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Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 7

Und dann habe ich sehr reale Glaubensanfechtungen- u[nd] zw[ar] in Bezug auf die Kirche. Die sind nagelneu und hängen mit dem Konzil zusammen. Darum tun mir die Leute so leid, von denen ich annehme, dass sie sie nun ebenfalls kriegen werden und die sich wohl vielfach noch viel schwerer tun werden als ich, weil sie ja sachlich weniger gut dafür ausgerüstet sind. Es ist nicht nur das Gefühl, dass jetzt die Pferde durchgehen könnten oder der Zauberlehrling sich selbstständig machen – das würde mich eigentlich nicht aufregen, so was ist ja stets historisch begrenzt.
23.2.1965

PuLa-Reloaded zum Nikolaustag: Die lebendige Tradition

Heute gibt es, aus besonderem Anlaß außer der Reihe, ein PuLa-Reloaded am Montag! Ursprünglich erschien dieser Tet zum Nikolaustag bereits am 6. Dezember 2012 (hier).

Enjoy: 🙂

 

Kohle, Wolle, Flocke und die anderen Schafe stehen auf ihrer Weide vor den Toren von Wundersdorf und scharren zwischen den Schneeflecken nach den letzten Hälmchen. Da kommt der uns schon bekannte Pritschenwagen den Feldweg entlang getuckert, hält neben der Herde an, läßt Fixi und Huf abspringen und fährt dann weiter. Die beiden Lämmchen, jedes mit einem kleinen Rucksack auf dem Buckel, laufen schnell zur Herde und beginnen atemlos drauflos zu plappern.

Die lebendige Tradition

Ein Sketch für drei Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

 

Fixi: Stellt euch vor: Ob er überhaupt geboren ist, weiß man nicht, aber gestorben ist er 432!

Huf: Und Myra war eine griechische Stadt, aber jetzt ist sie türkisch und heißt Demre und Harun al-Rashid hat sie erobert.

Fixi: Deswegen haben auch Händler aus Bari den Leichnam mitgenommen.

Huf (wichtig): Da fließt Öl raus, das heilt!

Fixi: Und der 9. Mai was fast 888 Jahre lang ein kirchlicher Festtag halt wegen dem transdingsbums …

Huf: … latio!

Fixi: … genau! Der translatio Sancti Nicolai.

Huf: Ratet, wer den Feiertag abgeschafft hat!

Kohle: Das Zweite Vatikanum?

Huf: Der Kandidat hat 100 Punkte… (Er setzt seinen Rucksack ab.)

Wolle: (die schon eine Weile von einem zum andern geschaut hat): Sagt mal, wovon redet ihr eigentlich?

Flocke: Die Kleinen waren doch heute in der Bibliothek.

Kohle: Ich hab sie zum Recherchieren geschickt zum Thema Nikolaus.

Wolle: Na, du hast Nerven!

Fixi (fällt den Alten ungeduldig ins Wort): Aber das Krasseste fand ich mit der Artemis das.

Huf: Der Diana.

Fixi: In Ephesos.

Huf: Kommt schon in der Apostelgeschichte vor, daß die Missionierung da nicht so richtig voranging wegen ihr.

Fixi: Edith sagt, es gibt Leute, die sagen, Nikolaus sei bloß erfunden worden, um jemanden zu haben, dem man den Sieg über den Artemiskult zuschreiben kann.

Kohle: Wo habt ihr denn Edith getroffen?

Fixi: Die war auch grad in der Bibliothek.

Kohle: Naja – was Edith immer alles so sagt …

Huf: Es stimmt aber: Er hat ihren Tempel gar nicht eingerissen, der ist beim Erdbeben eingestürzt.

Fixi: Hundertfünfzig Jahre vorher oder so.

Huf: Und außerdem heißt Nikolaus „Sieg über das Volk“!

Kohle (runzelt die Stirn): So? Ich dachte: „Sieg des Volkes“?!

Fixi: Hm. Man liest beides. Der Krünitz hat „Volksbesieger“.

Huf: Jedenfalls hat er „ihr“ Datum – 6. Dezember – übernommen und ihre Farben rot und weiß.

Wolle: Die sind von Coca Cola.

Fixi: Sind sie nicht. Die haben sich nur geschickt draufgesetzt! Die Farbsymbolik ist viel älter.

Huf: Und das Schwarz des Todesaspektes ist auf Knecht Ruprecht ausgelagert.

