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Der Adventskalender mit dem Hl. Hilarius v. Poitiers, Tag 11

Daß die Ansichten der Meisten über das Buch der Psalmen verschieden sind, wissen wir aus den Schriften selbst, welche sie verfaßt und hinterlassen haben.
Denn einige von den Hebräern wollen, daß dieselben in fünf Bücher eingeteilt werden, so daß bis zu dem 40. Psalm das erste Buch reiche, von dem 40. bis zu dem 71. das zweite Buch, von diesem bis zu dem 88. das dritte Buch, und bis zu dem 105. das vierte Buch, weil alle diese Psalmen an ihrem Ende hätten: „Amen, Amen!“, und daß dann mit dem 150. Psalm. das fünfte Buch schließe.
Andere hingegen waren der Meinung, daß man den Psalmen die Überschrift geben sollte: „Die Psalmen Davids;“ und bei diesem Titel sollte man ihrer Ansicht nach glauben, daß dieselben alle von David verfaßt worden seien.
Wir hingegen nennen und betiteln sie nach dem Zeugnisse des Apostels: „Das Buch der Psalmen.“ Denn wir wissen, daß es in der Apostel-Geschichte (Apg 1,20) so heiße: „Es steht nämlich in dem Buche der Psalmen geschrieben: „Verödet stehe seine Behausung, und sein Aufseher-Amt erhalte ein Anderer!“ (Psalm 68,26; 108,8)
Demnach darf weder nach einigen Hebräern die Einteilung in fünf Bücher, noch nach der Einfalt der Meisten die Aufschrift: „Die Psalmen Davids“ angenommen werden; sondern man muß nach dem Zeugnisse des Apostels anerkennen, daß es „Das Buch der Psalmen“ sei.

(Tractatus super psalmos, Vorrede 1)

Daß es eine Einteilung (neben anderen!) des Psalters in fünf Bücher (nach der jüdischen, „hebräischen“, Tradition) aufgrund der angesprochenen vier Doxologien („Amen, amen“) gibt, ist eine unbezweifelbare Tatsache, die ja der Hl. Hilarius als solche auch keineswegs bestreitet.
Viel deutlicher hingegen seine ganz „modern“ anmutende Kritik an der „Einfalt“ der ‚sehr vielen‘, die naiv die Autorschaft Davids für alle Psalmen propagierten.
Vor diesem Hintergrund erschien mir die Formulierung zum Schluß des obigen Abschnitts, die Einteilung in fünf Bücher dürfe „nicht angenommen werden“ aus der älteren (1833) Übersetzung eigentümlich.
Im lateinischen Original klingt es dann auch durchaus anders:

Ergo neque quosdam Hebraeos quinque libri, neque secundum plurimorum simplicitatem Psalmi David dicendi sunt: sed secundum apostolicam auctoritatem Liber psalmorum esse noscendus est.

Was ich etwa übersetzen würde:

Daher sollten sie [sc. Die Psalmen] weder nach einigen Hebräern die ‚Fünf Bücher‘, noch nach der Einfalt sehr vieler ‚Die Psalmen Davids‘ genannt werden, sondern nach der apostolischen Autorität sollten sie als „Das Buch der Psalmen‘ gekannt sein.

Ich verstehe den Hl. Hilarius hier daher so, daß er sich dem Buch der Psalmen erstens durchaus wissenschaftlich-kritisch nähert, das Bestehen der älteren, jüdischen Tradition zweitens durchaus nicht leugnet, drittens aber darauf hinweist, daß es eine sehr früh einsetzende christliche Tradition der Bezeichnung gibt, deren apostolische Autorität sie für Christen verbindlich machen sollte.

Und ich bin der Meinung, diese Sicht der Dinge ist die einzig angemessene, egal ob im 4. oder im 21. Jahrhundert. Der Hl. Hilarius war m.E. ganz offenbar weiter, als alle die in der Folgezeit (und zum Teil bis heute!) vom Verbindlichkeit garantierenden ‚Urtext‘ träumten, der doch immer fiktiv bleiben wird.
Merke erneut: Nur weil einer (schon lange) tot ist, war er noch lange nicht dümmer – manchmal im Gegenteil… 😉

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