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Sketch des Monats – Der hohe Besuch

Sanft glänzt das herbstliche Mondlicht über den Dächern von Wundersdorf und in den märkischen Kiefern glitzern die Tautropfen in den Spinnweben.

Aber ob es unter den Dächern auch so friedlich ist?

 

Der hohe Besuch

Ein Sketch für neun Personen und beliebig viele Statisten

 

(In der Pfarrkirche „Maria hilf!“ ist die Heilige Messe in vollem Gange. Gerade ist Hochwürden Conrad Kneif mit seiner Predigt fertig geworden, reicht der Küsterin das Mikrofon zurück und schreitet die Altarstufen empor.)

 

Hochwürden Kneif: Laßt uns nun unseren Glauben bekennen.

(Alle sprechen das Glaubensbekenntnis. Beim „Amen“ schreitet Corinna an den Ambo und schickt sich an, die Fürbitten zu verlesen.)

Edith (in der Bank, stöhnt): Oh, nein!

Silke (dreht sich zu ihr um, nickt verständnisvoll und zuckt resigniert mit den Achseln)

Corinna (salbungsvoll): Herr, unser Gott! Wir alle machen Fehler. Schenke uns die Kraft zur Vergebung und Versöhnung. (Nach einer kurzen Pause) Wwww …

Die Gemeinde: …Wir bitten dich, erhöre uns.

Hanna (aus der Bank hinter Edith, kopfschüttelnd): Wer sich so alles traut, solche Fürbitten zu sprechen…

Corinna (wie vorher): Herr unser Gott! Morgen dürfen wir den Tag der Deutschen Einheit feiern. Dafür danken wir dir. Und wir bitten dich: Schenke auch unserer Gemeinde Einheit und Frieden. Wwww …

Gemeinde: … Wir bitten dich, …

(Ein Brausen erhebt sich. Von der Orgelempore her erstrahlt ein gleißendes Licht. Alle wenden sich erschrocken um, springen auf oder reagieren sonst wie auf die Erscheinung. Hochwürden allerdings bleibt sitzen. Auch Corinna fährt völlig ungestört fort. Eine dröhnende Stimme beginnt zu sprechen und spricht.)

Die dröhnende Stimme: Was wird hier erbeten?

Hanna (mittlerweile auf den Knien, flüsternd zu Karl): Warum kommt das Licht denn nicht aus der Apsis?

Die dröhnende Stimme (flüstert zurück): Weil eure Kirche falschrum steht, das weißt du doch!

Edith (erschrocken): Er hört wirklich alles!

Die dröhnende Stimme (flüsternd): Was dachtest du denn?! (wieder dröhnend): Wer bittet mich hier um Einheit und Frieden und spinnt, kaum daß die Messe aus ist, gleich wieder an der nächsten Intrige?

Kneif (steht auf, ins Mikrofon): Wer redet denn hier so laut in meine Messe rein? Das ist meine Kirche, hier rede ich!

Corinna (irritiert, zu einer der zitternden Meßdienerinnen): Was haben die denn plötzlich alle?

Die Meßdienerin: Sehen Sie das denn nicht? Dieses Licht …

Corinna: Nö! Welches Licht?

Die dröhnende Stimme: Wer ruft mich an um Vergebung und Versöhnung und droht ständig sofort schriftlich mit dem Anwalt?

Corinna (fährt mit den Fürbitten fort, mit unveränderter Stimme): Herr unser Gott!

Die Meßdienerin (fast weinend): Hören Sie denn nicht … ? Diese Stimme …

Die dröhnende Stimme: Und übrigens will ich, daß mein Stellvertreter auf Erden hier in Zukunft gebührend verehrt wird! (Ein Blitz zuckt hernieder. Eine weiße Taube schwebt durch das Kirchenschiff und setzt sich auf den Ambo.)

Corinna: Iiih! Ein Vogel! Haben wir einen Dachschaden oder hat Ella wieder vergessen, das Fenster in der Empore zu schließen? (Sie rennt in die Sakristei um einen Besen).

Hanna: (als Corinna das Tier mit dem Besen verscheuchen will, schreiend): Nicht! Das ist der Heilige Geist!

Corinna: Tauben darf man jetzt umbringen! Sie sind Schädlinge! Das ist richterlich beschlossen! (Sie zieht der Taube eins mit dem Besen über. Die fliegt unverletzt auf, dreht eine Runde unter der Kuppel und entschwebt durch ein geschlossenes Fenster.)

Hochwürden: Können wir jetzt endlich weiter machen?

Edith (völlig verstört): Weiter machen wie bisher?

(Plötzlich erscheint auf der Orgelempore der Titularorganist der Pfarrkirche und intoniert das „dies irae“.)

Der Organist (in den Orgelklang hinein): Seid wachsam, denn die Stunde ist nah!

Edith (schreit): Nein! Nein!

***

Richard (rüttelt Edith wach): Edith! Wach auf!

Edith (setzt sich im Bett auf): Wo bin ich?

Richard: Im Bett. Und das ist auch gut so, es ist nämlich erst halb vier.

Edith (läßt sich wieder in die Kissen fallen, stöhnt): Ich hab geträumt…

Richard: Das hat man gehört, du Arme! Du hast gerufen und geweint. (Er streichelt ihr über den Kopf) Du bist ja ganz verstört. … Willst du mir den Traum erzählen?

Edith: Ich weiß nicht … es ging um … irgendwie war da ein Licht … und die Orgel … der Organist … und Corinna hat eine Taube gejagt…(fängt plötzlich an zu lächeln) aber eigentlich ging es darum, daß uns der HERR wirklich ganz nahe ist!

Richard: Na, das steht fest! Aber jetzt erzähl…

 

Cornelie Becker-Lamers

 

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf!

Hoffen wir, daß in Weimar alle (Alp-) Träume, die sich um Kirche ranken auch so versöhnlich enden!

Ein Kommentar

  1. Das könnte ohne weiteres als Libretto an der Neuköllner Oper aufgeführt werden.

    Sonntag, 2. Oktober 2011 um 22:33 | Permalink

6 Trackbacks/Pingbacks

  1. […] in diesen Zeilen kam ja das Stichwort vor kurzem sehr wohl vor (hier) und so fragen wir uns also: Was ist das denn, ein […]

  2. Pulchra ut Luna › Der Fang, eine Fischergeschichte on Samstag, 2. März 2013 um 11:34

    […] donnert und blitzt) Eine Stimme: Hundertdreiundfünfzig ist […]

  3. Pulchra ut Luna › Der Zettel, Sketch des Monats Juli on Donnerstag, 18. Juli 2013 um 19:20

    […] Frage, ob es unter den Dächern auch so friedlich ist, haben wir ja bereits gestellt (hier). Stellen wir sie noch […]

  4. […] in diesen Zeilen kam ja das Stichwort vor kurzem sehr wohl vor (hier) und so fragen wir uns also: Was ist das denn, ein […]

  5. Pulchra ut Luna › Der Kreuzlinienlaser on Mittwoch, 27. Dezember 2017 um 09:01

    […] Treiben. Begünstigt durch die milden Temperaturen, sind die Flügeltüren des Westportals (das in diesem Fall ein Ostportal ist) sperrangelweit geöffnet und eine Rollirampe verbindet das Straßenniveau barrierefrei mit dem […]

  6. […] donnert und blitzt) Eine Stimme: Hundertdreiundfünfzig ist […]

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