Flocke: Das steht alles in den Büchern?

Fixi: Äh, nö, das war jetzt wieder von Edith …

Kohle: Also, ich glaube, ich muß mal mit Edith sprechen … sie darf euch Kinder nicht so überfordern …

Huf (abschließend): Aber, Kohle, ich glaube, da kriegen wir kein Lied draus geschrieben!

Fixi: Das ist alles viel zu viel …

Huf: Da bräuchte man drei Lieder:

Fixi: Über das mit der Artemis …

Huf: … dann das mit dem heimlichen Schenken und den drei goldenen Kugeln …

Fixi: … und dann eins über Knecht Ruprecht, der eigentlich die Rauh-Percht ist …

Huf: … die rauhe Perchta, die Fruchtbarkeitsgöttin der Germanen …

Fixi: … weswegen auch das mit der Rute ursprünglich ein Haselzweig war und der war zum Segnen!

Wolle: Puuuuh! Mir brummt der Kopf!

Flocke: Ich sag dir: Wenn die lebendige Tradition erstmal abgerissen ist …

Fixi: Dein Lied kannst du jedenfalls selber machen – hier: Ich hab dir ein bißchen Literatur herausgeschrieben (er wirft Kohle seinen Rucksack mit einigen Notizzetteln vor die Füße; zu Huf): Komm! Wir gehen was trinken!

Huf: Ich komme! (beginnt zu singen): „Morgen kommt der Weihnachtsmann…“

Beide (im Davonspringen): „ … kommt mit seinen Gaaaaaben.“

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 6

Obschon – die Zerstörung des Benediktbildes* hat mich doch sehr bestürzt. Nicht so sehr die Sache selbst, als die Haltung, die sie impliziert, von der sie Symptom ist. Ich bin ja auch mal ein bissl mit Historie verbandelt gewesen – und ich muss sagen, eine Historikerhaltung, die NUR zeitgenössische Dokumentation als gültige Quelle werten will, erscheint mir wirklich unmöglich. Da könnte man ja sowohl fast das ganze Alte Testament wie auch Plutarch und jede Frühgeschichte überhaupt fallen lassen. Denn schliesslich ist doch jede Aufzeichnung Resultat einer langen mündlichen Vorgeschichte und es scheint mir doch eine Haltung des „totalen Misstrauens“ zu sein, sich grundsätzlich nicht mehr auf das lange Gedächtnis der schriftlosen Zeiten, der Geschlechter und Erbfolgen verlassen zu wollen. Dies schiene mir absolut destruktiv – wirklich ein zersetzendes Prinzip, was Geschichte anlangt. Es löst die Persönlichkeit in ein Gewimmel anonymer Nullen auf- und es müsste mir wirklich erst noch an einem glaubhaften Präzedenzfall bewiesen, nicht nur behauptet werden, dass je eine so runde, lebensvoll ausstrahlende und lebenszeugende Gestalt in Wirklichkeit bloss eine zufällig synthetisierte Fiktion gewesen sei. – Es würde zuviel geschichtlich-menschliche Wirklichkeit bloss vom zufälligen Erhaltensein passender Dokumente abhängig machen – usw. – Sehen Sie, das ist nur ein Element des Klimas, an dem ich ersticke: das Klima des „totalen Misstrauens“, das einfach alles, worauf wir bisher bauten, als Sand zerbröckeln möchte. Aber man muss doch auf etwas bauen -.
(13.2.1965)

* Der Satz nimmt Bezug auf einen vorangegangenen Besuch in Kloster Beuron. Es ging dort im Gespräch um die “Ablösung der Vielfalt der Stifter-Figuren” (wie eben des Ordensgründers Benedikt). Inwiefern u.U. auch die physische Zerstörung einer Figur, eines Bildes o.ä. eine Rolle spielte, wird nicht klar, kann aber bekanntlich in dieser Zeit keinesfalls ausgeschlossen werden! Schon im Jahr 1964 begann ja auch, als “Renovierung” schöngeredet, der Bildersturm in Herz-Jesu Weimar.

