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Das Ladeverbot

Ein Sketchlet für zehn Personen

Wundersdorf, Oderbruch. In der Pfarrkirche Maria Hilf! ist der uns mittlerweile wohlbekannte Putztrupp (vgl. hier und hier ) bei der Arbeit.

Wie? Schon wieder? Klar! Ein Vierteljahr ist um – da sind sie mal wieder dran. Wie die Zeit vergeht!

Edith und Shammiram wischen also im Altarraum, während Richard und Ines gewissenhaft ihrer Spezialaufgabe, dem Bänkeverschieben, nachgehen. Kurti putzt die freiwerdenden Flächen jeweils durch. In der Kirche verstreut bewegen sich Nahamiyya und Sara, Reimer und Wenzel mit diversen Staubwedeln oder setzen die Kniebänke dezent unter Wasser. Mit dem Staubsauger rückt Helene den Fußmatten im Vorraum zu Leibe.

Es ist ein munteres Treiben, das mich jedesmal, wenn ich es sehe, an die Heinzelmännchen von Köln erinnert (die bekanntlich vermutlich gar nicht aus Köln stammen, sondern wie der Großteil der deutschen Kultur aus – Überraschung!!! – genau: Mitteldeutschland 🙂 , präziser: aus Eilenburg im nördlichen Sachsen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Hier auf PuLa wollen ja aber nicht nur gucken, sondern auch ein bißchen zuhören. Und da diese Putztruppe wie ganz Wundersdorf nur aus Sprache besteht, verschwindet sie ganz bestimmt dadurch auch nicht.

[Anm. der Redaktion: „nur aus Sprache“, wie, „nur“? 😉 ]

Wie beruhigend! 🙂

Also worum geht’s diesmal?

Kurti: Ich sag der Sara immer, du mußt es wissen, es ist dein Leben, aber paß auf! (Er zieht die Augenbrauen hoch und stützt sich wirkungsvoll auf seinen Schrubber.)

Ines (hebt mit Richard die Bank zurück): „Paß auf“! Das ist verdammt viel leichter gesagt als getan, wenn alles um dich herum nur auf die Bildschirme starrt!

Richard (geht eine Bank weiter): Ich denke auch, in Maßen muß man die Kinder auch zu ihrem Glück zwingen – sprich: selber aufpassen, Zeiten absprechen und das Ding dann auch mal einkassieren.

Kurti (wringt seinen Wischlappen aus): Dann sieh aber zu, daß es ausgeschaltet ist – sonst rufen die Spezialisten einfach ihr Smartphone an und futsch ist das schöne Versteck! (Alle lachen.)

Ines: Daran hab ich noch gar nicht gedacht!

Kurti: Tjaaaa … die Steppkes sind ja nicht blöd!

Richard: Und es ist wirklich nicht ungefährlich! Die Hirnforscher beobachten die Smartphone-Generation ja nun schon eine ganze Weile – und da zeigen sich die ersten Folgen! Organische Folgen!

Kurti: Ehrlich?

Richard: Ja – leider! Die Synapsen bilden sich anders. Die Konzentrationsfähigkeit sinkt – das kann man im Hirn sehen.

Ines (hört auf zu arbeiten): Da war doch jetzt dieses Interview im Deutschlandfunk mit diesem Psychiater …

Kurti: Stimmt!

Richard: Hab ich auch gehört – mal morgens .. wie hieß er noch gleich?

Ines: Keine Ahnung – ist ja auch nicht so wichtig … aber was er gesagt hat, das war schon ziemlich alarmierend!

Kurti: Das war eine volle Breitseite gegen die Smartphoneritis und Digitalisierung an unseren Schulen – und sogar schon in den Kindergärten!

Richard: Genau! Er meinte doch, das mathematische Verständnis geht über die Finger in den Kopf …

Ines: „Je mehr Fingerspiele sie im Kindergarten machen, desto besser sind sie mit 20 in Mathematik“ – irgendwie so hat er es formuliert.

Kurti: Und „wenn sie nur wischen als Kindergartenkind, endet ihre Karriere als Putzfachkraft.“ (Er blickt auf seinen Wischeimer).

Richard: Also lieber Mikado spielen und die Kirche putzen als zuhause rumhängen und am Smartphone knibbeln.

Kurti: So sieht’s aus!

