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Die Einladung

Ein Sketch für fünf Schafe und zwei Lämmchen

Wundersdorf, Schafweide. Die Herde grast friedlich vor sich hin. Ein wenig Leben kommt in eine Gruppe um Wolle, Flocke, Grauchen und Blütenweiß, als Fixi und Huf angesprungen kommen.

Huf: Tante Flocke?!

Flocke (blickt liebevoll auf): Ja, mein Lämmchen?

Fixi: Wo ist Kohle?

Flocke (blickt sich suchend um): Oh! Ich kann es dir nicht sagen.

Huf: Vielleicht im Unterstand. (Er läuft los, die andern folgen ihm mit unterschiedlicher Eile. Als Huf die Tür zum Unterstand aufstößt, sieht er dort tatsächlich Kohle am Tablet arbeiten. Er scheint sich zu konzentrieren.)

Huf: Kohle!!!

Kohle: Hallo Huf! Laßt mich mal noch zehn Minütchen in Ruhe, ich muß mich konzentrieren. Das Schreiben hier muß raus.

Huf (neugierig): Was für ein Schreiben? (Er rückt ihm auf die Pelle. Mittlerweile sind auch Fixi und Flocke im Unterstand angekommen. Draußen werden Wolle, Grauchen und Blütenweiß sichtbar, die ebenfalls bereits die Nase durchs Fenster stecken.)

Kohle (angesichts der Schafmengen): Heerjeh! Ich wollte eigentlich in Ruhe ein Posting verfassen! Kann man denn auf dieser Weide nicht einmal

Flocke (unterbricht ihn): Nein …

Wolle (grinst): „I must have my share in the conversation …“

Fixi: Genau! Wir wollen beteiligt werden!

Grauchen (betritt den Unterstand): Worum geht’s denn?

Kohle (mit einem tiefen Stoßseufzer): Um eine Einladung zum Tag des Offenen Gatters.

Flocke (bricht in Begeisterungsstürme aus): Aber das ist ja großartig!

Huf (ebenso): Du lädst andere Schafe ein?

Fixi: Und andere Lämmchen?

Wolle (mit einer Spur Vorwurf): Aber das mußt du uns doch erzählen!

Grauchen: Wolle hat Recht! Das geht uns doch alle an.

Kohle (gibt sich geschlagen): Na schön, ihr Nervensägen – hört zu! Ich möchte den Tag des Offenen Gatters dazu nutzen, streunende Schafe und besonders die Lämmchen da draußen zu uns in die Herde einzuladen.

Huf: Wie: „In die Herde“?

Fixi: Richtig in die Herde? Nicht nur auf die Weide wie damals Xenia und Euterpe?

Kohle: Neinein, richtig in die Herde.

Huf: Aber was heißt „die Lämmchen da draußen“?

Kohle: Na, was glaubst du, wieviele Schafe und Lämmchen ohne Herde und ohne Hirten umherstreunen.

Fixi (reißt die Augen auf): Eeeeeecht?

Huf (ebenso): Das ist ja schrecklich!

Fixi: Wieso ohne Hirten?

Kohle: Weil nicht alle Hirten die verlorenen Schafe suchen gehen.

Huf (besorgt): Und wieso ohne Herde?

Kohle: Weil sie von Weiden sonstwo in Deutschland kommen und von ein-zwei Schafen mit auf Wanderschaft genommen werden.

Fixi: Ach Gott!

Huf: Mutterseelenalleine Lämmchen?

Kohle: Ja. Mutterseelenalleine Lämmchen. Und all diese Schafe wollen wir jetzt sammeln!

Flocke: Aber das kannst du doch nicht elektronisch machen – die muß man doch persönlich ansprechen!

Kohle: Ah ja? Und? Weißt du, wo du sie findest?

Flocke: … äääh … (sie errötet)

Kohle: Siehst du?! Online sind diese Lämmchen heute alle! So erreichen wir sie!

Wolle: Na, dann lies mal vor, was du verfaßt hast.

Grauchen: Eigentlich sollten Anrede und Unterschrift ja handschriftlich sein – wie sieht das denn aus, so alles gedruckt …

Kohle: Dann schreib mal handschriftlich im Internet. Viel Erfolg! Neinein, du hast zwar vollkommen Recht, aber da wir keine Briefpost losschicken können, muß es wohl so gehen.

Grauchen: Dann stell doch wenigstens eine andere Schrifttype ein – vielleicht eine, die wie Handschrift aussieht?! Und markier’s und klick’ auf dunkelblau – dann sieht es schon fast aus wie Kugelschreiber.

Flocke: Sehr gut! So machen wir das! Problem gelöst! Weiter!

Kohle: Hier – lest mal selbst. Es ist eigentlich nichts besonderes – ich stelle einfach unsere Herde ein bißchen vor und schreibe das Datum vom Tag des Offenen Gatters und daß sie kommen können, wenn sie möchten.

Grauchen (liest die Betreffzeile vor): „Keiner soll alleine grasen!“

Huf (lacht vor Entzücken laut auf): Das ist gut! Das ist großartig! „Keiner soll alleine grasen!“ Super!

