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Ignoranz oder Infamie ?

…und warum im vorliegenden Fall das eine fast so schlimm ist, wie das andere.

PuLa ist bekanntlich ein ausnehmend mildes Medium, auch wenn das von einigen, die sich nach außen hin (und zwar nur nach außen hin!) gern als passionierte Wattebäuschchen-Werfer geben, bestritten wird. Daher fühle ich mich verpflichtet, vor dem folgenden Eintrag zu warnen: Es wäre möglich, daß sich, wie der Titel andeutet, im Verlauf des Textes vergleichsweise eindeutige Wertungen einstellen.

Wie für Leser, die PuLa schon lange verfolgen, nicht mehr überraschend, leisten wir uns den Luxus, mit der FAZ eine überregionale Tageszeitung zu halten, die den Anspruch des „Qualitätsmediums“ ja auch gemeinhin einlöst. Umso erschütternder der Kurz-Kommentar des in der Blogoezese ja schon bekannten (notorischen?) Daniel Deckers vom Dienstag (19. Juni)!

Der Beitrag auf der letzten Seite des ersten, des Politischen Teils, steht unter der Überschrift: „Gegen die Tradition“.

Und wer soll da gegen die Tradition handeln?

Papst Benedikt!

Weil „ […] das Lehramt der Kirche in Person von Papst Benedikt XVI. nur eines kennt, jedenfalls was den Zugang zu den Sakramenten angeht: Hinweg mit ihnen.“ Mit den wiederverheirateten Geschiedenen nämlich. Hingegen sei der Ungehorsam der Freiburger Geistlichen ein „Akt des Mutes und der Verzweiflung zugleich“. Dann folgt der unvermeidliche Hinweis auf die „Lebenswelt und -erfahrung einer immer größeren Zahl von Christen“, der diese Haltung nicht mehr gerecht werde und ebenso „originell“ wird der Vatikan durch die Verwendung des Wörtchens „Njet“, zum wievielten Male wohl?, in die Nähe der verblichenen Sowjetunion gerückt.

Nein, nicht einschlafen!, auch wenn es bis hierher ja einfach nur sterbenslangweilig war. Jetzt folgt erst der Clou, denn diese (vermeintliche) römische Position sei „ […] nicht einmal durch die Tradition und das Recht der Kirche gedeckt.“ Die Moraltheologie kenne das Prinzip der Epikie (Angemessenheit), das Recht das Prinzip der Aequitas (Billigkeit), und gerade bei den von Papst Benedikt hochgeschätzten „sogenannten“ (sic) Kirchenvätern, lese sich vieles über die Spannung zwischen Norm und Wirklichkeit anders als heute in Rom.

„Wer mit und wer gegen die Tradition handelt, wäre demnach noch zu klären.“

Wäre mir sowas in einem der Provinzblätter untergekommen, mit denen man normalerweise so zu tun hat, ich hätte es wohl vorübergehen lassen, aber die FAZ lesen diejenigen,  die sich für den bürgerlicheren Teil der deutschen Informationselite halten, und da liegt die Latte höher.

Und sie wird spektakulär gerissen.

Zunächst erzeugt Deckers den Eindruck, dem Papst ginge das Schicksal der wiederverheirateten Geschiedenen in keiner Weise nahe, sie würden brüsk vor den Kopf gestoßen.

Nun, hören wir dazu zunächst die Worte  des Hl. Vaters anläßlich des Mailänder Familientreffens:

„Das Problem der Scheidungen und der wiederverheirateten Geschiedenen zählt zu den größten Leiden der Kirche von heute. Es gibt keine pauschalen Lösungen dafür. Es herrscht großes Leid, und wir können den Pfarrgemeinden und den einzelnen Menschen lediglich unsere Hilfe zuteil werden lassen: durch verstärkte Vorbeugungsmaßnahmen, in einer Vertiefung der gegenseitigen Liebe, durch eine Begleitung in der Paarbeziehung und während der Ehe, sodaß die Familien niemals allein sind, sondern auf ihrem Weg Tag für Tag Unterstützung erfahren. Obwohl sie die Eucharistie nicht empfangen dürfen, sollen sie von der Liebe der Kirche getragen sein und sich geliebt und angenommen fühlen. Sie sollen das Bewußtsein erlangen, daß sie dennoch Teil der Kirche sind; daß die Freundschaft zu einem Geistlichen trotz des Ausschlusses von der Beichte wesentlich ist. Sie können über ihre geistliche Verbundenheit mit Christus an der Eucharistie teilnehmen.“