Ines: Absolut!

Richard: Eigentlich komisch, daß unser Pfarrer nicht will, daß die Pfarrjugend auch mit die Kirche putzt.

Ines: Ich muß auch sagen: Mein Patenkind aus Dresden …

Bevor wir erfahren, was die Pfarrjugend in Dresden für Aufgaben erfüllt, wird der praxisorientierte Fachdiskurs der drei Elternteile durch ein plötzliches wieherndes Lachen unterbrochen, das im ganzen Kirchenraum widerhallt. Erschrocken blicken die drei sich nach der Quelle dieses Heiterkeitsausbruchs um und machen sie in Reimer und Wenzel aus, die sich in einer Ecke des nördlichen Seitenschiffs vor Lachen schier auf dem Boden kugeln. Shammiram und Edith sind bereits auf dem Weg zu den beiden Jungs, und auch Nahamiyya, Sara und Helene lassen alles stehen und liegen, um zu sehen, was da so lustig ist. Fast schon im Seitenschiff, kommen ihnen Edith und Shammiram lachend entgegen.

Edith (lacht): Das glaubst du nicht!

Richard: Was ist denn nur los? (Er folgt dem Zeigefinger Wenzels und bückt sich zu den Steckdosen in der Kirchenecke hinab. Wieder aufrecht, schlicht) Ja. Das Schild kenn ich. Ich putz hier ja schon eine ganze Weile.

Kurti, Helene und Ines, Sara und Nahamiyya drängeln sich vor der Steckdose.

Helene: Jaja – aber die Kinder haben recht: Wer kommt auf so eine Idee?

Kurti: Ob das noch aus den Zeiten stammt, wo unsere „Gemeindeleitung“ alles für möglich hielt, weil sie sich selber alles herausnahm? – Ich meine: Da kommt doch wirklich keiner drauf!

Ines (liest das Schild vor): „Während der Messe bitte keine Mobiltelefone aufladen“! (Sie faßt sich an die Stirn.)

Tatsächlich klebt über der Steckdose im Seitenschiff ein computergetipptes Schild:

Kirchen-Steckdosen (eigenes Bild)

Sara (zückt ihr Smartphone und das Ladekabel): Das heißt ja nichts anderes, als daß ich es jetzt aufladen darf. (In die Runde) Ist hier schon gewischt? (Sie bugsiert das Ladekabel in die Steckdose und legt ihr Smartphone davor auf den Boden.)

Kurti: Laß den Quatsch! Zieh sofort den Stecker wieder raus!

Sara (trotzig): Du sagst immer, es ist mein Leben!

Kurti: Ja! Aber nicht dein Strom! (Er zieht den Stecker).

Sara: Das machen heute alle! In der Schule auch – was glaubst du denn?

Kurti: Ja! Und dann jammern sie über die Stromtrassen durch die schöne Landschaft! 90% der Sachen, die du über das Ding da erledigst, könntest du auch anders regeln.

Sara (packt ihr Smartphone wieder ein): Du hast ja keine Ahnung! (Sie trollt sich.)

Ines (in die Runde): Tja! Das paßte ja jetzt echt zum Thema!

Edith: Wovon redet ihr überhaupt? Zu was für einem Thema paßte das jetzt?

Ines: Ach – wir hatten’s gerade von Digitalisierung in den Schulen. So ein Interview im Deutschlandfunk …

Edith (überlegt kurz): Ah! Ja! Ich glaub, ich weiß! – Aber sagt mal was ganz anderes: Ist die Steckdose überhaupt freigeschaltet? Hier hat doch so ungefähr jede Birne ihre eigene Sicherung (sie blickt Helene fragend an).

Helene: Du hast recht – ich hab den Strom nur für den Vorraum angemacht. Die Steckdose hier vorne ist vermutlich tot.

Kurti: Na, dann sind wir ja auf der sicheren Seite!

Shammiram: Aber was überhaupt? Geht um Stromklau – oder um heilige Handlung? Ich verstehe nicht!

Die anderen schauen sich verblüfft an und beginnen zu lachen.

Edith: Wenn das Schild älter als zweieinhalb Jahre ist – um den Stromklau.

Richard: Wenn es jünger ist, vermutlich um die heilige Handlung.

Ines: Auf jeden Fall ist es seltsam!