Gereon Lamers

Das Reservat 2/4

Ein Sketch zum Zweiten Advent für drei Personen

Wundersdorf, Oderbruch. In der Küche der Familie Langenfeld. Wir erinnern uns: Karl hat sich heimlich und verbotenerweise ins Reservat begeben, zu dem die Stadt Wundersdorf umfunktioniert worden ist. Nun sitzt er mit Edith bei einer Tasse Kaffee und Teresa betritt den Raum. Sie begrüßt Karl und ihre Mutter, nimmt sich einen Becher aus dem Schrank und füllt Wasser in den Wasserkocher.

 

Edith: Na, mein Schatz?! Wie war’s?

Teresa (auf Karls fragenden Blick hin): Ministrantenstunde bei Pfarrer Finke. (Sie öffnet den Küchenschrank und guckt die Schachteln mit den Teebeuteln durch.)

Karl (horcht auf): Finke? Aus … hier … wie heißt es … in der Nähe von Magdeburg?

Edith (nickt stolz): Ungeimpft! (Sie grinst.) Jetzt haben wir hier Pfarrer Finke!

Teresa (zuckt die Achseln): Och ja … wie war’s? … Wie immer … (Sie hängt einen Beutel in ihren Becher und wartet mit verschränkten die Arme, daß das Wasser kocht.)

Edith (lacht auf): „Wie immer“ ist gut! Wieviele Jahre hatten wir keine regelmäßigen Ministrantenstunden? Zehn?

Teresa: Reimer war nicht da … (sie gießt das heiße Wasser auf und kommt mit ihrem Becher an den Tisch.)

Edith: Was hat er?

Teresa: Nichts. Aber ist letztes Mal in der Nähe des Tunnelausgangs draußen geschnappt worden und war nicht schnell genug mit seiner Ausrede. Hat jetzt erstmal zwei Wochen Hausarrest.

Edith (mahnend): Quarantäne heißt das, Teresa! Quarantäne!

Teresa: Und Wenzel hat es zwischenzeitlich entschärft (sie trinkt).

Edith: Jetzt während der Stunde?

(Teresa nickt und pustet über ihren heißen Tee.)

Karl: Was ist passiert?

Teresa: Impfung in einen harmlosen Infekt hinein. Jetzt ist er richtig krank.

Edith: Das darf man doch aber auch nicht machen! Das weiß man doch!

Karl: Nach solchen Details fragen viele Ärzte heute nicht mehr … impfen impfen impfen … die sind dermaßen unter Druck …

Edith: Was haben sich die Leute früher aufgeregt, wenn ein Jugendlicher bei der Fronleichnamsprozession umkippte, weil wir alle nüchtern zu sein hatten …

Karl: Zu Recht! Das war ja auch Irrsinn! In den Klosterregeln wurde deshalb ja auch immer unterschieden zwischen den Anforderungen an die erwachsenen Mönche und den Regeln für Jugendliche, Knaben, Novizen …

Edith: Und heute? In der Impf-Religion ist alles egal!

Karl (nickt): Und siehst du die Zwillinge noch?

Teresa: Kira und Ska? Nö, die sind doch raus …

Karl: Wie – raus?

Edith: Wußtest du das nicht? (Sie blickt Karl bedeutungsvoll an).

Teresa (mit deutlich gesenkter Stimme): Silke …

Karl (verwirrt): Silke? Was ist mit Silke?

Edith (flüstert ebenfalls): Silke hat doch die beiden bei sich aufgenommen und gibt sie als ihre Großnichten aus Oranienburg aus …

Teresa: Noch ist soweit ich weiß niemand draufgekommen …

Karl (bleibt der Mund offen stehen): Silke versteckt Ungeimpfte? Alle Achtung!

Edith: Ja! Na – damit sie ihren gemeinsamen Klavierunterricht weiterverfolgen können. Die sind ja mit ihren vierhändigen Sachen schon halbe Profis, die beiden! Und  noch wie gesagt geht’s – weil durch die Umsiedlung so viel in Bewegung gekommen ist. Man kennt ja seine Nachbarn draußen jetzt sowieso erstmal nicht … von daher war auch der Zeitpunkt geschickt gewählt …

Karl: Apropos Ungeimpfte … Habt ihr wieder was?

(Edith schlägt sich an die Stirn und verläßt den Raum. Nach wenigen Sekunden ist sie mit einem Stapel Papier wieder da.)

Edith: Das hätte ich fast vergessen. Gut, daß du dran gedacht hast. Hier! (Sie legt den Stapel vor Karl auf den Tisch.)