Flocke: Stimmt! „Keiner soll alleine grasen!“ ist gut!

Kohle (mit Understatement): Najaaaa … ich dachte … so als Motto …

Wolle: Wirklich gut! Aber laßt uns auf den eigentlichen Inhalt schauen! (Sie brummelt im Lesen vor sich hin): „… die Möglichkeit, zum Tag des Offenen Gatters unsere Herde kennenzulernen … 1. Juni … Wenn ihr interessiert seid …“ (sie stutzt, in erhobenem Ton) „Wenn ihr interessiert seid“ ??? Was soll das denn heißen, „wenn ihr interessiert seid“???

Kohle: Na, daß wir uns nicht aufdrängen wollen … nur, wer interessiert ist, soll dazukommen dürfen …

Wolle (explodiert): Wir immer mit unserer Leisetreterei! „Wenn ihr interessiert seid“! Weißt du, wie die kommerziellen Weiden werben? Wo die Lämmchen für jede Gänseblume zahlen müssen und es tun, weil sie einfach nicht wissen, was sie sonst machen sollen? Die plakatieren überall: „Kommt sofort!“ – „Sichere dir deinen Platz!“ – „Versäum den Termin nicht!“ – „Mach dich am besten gleich auf den Weg!“ – „Die ersten zehn erwartet ein kostenloser Gänseblümchensalat!“ – Und dagegen willst du ankommen mit deinem „Wenn ihr interessiert seid“??? (Sie blitzt zornig in die Runde. Alle starren sie entgeistert an.)

Flocke (erschrocken): Aber Wolle, was hast du denn plötzlich?

Wolle (nun eher verzweifelt): Ach, ist doch so! Kohle hat gerade erzählt, was mit den Schafen da draußen los ist – und da wollen wir uns auf „Angebote“ und Putziputziheiteitei beschränken? Es darf doch gar nicht denkbar werden, daß unsere Herde nicht die einzig wahre ist!!! Das ist sie doch, oder? (Sie blickt angriffslustig in die Runde.)

Grauchen: Äh … ja, klar! (Alle nicken, manche betreten, manche eifrig.)

Wolle: So! Und wenn wir das nicht ausstrahlen, wenn wir das nicht formulieren – wer denn dann? Hm? Wollt ihr drauf warten, daß die Wölfe uns die Schafe schicken – hierher, wo sie wissen, sie kriegen sie nicht, weil unsere Franziskusstatue die Herde beschützt? Da könnt ihr lange warten!!! (Sie dampft vor Erregung.)

Kohle (sieht sie ernst an): Du hast Recht, Wolle, da hat mich die Floskelwolke eingenebelt! Wie gut, daß ihr gekommen seid und das Posting noch nicht raus war!

Flocke: Und wie gut, daß du auf uns gehört und uns einbezogen hast! (Sie lächelt ihm aufmunternd zu.) Das kriegen wir schon noch alles!

Huf (hat sich inzwischen am Tablet zu schaffen gemacht): Du-u, Kohle…

Kohle (sanft): Ja? Was denn?

Huf: Wo hast du das eigentlich her mit dem Tag des Offenen Gatters?

Kohle: Hab ich irgendwo gelesen.

Huf: Kann es sein, daß du dich verlesen hast? Ich finde hier am 1. Juni nur den Tag des Offenen Gartens …

Kohle (stürmt zum Tablet und schaut auf den Bildschirm. Plötzlich fängt er an zu lachen und alle anderen fallen erleichtert in das Gelächter ein. Dann, nach einer kleinen Weile): Ja – so ist das manchmal: Man liest, was man lesen möchte. Offen gestanden schwirrte mir diese Idee schon lange im Kopf herum …

Grauchen: Den Tag des Offenen Gatters gibt es noch nicht? Dann werden wir ihn hiermit erfinden!

Fixi: Genau! Fronleichnam ist schließlich auch irgendwann erfunden worden!

Huf (singt): „Zwölfhundertneun hat sie eine Vision“ …

Fixi: Das war damals die Heilige Juliane von Cornelienberg. (pathetisch) Und der Tag des Offenen Gatters wird auf alle Zeiten mit dem Namen Kohle von Wundersdorf verbunden sein!

Huf (ebenso): Genau! Noch in Jahrhunderten!

Flocke (versöhnlich): Na bitte! Ende gut, alles gut!

ENDE

Cornelie Becker-Lamers

 

Anmerkung der Redaktion: Kirchenfeste werden natürlich nicht er-funden, sondern allenfalls ge-funden, in Wahrheit aber ge-geben…
Aber wir wollen die lieben Schäfchen da auch nicht überfordern, so mitten im Gesprächsfluß, haben sie doch schon so viel schönes und richtiges gesagt! 🙂

Gereon Lamers

Heilige Juliana von Cornelienberg, bitte für uns!

Englebert Fisen, Hl. Juliana von Lüttich, 1690, St-Martin, Lüttich (Bild: Wikicommons)

 

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