Kurti: Wie gesagt: Wer kommt auf so eine Idee?

Richard: Wie auch immer … Laßt uns weitermachen! Denn was haben wir gesagt? Mikado spielen und Kirche putzen – wir sind noch nicht fertig. Also los! (Er winkt dem Rest der Truppe und geht zurück ins Mittelschiff.)

Shammiram (fotografiert das Schild mit ihrem Smartphone): Ich schicke an meine Familie in Erbil (sie lächelt, schreibt eine kurze Nachricht und sendet das Bild).

Helene: Ja! Für dich ist so ein Smartphone wirklich sinnvoll!

ENDE

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf. Aber nicht nur dort. An einer weiterführenden Schule Weimars wird gerade von den Schülersprechern mit einem Maximalaufwand an Argumentation und Formulierungskunst die Änderung der Hausordnung in Richtung Zulassung der Smartphones beantragt. Aber zum Glück sind wir in Deutschland, und so schnell schießen die Preußen nicht. Jetzt gibt es erstmal eine Elternsprecherversammlung Ende April, wo das Papier diskutiert wird. Und dann sehen wir mal weiter. Schließlich machen die Burschen im Mai Abitur. Also immer mit der Ruhe!

In der Zwischenzeit habe ich schon mal ein paar Zitate herumgeschickt, die aus genau dem Interview stammen könnten, über das Ines, Richard und Kurti sich ausgetauscht haben. Es war jedenfalls im Deutschlandfunk, dieser Tage, und mit dem Psychiater (ich denke mal: Professor Doktor oder so was) Manfred Spitzer, hier: Herr Spitzer weiß:

Wenn man die Studienlage dazu mal ganz ernsthaft sich anschaut, hat Herr Macron schlichtweg recht, wenn er sagt, wir verbieten die Smartphones an französischen Schulen ab Herbst 2018. Denn es gibt große Untersuchungen, die zeigen, dass wenn Sie das tun, werden die Schüler besser.

Cool, was? Macron hat’s einfach drauf! Aber er ist halt auch einfach mal 25 Jahre jünger als Angela Merkel. Sie könnte ja locker seine Ehefrau sein. Da denkt er natürlich auch ein wenig frischer.

Das mit den Fingerspielen kommt in diesem Text natürlich auch vor. Wobei eine schlechte Note in Mathematik leider ein multikausales Geschehen sein muß. Meine Tochter hat seit ihrem fünften Lebensjahr einen Klassiker an feinmotorischer Schulung genossen, nämlich Geigenunterricht – und hat trotzdem nie ein freundschaftliches Verhältnis zu Zahlen entwickelt. Dennoch ist das gesamte Interview unbedingt lesenswert!!!

Also ich sage ja immer: Handarbeiten! Dazu konnte ich meine Kinder leider nie begeistern und in der Schule ist der entsprechende Unterricht zu meinem nachhaltigen Entsetzen abgeschafft worden. Und da sitze ich doch neulich in einem Wartezimmer, zwei Stricknadeln vor dem Bauch, und fange den zweiten Ärmel eines Pullovers an. Sagt die Mutti neben mir zu ihrem hustenden Knirps: „Guck mal, die Tante häkelt“. Häkelt! Die jungen Mütter können heutzutage nicht mal mehr eine Strick- von einer Häkelnadel unterscheiden!!! Da fällt mir doch der alte Witz ein, den mein in Berlin aufgewachsener Vater gerne zitierte: Kommt ein Berliner mit seinem Sohn aufs Land und sieht einen Bauern am Weidezaun lehnen. Fragt der Vater den Bauern: „Darf der Junge ma die Ferde sehn?“ Sagt der Bauer: „Det sind doch Kühe!“

Der Witz stammt spätestens aus den 1950er Jahren (danach haben meine Eltern Ostberlin nämlich in Richtung Bundesrepublik verlassen). Aber so ist es: Erst verlieren wir das Verhältnis zu den Tieren, dann zum Handwerk – und dann schaffen wir uns selber ab, durch mitfühlende (besser gesagt: emotionale Äußerungen zitierende) Pflegeroboter. Aber vorher schlagen wir erst noch die Stromtrasse durch den Thüringer Wald, damit alle Kinder für ihre Hausaufgaben das Wort „Pferd“ googeln können …

Cornelie Becker-Lamers

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