Zurüruck zum Inhalt

Die Presseschau

Endlich Frühling! Nach Herzenslust grasen die Wundersdorfer Schäfchen im frischen Grün und lassen sich die jungen Löwenzahnblätter schmecken. Aber bekanntlich kann das sehr eiweißhaltige erste Grünfutter, im Übermaß genossen, bei Schafen zu Verdauungsproblemen führen. Deshalb sind die ersten Weidetage kurz und durch lange Abende mit Trockenfutter im Stall unterbrochen. Denn welches Schaf ist schon so vernünftig, bei den ersten dicken Gänseblümchen nicht richtig zuzulangen? Da ist es gut, daß die Mahlzeit durch aufregende Neuigkeiten unterbrochen wird …

Die Presseschau

Ein Sketch für drei Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

Wir treffen Flocke, Wolle, Kohle und Fixi beim Fressen auf dem Hügel neben der Tränke.

Flocke (zu Fixi): Stopf nicht so und kaue gut! Dir wird sonst schlecht! (Grast weiter.)

Wolle (nach einer Weile zu Fixi): Und iß nicht so viel frisches Grün! Es gibt heute abend noch Heu. (Grast weiter.)

Fixi (mit vollem Mund): Hmmmmm. If aber fo lecker!

Huf (kommt mit einem Rucksack auf dem Rücken auf die Weide gestürmt): Guckt mal! (Er kippt seinen Rucksack aus und holt eine Zeitung hervor.) Da! Das hab ich in der Bibliothek mitgehen lassen!

Kohle (entsetzt): Das kannst du doch so nicht formulieren! PuLa lesen doch auch Jugendliche! Komm noch mal rein!

Huf (packt die Zeitung wieder ein und setzt den Rucksack auf): Ok, hast recht! (Er verschwindet hinter dem Hügel.)

Huf (kommt mit einem Rucksack auf dem Rücken auf die Weide gestürmt): Guckt mal! (Er kippt seinen Rucksack aus und holt eine Zeitung hervor.) Da! Das hab ich in der Bibliothek kopiert! Seht doch mal! Da geht es um Neuzelle!

(Wolle, Flocke, Kohle und Fixi blicken auf und kreisen nach alter Sitte Huf neugierig ein.)

Fixi (schaut in die Zeitung): Ein Bild!

Kohle (liest die Schlagzeile): „Ein Ostergrab wird entgiftet“

Flocke (liest die Bildunterschrift): „Restauratoren mit einer Tafel des ‚Heiligen Grabes‘ in Neuzelle.“

Wolle (beginnt den Text zu überfliegen): Was ist das?

Huf (nicht ohne Stolz): Das Ostergrab in Neuzelle …

Fixi (unterbricht ihn begeistert): Da wollen wir doch hin!

Huf (sachlich): … von Joseph Felix Seyfried um 1750 geschaffen. (zu Fixi) Was glaubst du wohl, warum ich euch den Artikel mitgebracht habe, hm?

Wolle (liest): „… eine von 229 verbliebenen Tafeln.“

Fixi (zu Huf): Deine Güte und Weitsicht sind unübertroffen!

Flocke (zu Wolle): Wie viele waren es denn ursprünglich?

Wolle: 240.

Kohle (lacht): Vielleicht wird der Rest noch als Frühstücksbrettchen gebraucht – wie das Stück vom Genter Altar, als er nach dem Krieg aus dem Salzbergwerk in Altaussee rauskam?

Flocke: Frühstücksbrettchen? So wie’s aussieht, kannst du auf jeder dieser Tafeln ein ganzes Spanferkel servieren.

Huf: Von Spanferkeln steht hier nichts. Aber hier, das ist wichtig: Bevor sie die Bildtafeln wieder aufbauen können, müssen die Werke dekontaminiert werden.

Fixi: Ah! (Schaut auf das Bild) Und warum lassen sie das einen Imker machen?

Wolle: Das ist kein Imker, die Frau hat einen Ganzkörperschutzanzug an. Ist offenbar wirklich ernst!

Flocke (schüttelt sich, daß die Wollflocken des Winterfells fliegen): Brrrr!

Kohle: Da steht es: „Viele der Kunstwerke wurden in der Vergangenheit zur Konservierung mit der giftigen Chemikalie Hylotox versetzt. Die Restauratoren müssen beim Entgiften Schutzanzüge und Atemmasken tragen.“

Huf: Ich hab in der Bibliothek noch im Netz geguckt: Früher waren diese riesigen Wände in der Passionszeit im Altarraum aufgebaut. In etlichen Städten war so etwas üblich.

Wolle (träumerisch): Im Verlauf des Kirchenjahres ganze architektonische Einbauten! (wie aus dem Traum gerissen) Und heute? Sind zwei Altarflügel an die Wand genagelt!

Kohle (seufzt): Ach ja! Unsere angenagelten Flügel … Könnte es ein besseres Bild für das Leben in unserer armen Wundersdorfer Gemeinde geben?

Fixi (voller Tatendrang): Und wollen wir uns die Einbauten ansehen? Und ein Passionsspiel aufführen?

Kohle (trocken): Da weiß ich ja schon wieder, wer das Opferlamm spielt …

Huf: Die Bildtafeln waren keine Theaterkulisse, sondern wegen der Verinnerlichung und der Betrachtung und zum davor Beten.

Wolle (leise): Dann kommt Krutzi vielleicht gar nicht mit? Hihi!

Flocke: Wann soll die Restaurierung denn abgeschlossen sein?

Huf: 2014 glaube ich. Es gibt dann ein Museum.

Kohle: Na, bis dahin werden wir’s ja irgendwie geschafft kriegen, unsere Wallfahrt zu organisieren.

Fixi (leidend): Mir ist schleeeeeecht!

Flocke (heftig): Hab ich dir’s nicht gesagt? Das kommt von den vielen Gänseblümchen!

Fixi (weinerlich): Gaaar nich! Das ist vom Gedanken an die vergifteten Bilder!

Kohle: Kommt! Wir gehen in den Stall, du frißt noch was Heu und wir legen uns heute alle mal früh schlafen.

(Kohle, Flocke, Wolle und Fixi trotten Richtung Gatter.)

Huf (grummelt): … mit den Hühnern ins Bett …

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu, rund um Wundersdorf! Ob es wohl auch andernorts aus ihrem Kontext gerissene Altarflügel gibt, nach dem Bildersturm der „wunderbaren“ 60er-Jahre?

2 Trackbacks/Pingbacks

  1. […] Huf: Worauf wir die ganze Zeit gewartet haben! […]

  2. Pulchra ut Luna › Der Humpelkreis on Samstag, 20. Juni 2015 um 10:02

    […] Flocke, Fixi und Huf sich gerade eine Runde aufs Ohr legen, um die frischen Gänseblümchen zu verdauen, als sich an einer Ecke der Weide ein eigentümlicher Gesang […]

Einen Kommentar schreiben

Ihre Email wird NIE veröffentlicht oder weitergegeben. Benötigte Felder sind markiert *
*
*

*