Zusammenfassung seitens des „Qualitätsmediums“ (s.o.): „Hinweg mit ihnen!“ 🙂

Herr Deckers, wie recherchieren Sie eigentlich zu den Themen, die Sie verantworten sollen? Diese Sätze fielen am Abend des 2. Juni… (2012, wohlgemerkt!)

Und dann läßt Dr. Deckers (promoviert an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt/Main) gewichtige griechische und lateinische Worte fallen und erzeugt den Eindruck, der Papst habe seine eigenen „Lieblingsschriftsteller“ nicht richtig gelesen oder verstanden.

Netter Versuch! Nur ist dummerweise für jeden Menschen mit Internetanschluß (und das Netz ist in den Redaktionsräumen der FAZ vermutlich schneller als hier in Weimar!) folgender Text aus dem Jahr 1998 zugänglich: „Zu einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen Gläubigen“. (Den Text aus dem Osservatore Romano hat übrigens kath.net nach Deutschland gebracht, jener bekanntlich völlig informationsarme Hetzdienst, an dem sich gerade einige abarbeiten. Interessanterweise wurde er aber auch von Universitäten übernommen,  mit Quellenangabe…)

In diesem Schriftstück setzt sich der damalige Chef der Glaubenskongregation doch glatt mit den Prinzipien der Epikie und der Aequitas canonica auseinander! Sowas aber auch:

„Epikie und Aequitas canonica sind im Bereich menschlicher und rein kirchlicher Normen von großer Bedeutung, können aber nicht im Bereich von Normen angewandt werden, über die die Kirche keine Verfügungsgewalt hat. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist eine dieser Normen, die auf den Herrn selbst zurückgehen und daher als Normen göttlichen Rechts bezeichnet werden.“

Ja, es werden sogar noch mehr schöne griechische Begriffe untersucht, nämlich akribia und oikonomia. Toll, was? (Die Begriffe bezeichnen in den Ostkirchen (!) die Treue zur geoffenbarten Wahrheit, resp. die gütige Nachsicht in schwierigen Einzelfällen)

Herr Deckers, wie recherchieren Sie eigentlich zu den Themen, die Sie verantworten sollen? Dieses Schriftstück ist seit dem 30. November leicht zugänglich (2011 allerdings schon; lange her? 😉 )

Wie kann man an einem Ort, an dem Menschen journalistische Sorgfalt und Zuverlässigkeit erwarten so schluderig sein? Oder war es keine Schlamperei, sondern Absicht? Dann, so hart das Wort ist, fände ich das infam. Infam denjenigen gegenüber, die damit in die Irre geführt zu werden drohen, aber auch dem Hl. Vater gegenüber, der gerade jetzt anderes Verhalten verdient hätte und nötig brauchte. Intellektuelle Sorgfalt und Redlichkeit zum mindesten; eigentlich aber Solidarität im Gebet. In keinem der beiden möglichen Fälle aber den Versuch, ihm mal wieder „einen kleinen mitzugeben“.

Leider hat die Sache ja noch eine grundsätzlichere Dimension, die ich an dieser Stelle aber nur kurz anreißen kann. Es ist das immer wieder anzutreffende grundlegende Mißverständnis, in der Kirche erkläre (und erschöpfe!) sich irgendwie der Begriff der Tradition an einem je und je festzumachenden historischen Punkt, der nur gefunden werden müsse, damit alles gut werde (hier eben die vermeintlich „milden“ Kirchenväter). Diese Haltung, die aus einer notwendig (re-) konstruierten Vergangenheit verbindliche Handlungsanweisung für das Heute ableiten will, ist es ja auch, der wir einen erheblichen Teil des liturgischen Murks zu verdanken haben, der in den letzten 50 (oder mehr?) Jahren auf uns herniedergeprasselt ist.