Karl (blättert den Stapel kursorisch durch, faltet ihn längs und läßt ihn in der Zollstocktasche seiner Arbeitshose verschwinden): Perfekt! (Er drückt den Klettverschluß über der Tasche sorgfältig zu) Daß Krücke aber auch seine alten Druckmaschinen wieder für seine Zwecke nutzt – einfach großartig! (Er lacht.)

Edith: Im Alten Museum unten (sie lacht auch). Mischt sich unter die Damen von der Adventsbastelgruppe … herrlich!

Karl: Tja … wer Mai 89 Flugblätter gedruckt hat, legt in diesen Zeiten nicht die Hände in den Schoß!

 

Fortsetzung folgt

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 5

Wissen Sie, mir schwebt immer ein seltsamer Vers von Eichendorff vor – keine Ahnung wo er steht, leider: ,,fromm zerbrechend alle Bande – „*
Ja, Revolution muss sein, und Gott sei gelobt, dass der Heilige Geist sie jetzt aufrührt. Aber wie wichtig ist es mir, dass die Bande fromm zerbrochen werden!
(4.12.1964)

 

* Aus Joseph v. Eichendorffs Gedicht “Nachtfeier” (1810)

Decket Schlaf die weite Runde,
Muß ich oft am Fenster lauschen,
Wie die Ströme unten rauschen,
Räder sausen kühl im Grunde,
Und mir ist so wohl zur Stunde;
Denn hinab vom Felsenrande
Spür ich Freiheit, uralt Sehnen,
Fromm zerbrechend alle Bande,
Über Wälder, Strom und Lande
Keck die großen Flügel dehnen.

Was je Großes brach die Schranken,
Seh ich durch die Stille gehen,
Helden auf den Wolken stehen,
Ernsten Blickes, ohne Wanken,
Und es wollen die Gedanken
Mit den guten Alten hausen,
Sich in ihr Gespräch vermischen,
Das da kommt in Waldesbrausen.
Manchem füllt’s die Brust mit Grausen,
Mich soll’s laben und erfrischen!

Tag und Regung war entflohen,
Übern See nur kam Geläute
Durch die monderhellte Weite,
Und rings brannten auf den hohen
Alpen still die bleichen Lohen,
Ew’ge Wächter echter Weihe,
Als, erhoben vom Verderben
Und vom Jammer, da die dreie
Einsam traten in das Freie,
Frei zu leben und zu sterben.

Und so wachen heute viele
Einsam über ihrem Kummer;
Unerquickt von falschem Schlummer,
Aus des Wechsels wildem Spiele
Schauend fromm nach einem Ziele.
Durch die öde, stumme Leere
Fühl ich mich euch still verbündet;
Ob der Tag das Recht verkehre,
Ewig strahlt der Stern der Ehre,
Kühn in heil’ger Nacht entzündet.

Gereon Lamers

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 4

Mir ist darum die ,,Dolmetscharbeit“ so wichtig, das Gespräch nach innen, nicht nur nach aussen, damit diese Leute nun nicht, zur Abwechslung, bei uns zu verbitterten, verhöhnten und total missverstandenen emigrés de l’interieur werden. – Darum ärgert mich ja auch Küng immer wieder mit seiner arroganten Schnauze (was mir Bischof Otto und auch Bischof Hermann Volk, wenn auch sehr diskret bestätigt haben, dass dieser mein Eindruck nicht unbegründet ist!) – die ihm soviel Beifall vom Aussenpublikum einträgt – wie billig ist dieser Applaus doch!
(4.12.1964)

Gereon Lamers 

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 3

Ich finde aber trotzdem die Enttäuschung, die wir sahen und hörten*, etwas unproportioniert – nun, man muss sie wohl an der Höhe und Intensität der Erwartung messen. Ich finde trotz allem die Konzilsergebnisse grossartig und jedenfalls meine Erwartungen weit übersteigend. Ausserdem glaube ich nicht, als historisches Gemüt, an so blitzartiges Reformtempo, und halte die zögernde Langsamkeit und Unentschiedenheit des Papstes, die offenbar den Konzilsvätern den grössten Kummer machte, im Grund doch für providentiell, nämlich um überstürzte Resultate zu vermeiden, die dann in der Durchführung doch weithin scheitern müssten und vor allem zumindest innerliches Schisma bei den „Neu-Altkatholiken“ provozieren müsste.
(4.12.1964)

 

*I. Görres bezieht sich hier auf eine kurz vorher erwähnte “Quasi-Konzils-Nachsitzung der Liturgiehäupter” um Bischof Otto Spülbeck, Meißen, die vor kurzem in Einsiedeln stattgefunden hatte.

