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Die Glocke

Die Glocke

Ein Sketchlet für fünf Schafe, ein Mufflon und beliebig viele Schafstatisten

 

Wundersdorf im Oderbruch, Schafweide.

Ach ja! Seit das Mufflon in Erfurt auf einer Spezialschule ist, ist es wirklich nur noch selten zu Hause. Um so mehr freuen sich die Schafe, wenn es mal wieder zu Besuch kommt. Irgend etwas Interessantes hat es immer im Gepäck, und dank der freundschaftlichen Beziehungen der Herde in die Kulturstadt haben alle Schafe für seine Berichte aus den Thüringer Lokalredaktionen ein offenes Ohr. Gerade sind sie mitten in einem Gespräch über ein spannendes Thema.

Flocke: Wieso? Glocken klingen doch immer schön zusammen …

Wolle: Bim – bam – bim – bam (sie sieht Flocke auffordernd an und gibt einen Einsatz)

Flocke: Oh, wie wohl ist miir am Ahabend, miir am Ahabend, wenn …

Kohle: Könnt ihr mal aufhören?! Ich wollte das eigentlich noch fertig hören!

Das Mufflon: Naja, je nach Form und Länge ich glaube insbesondere der Flanke mischt so eine Glocke die Obertonreihe anders zusammen – also bei einer Glocke hört man ja nicht nur einen Ton.

Kohle (berichtigt): Bei keinem Instrument hört man nur einen Ton.

Das Mufflon: Ja, klar. Und damit die Glocken nicht dissonant zusammen klingen …

Kohle: Soweit ich weiß, reicht, um Dissonanzen zu erzeugen, eine einzige Glocke.

Das Mufflon: Das stimmt. Der Unterton macht nämlich die Dissonanzen.

Wolle: Und? Was gibt’s denn in Weimar in puncto Glocken so für Untertöne?

Das Mufflon: Also ursprünglich war es eine harmonische Disposition, ein H-Dur-Akkord.

Blütenweiß: Und jetzt ist eine vierte Glocke dazu gekommen?

Das Mufflon: Richtig! (Er liest aus einem kleinen Zeitungsartikel vor): „Die frisch gegossene Glocke für die katholische Herz-Jesu-Kirche ist gestern“ (er blickt auf): also am Dienstag (liest weiter): „vom Glockensachverständigen des Bistums Erfurt geprüft und für gut befunden worden. Die neue Glocke wurde in der sogenannten Ulrich-Rippe gegossen. Diese …“

Die Schafe (durcheinander): Was sagst du da? – „Ulrich-Rippe“??? – Das sieht ihnen ähnlich! – Dazu sind die Wessis gut genug! – Da war der Mann noch nicht richtig Bischof …

Das Mufflon (verdreht die Augen): Die Ulrich-Rippe ist doch nicht die Rippe von Bischof Ulrich! Ihr Schafe!

Blütenweiß: Nein?

Grauchen: Dann bin ich ja beruhigt.

Wolle: Wir dachten …

Flocke: … wie bei Adam und Eva.

Das Mufflon (genervt): Das war ein Übersetzungsfehler.

Kohle: Was du nicht sagst!

Flocke (bleibt beim Thema): Aber warum dann „Ulrich“?

Das Mufflon: Das ist der Nachname des Glockengießers der übrigen Glocken in Herz-Jesu. Die hat er 1891 gegossen.

Blütenweiß: Ach! Und die alte Form hat man noch?

Das Mufflon: Doch nicht die Form! Die Zeichnung! Die Form geht bei jedem Glockenguß kaputt.

Grauchen: Das ist aber schade!

Das Mufflon: So ist das aber nun mal. Aber wenn man verwandte Glocken haben will, deren Klang sich schön mischt, dann rechnet man die Proportionen einer Grundform auf die verschiedenen Größen herunter – gießt also immer dieselbe Rippe.

Wolle: Und warum jetzt „Rippe“?

Das Mufflon: Das ist einfach eine Assoziation. Von der Zeichnung her. Weil die Glockenform im Querschnitt wie eine Rippe aussieht.

Flocke (hat es endlich begriffen, zufrieden): Aber keine Rippe von Bischof Ulrich.

Kohle (ernst): Hm! Nach allem was man so über die selbsternannte „Gemeindeleitung“ aus Weimar hört, wird Bischof Ulrich auch auf nichts verzichten können, was ihn irgendwie stabilisiert …

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

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