Ausblick.
Aber vor allem: Es war einfach wunderschön! Schön, sich nicht fremd zu fühlen, obwohl man von den volkssprachlichen Teilen
nichts verstand, schön, sich mit den Menschen dort, die man noch nie gesehen hatte, zuverlässig einig zu wissen, schön, sich in einem Kirchenraum zu befinden, der so ganz unzerstört katholisch ist, schön, die liturgische Farbe des Tages angemessen gewürdigt zu sehen, schön zu sehen, wie zur Meßdienerschar auch ein nicht nur leicht gehandicapter junger Mann gehört (der das Läuten hervorragend gemeistert hat!), schön, als es wieder anging, zu bemerken, der Organist hatte während der Kanonstille sogar das Orgelgebläse ausgemacht…

Hier wurde deutlich, daß es eben nicht nur das Gerede von ein paar “Tradis“ ist, wenn es heißt, “die ‘Alte Messe’ verbindet”. Ja, sie verbindet Menschen unterschiedlicher Nationen, verschiedener Lebensalter, unterschiedlicher Gesundheit und ganz verschiedenen Herkommens (unsere Freundin, nebenbei, ist eine person of color). 

Mir ging, als Wolken von Weihrauch, sonnendurchstrahlt, nicht “irgendwo” hin verschwanden, sondern vor dem Gemälde hinter dem Hochaltar (eine Marienkrönung) hinaufzogen, und absolut zuverlässig das richtige gebetet wurde, das Herz auf: Ja, ich war zuhause – ein Empfinden, das Generationen um Generationen von Katholiken vor uns auch schon kannten und geschildert haben, egal, wohin es sie auf der Welt verschlagen haben mochte! Und in dieser Intensität kenne ich das Gefühl von der Teilnahme an volkssprachlichen Messen im Ausland eben leider nicht.
Wie segensreich, daß der Bischof von Leitmeritz,  Hww. Hr. Jan Baxant, diese Oase, diesen Nukleus der Katholizität, gedeihen läßt, Danke, Exzellenz!

‘Nukleus’, sage ich, denn ich glaube, wir haben dort einen Ausblick in die Zukunft der Kirche (zumindest hier in Europa) getan:
Kleiner, aber ernsthafter.
Ärmer, aber schöner.
Beschränkter, aber universaler.
Zerstreuter, aber ‘wärmer’.

Persönlich bin ich mehr und mehr davon überzeugt, und ‘Weipert’ hat mich erneut darin bestärkt, wir werden nur durch diese Phase hindurch dereinst (sicher nach dem Ende meines irdischen Lebens) auch wieder wachsen können. Und ich sage für mich: So sei es!

Gereon Lamers

2 Kommentare

  1. Michael schrieb:

    Sehr interessante Beschreibung aus dieser Kirche. Da ich die neue Liturgie nach dem II. Vatikanum ebenfalls ablehne, freue ich mich, dass es auch hier in der Umgebung noch solche Gotteshäuser gibt.

    Leider darf ich kein Sakrament empfangen da ich nicht getauft bin. Jedoch werde ich die Kirche trotzdem einmal besuchen, da mir die Fotos sehr gefallen.

    Danke für den interessanten Bericht.

    Donnerstag, 2. November 2023 um 13:24 | Permalink
  2. Sehr gerne und vielen Dank unsererseits.
    „Ablehnen“ ist allerdings für uns nicht so ganz der richtige Ausdruck. Gerade ich habe im novus ordo zur Kirche zurückgefunden, und werde das nie vergessen!
    Und was Sie betrifft: Glauben kann man nicht „machen“, klar. Aber Chancen kann man ihm geben – was Sie offenkundig tun. Wie schön! Und wenn es Ihnen in Weipert widerführe – ich würde mich nicht wundern!
    Ales Gute!

    G. Lamers

    Freitag, 3. November 2023 um 22:05 | Permalink

Ein Trackback/Pingback

  1. […] Von Düsseldorf aus führte Annas Weg sie zum höchst erfolgreichen Gesangsstudium (Mezzosopran war ihr Fach) nach Hannover und dann sehr früh schon in erste Engagements. Zuletzt war sie Ensemblemitglied am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg. Dort wurde sie zum Fan des Erzgebirges und wir haben von dort mit ihr zusammen spannende ‚Katholische Exkursionen‘ gestartet.  […]

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