 

Gereon Lamers 

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 2

Denn selbst WENN, was Gott verhüten möge, aber weiss man, was Er sich denkt? die „Atmosphäre“ von Beuron, die ich wieder so stark erfahren und genossen habe, wirklich nur mehr das Licht eines bereits erloschenen Sternes sein sollte — selbst dann muss man diesen Schimmer so lang wie nur immer möglich zu erhalten trachten. Denn es ist wirklich was Kostbares.
(30.4/1.5.1964)

Gereon Lamers

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Tag 1

Ich verfolge z Zt die Konzilsnachrichten gar nicht besonders lebhaft – vielleicht ist das verkehrt und ein Versäumnis – aber ich bin z Zt. in einem so lähmenden Pessimismus befangen – dh diese dumme Vokabel ist natürlich auch falsch. Man hat so ungefähr das Gefühl, man sieht Kinder – pardon!! – eine Maginot-Linie aus Sandburgen gegen den anbrausenden Ozean bauen – Aber auf der andern Seite sind bekanntlich die berühmtesten Siege der Weltgeschichte stets die aus dem Hoffnungslosen heraus gewesen. Es muss wohl, siehe besonders Altes Testament – erst ein gründlicher und nicht mehr zu verschleiernder Tiefpunkt auftreten, ehe die Flut sich wendet. Mir ist jedenfalls recht apokalyptisch zumute […] (5.10.1964)

Gereon Lamers 

Der Adventskalender mit Briefen Ida Fr. Görres’, Vorabend

Diesen Text, den “Vorabend” des diesjährigen Adventskalenders, zu schreiben, hat mir, wie man so sagt, ‘Bammel eingejagt’.
Und das diesmal nicht, weil ich erneut nicht so genau weiß, wo das Unternehmen hinführen soll (das kennen Sie ja schon), sondern aufgrund der Persönlichkeit, der die wir die Zitate verdanken, die wir in der kommenden Zeit anschauen wollen.

Ida Friederike Görres (1901 – 1971, geb. Friederike Maria Anna Reichsgräfin Coudenhove-Kalergi) flößt mir als katholische Intellektuelle und Publizistin, wie es heute keine mehr gibt!, Respekt ein, aber das taten die Texte der Heiligen, ganz zu schweigen von denen der Hl. Schrift, natürlich auch, die wir in den vergangenen Jahren schon gemeinsam betrachtet haben.
Jedoch, zusammen mit ihrer Biographie etwas zu dem dichterischen Charisma schreiben zu sollen, das doch alle ihre Texte prägt – das wäre noch etwas ganz anderes gewesen! Wie lebhaft erinnere ich mich an den “Sog” und den dauerhaft bleibenden! Eindruck der verlebendigenden Verzauberung, wie sie ihre Schilderung der Gestalt der Hl. Radegundis in mir hinterlassen hat! (Die siebenfache Flucht der Radegundis, 1937, ein MUSS, besonders für Thüringer Katholiken!)

Zu meiner großen Erleichterung und Dankbarkeit  stellte es sich heraus, daß ich das auch nicht muß. Es gibt nämlich eine Website, die Ida Görres gewidmet ist, eingerichtet und betrieben als ein wahres ‘labour of love’ von Jennifer Bryson, Heiligenkreuz, die die Werke der Görres ins Englische übersetzt (daher ist die Seite auch zweisprachig, unschätzbar!).
Sie hat dort unter “Biographie” zwei Texte von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz einstellen dürfen, wie ich sie sogar unabhängig von der mangelnden Sachkenntnis niemals auch nur ansatzweise hätte verfassen können.
Sie finden sie hier und wenn Sie auch sonst von meinen Adventskalendern nichts halten und überhaupt nicht mehr weiterlesen wollen: Diese beiden Stücke der großartigen emeritierten (aber überaus rührigen) Religionsphilosophin sollten Sie sich gönnen.
Und mindestens ein Buch von Ida Görres. Momentan finden Sie ihre Werke u.U. in der Aussonderung Ihrer Pfarrbibliothek (also, hier, im sog. “Osten”; in Westland geschah der Prozeß vermutlich schon vor 30, 40 Jahren…), wozu ich mal lieber nichts sage. 