Welch abenteuerliche Verkürzung wäre das! Nein, „Tradition“ ist natürlich die lebendige Entwicklung der Gemeinschaft Kirche unter dem apostolischen Lehramt. Tradition ist so aktuell wie die noch nicht ganz geöffneten Blätter im Frühling, so stabil wie der Stamm des Baumes an dem diese Blätter sprießen und so tiefgründend wie seine längsten Wurzeln. Ein lebendiger, unabgeschlossener Organismus, der aber gewiß nicht irgendwann beschließt, in 2,50 m Höhe sei der gültige Zustand ja schon erreicht gewesen und daher müsse leider der Rest des Baumes abgeschnitten werden…

Oder kürzer und weniger bildlich: „Weil die Tradition als dynamischer Vorgang der Selbstvollzug der Kirche schlechthin ist.“

Danke, SV! 😉

So, abschließend sei noch der ja auch immer wieder gern gehörten Pseudo-Interpretation vorgebeugt, der ja „manchmal verblüffend aufgeschlossene Theologe J. Ratzinger“ sei als Papst so recht zum Betonkopf geworden. Zugleich können wir damit diesen Eintrag versöhnlich mit den Worten des Hl. Vaters enden lassen, die, wie immer, wenn man ihm wirklich zuhört so gar nichts mit den häßlichen Zerrbildern zu tun haben, die Menschen, warum auch immer, über ihn verbreiten:

„Besonders schmerzlich würde ich die Situation derer nennen, die kirchlich verheiratet, aber nicht wirklich gläubig waren und es aus Tradition taten, sich aber dann in einer neuen nichtgültigen Ehe bekehren, zum Glauben finden und sich vom Sakrament ausgeschlossen fühlen. Das ist wirklich ein großes Leid, und als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre lud ich verschiedene Bischofskonferenzen und Spezialisten ein, dieses Problem zu untersuchen: Ein ohne Glauben gefeiertes Sakrament. Ich wage nicht zu sagen, ob man hier tatsächlich ein Moment der Ungültigkeit finden kann, weil dem Sakrament eine grundlegende Dimension gefehlt hat. Ich persönlich dachte es, aber aus den Debatten, die wir hatten, verstand ich, daß es ein sehr schwieriges Problem ist und daß es noch vertieft werden muß.“ (Aosta, 25. Juli 2005)

Qui habet aures audiendi, audiat! (Mk 4,9)

"Dynamischer Selbstvollzug"

5 Kommentare

  1. tradi.nl schrieb:

    Prima Replik! Hast Du deine Erwiderung auch dem Dr. Notorius zukommen lassen? Auf dessen Antwort waere ich gespannt.

    Freitag, 22. Juni 2012 um 08:53 | Permalink
  2. Andreas schrieb:

    Meinung in der FAZ – einmal mehr abge:deckt vom Zeitgeist.

    Freitag, 22. Juni 2012 um 18:43 | Permalink
  3. Danke, Ihr beiden!

    @ tradi.nl: Hm, mal gucken, wahrscheinlich werde ich einen Hinweis an die Leserbriefredaktion schicken, aber nicht mehr heute abend… 😉

    Freitag, 22. Juni 2012 um 21:02 | Permalink
  4. Frischer Wind schrieb:

    Gaaanz hervorragend!

    Hoffen wir, dass Herr Dr. Deckers sich in Zukunft sorgfältiger mit den Themen auseinandersetzt, bevor er sich dazu in einer Zeitung äußert.

    Und was für ein Glück, dass es das Internet gibt! 😉

    Donnerstag, 28. Juni 2012 um 09:02 | Permalink
  5. Dankeschön!

    Übrigens hat sich bisher Dr. Deckers nicht gemeldet, obwohl ich, wie angekündigt, den Beitrag an die FAZ geschickt habe.

    Warum wundert mich das nicht…? 🙁

    Freitag, 29. Juni 2012 um 07:48 | Permalink

Ein Trackback/Pingback

  1. […] Bericht des notorischen Daniel Deckers (mit dem sich auch dieser Blog schon auseinandergesetzt hat, hier) unter der Überschrift: „Franziskus hat gut reden, Der Freiburger Anti-Zollitsch und römische […]

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