Gerl-Falkovitz war es auch, die 2015 aus Heiligenkreuz die Briefsammlung herausgegeben hat, aus der ich in den folgenden Wochen Ausschnitte bringen möchte: 

“Wirklich die neue Phönixgestalt?” Ida Friedrike Görres, Über Kirche und Konzil: Unbekannte Briefe 1962-1971 an Paulus Gordan.

Arbeit am Adventskalender 2021 (eigenes Bild)

Paulus Gordan, OSB (1912 – 1999) Benediktiner aus dem von I. Görres heiß geliebten Kloster Beuron (wo sie ihn vermutlich bei unbekannter Gelegenheit kennengelernt hat), der Briefpartner, war ein Konvertit (mit 18 Jahren) aus dem großbürgerlichen Berliner Judentum und in der Zeit des Briefwechsels seinerseits publizistisch und in der Verwaltung des Ordens überaus tätig. Seine Briefe liegen leider, momentan jedenfalls, nicht ebenfalls vor. 

Von der Görres offenkundig sehr geschätzt (“ein großer [!] Bruder”) und wohl auch einfach gemocht, geben die Briefe doch ebenso Zeugnis von deutlich verschiedenen Perspektiven und Einschätzungen in Bezug auf das, was zu dieser Zeit das katholische Erdenrund (und damals auch noch Teile der “Welt”…) so überaus beschäftigte: Der losgebrochene Sturm der Veränderung in der Kirche, symbolisiert durch und angetrieben vom 21. Ökumenischen Konzil, dem II. Vatikanum und seinen (unmittelbaren) Folgen, das von Herbst 1962 bis Ende 1965 stattfand und damit wesentliche Überschneidungen mit der Zeit des Briefwechsels aufweist.

Sie haben ja sicherlich inzwischen die oben verlinkte Biographie der Görres gelesen (oder?! 😉 ) und werden daher in dem (natürlich) gut gewählten Buchtitel nicht nur die Skepsis erkennen, die die glaubende Dichterin gegenüber manchem empfand, sondern auch registriert haben, daß Ida Görres ganz gewiß nicht schlechterdings als “Traditionalistin” zu vereinnahmen ist. In keiner Weise jedenfalls, wie sie dem heutigen (allerdings heruntergekommenen) Sprachgebrauch nahe käme.

Aber das wäre ja auch viel zu langweilig. Vielmehr geht es darum, im Spiegel der Äußerungen einer exemplarisch gebildeten, reflektierten, vernetzten, sensiblen und gläubigen Zeitgenossin anzuschauen, wie das damalige Geschehen über sie kam und auf sie wirkte; und dazu ist die Briefform (so wenig ich persönlich mich mit ihrer Lektüre anfreunden mag) natürlich überaus geeignet. 

Ich werde mich bei der naturgemäß subjektiven Auswahl bemühen, keine Kategorie von Empfindungen einseitig zu unterschlagen, so sehr ich auch überzeugt bin… aber bilden Sie sich zunächst selbst ein Urteil!
Und wenn wir im Verlauf der Lektüre das ein oder andere déja vu erleben, oder ich zum Schluß vor dem Hintergrund der sehr aktuellen Debatten die ein oder andere Betrachtung zu “dem Konzil” anstelle, dann können Sie ja selbst entscheiden, ob Ihnen das vor dem Hintergrund des Gelesenen überzeugend erscheint, oder nicht! 

Kostprobe gefällig?

Denn ich bin nun mal so gebaut […] dass ich derlei Fragen nicht „akademisch behandeln“ kann, sondern sie wie Krankheiten in grossen Schmerzen „ausstehen“ muss – ich kann halt nur „existentiell“ denken und das tut natürlich infam weh und frisst einen auf. […]
Ans Konzil denk ich mit Hoffnung und Angst gemischt – SEHR gemischt! Möge der Hl. Geist nach beiden Seiten sich als der Stärkere zeigen – möge es „Fieber und Heil“ sein, was da entsteht – da es ja doch ohne Fieber nicht geht. Ich fürchte die inneren Spaltungen doch sehr, die subcutanen Häresien. – Gott behüte Sie, und alle guten Wünsche u. Grüsse […]. (18.9.1964)
(alle Hervorhebungen im Original, wenn nicht anders angegeben)

Morgen geht’s los!

Gereon Lamers