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Sketch des Monats: Die Laufschriftanzeige

Pünktlich zu Monatsbeginn der aktuelle Sketch.

Vorgestern erst haben wir festgestellt, daß die Zeiten sich ändern und siehe da, unsere Brüder und Schwestern in Wundersdorf finden wir ganz an der Spitze der Bewegung:

 

Die Laufschriftanzeige

(Wundersdorf, Marienkirche. Bauarbeiter stemmen mit Presslufthämmern die Altarstufen auf. Es ist staubig und laut. Corinna steht mit in die Seiten gestützten Armen inmitten des Kirchenschiffs und beaufsichtigt die Arbeiten.)

 

Karl (kommt hereingestürmt; brüllt gegen den Lärm an): Hallo, Corinna! Was ist denn hier los?

Corinna (brüllt zurück): Hallo, Karl! LED-Laufschriftanzeige.

(Die Arbeiter machen eine Pause, es ist plötzlich ruhig.)

Karl (erleichtert über die Ruhe): Ah! – Was für eine LED-Anzeige?

Corinna: Übersetzung der lateinischen Messtexte – wegen „universae ecclesiae“, du weißt schon.

Karl: Was? Ich verstehe überhaupt nichts!

Corinna (unfreundlich und gereizt): „Universae ecclesiae“! Kriegst du denn überhaupt nichts mit? Es wird ernst!

Karl (bleibt ganz ruhig): Ich weiß, was „universae ecclesiae“ ist. Aber ich weiß nicht, was das mit unseren Altarstufen zu tun hat.

Corinna: Wann warst du denn das letzte Mal im Theater?

Karl: Vor vier Wochen ungefähr, warum?

Corinna: Und – was siehst du da?

Karl: Corinna, was soll das? Worauf willst du hinaus? Ich will wissen, warum hier kurz nach Abschluss aller Bauarbeiten die Altarstufen aufgerissen werden, und du fängst mit dem Theater an!

Corinna: Im Theater wird auch der gesungene Text im Display gezeigt, damit die Leute ihn mitlesen und verstehen können…

Karl: … und sich wundern können, warum die Inszenierung dem Text widerspricht … ok! Was hat das mit unserer Kirche zu tun? Wollt ihr das jetzt hier genauso machen?

Edith (hat, von den beiden unbemerkt, ebenfalls die Kirche betreten und gesellt sich hinzu): Hallo allerseits. Wie sieht’s denn hier aus? (Sie hustet demonstrativ und wedelt Staub aus der Luft)

Karl: Hallo, Edith! Ich kapier’ auch noch nicht so ganz, was los ist.

Corinna (tut total genervt): Wir müssen anfangen, Messen in der außerordentlichen Form anzubieten, so tridentinische…

Edith (unterbricht sie): Super! Endlich!!! Ich komme!

Corinna: … und da fand ich es gut, wenn wir den deutschen Text zum Mitlesen anbieten – bzw. die lateinischen Antworten der Gemeinde.

Edith: Steht das nicht alles im Gotteslob?

Corinna (verächtlich): Im Buch blättern ist doch wirklich nicht mehr zeitgemäß! Das ist doch heute alles viel komfortabler möglich.

(Karl und Edith blicken sich an.)

Karl: Du willst während der Messfeier da irgendeine Leuchtschrift über die Stufen laufen lassen?

Corinna: Ja!

Edith: Damit überhaupt keine Atmosphäre mehr aufkommt – wie im Theater?

Corinna (scharf): Es geht nicht um irgendeine „Atmosphäre“, sondern darum (plötzlich sehr salbungsvoll), dass die MENSCHEN die BOTSCHAFT Jesu Christi VERSTEHEN können.

Karl: Botschaft! Aha! – Aber sag mal, wir hatten doch letzte Woche Vorstandssitzung. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir da drüber gesprochen haben.

Corinna: Man muss auch nicht alles besprechen!

Edith: Von allem andern abgesehen, Corinna … die Altarstufen … die sieht man doch von weiter hinten gar nicht, wenn die Bänke voll sind.

Corinna (böse): Wo willst du’s denn installieren? Da, wo jetzt INRI steht?

Karl: Corinna, reiß dich zusammen. Außerdem macht ein noch schlechterer Vorschlag den schlechten nicht gut.

Corinna: Ach, lass mich doch endlich mit deinen komplizierten Ideen in Ruhe! (Sie verschwindet eilig in Richtung Sakristei.)

Edith (lakonisch): Weg ist sie.

Karl (ebenso): Hm. Dialog in der Kirche von seiner stärksten Seite.

Edith: Jedenfalls gut, dass sie damals nicht den Zentralaltar durchgedrückt haben…

Karl: … sonst stünde da jetzt womöglich eine Litfasssäule!

Edith: Jetzt mal im Ernst: Hast du verstanden, worum es eigentlich geht?

Karl: Nein. Aber ich muss an Hans Conrad Zander denken.

Edith: Wo er Montaigne zitiert?

Karl: Genau! Wenn man alles tut, um verbal allen alles verständlich zu machen, wird uns die wichtigste Erkenntnis nicht zuteil…

Edith: … die Erkenntnis nämlich, dass die Gottheit ein Geheimnis ist, das kein Mensch je verstehen wird.

(Die Arbeiter beginnen wieder, mit dem Presslufthammer zu arbeiten. Karl winkt Edith zu und sie verlassen gemeinsam die Kirche.)

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß sich bei uns in Weimar das Theater so nahe an der Kirche befindet, daß niemand auf so eine Idee käme!

(Und wer nochmal was zu universae ecclesiae lesen möchte findet hier und hier Lesestoff und hier die erwartbaren traurigen offiziellen Reaktionen aus Deutschland)

 

 

2 Trackbacks/Pingbacks

  1. […] vatikanische Instruktion Universae Ecclesiae hatte PuLa ja schon einmal gestreift. Sie erinnern sich: In ihr wird vorgeschrieben daß und wie im einzelnen Messen im […]

  2. […] wie da unbegründet ist. Aber wer, wie u.a. die Figur der Wundersdorfer „Corinna“ (vgl. auch „Die Laufschriftanzeige“), ein künstliches Autoritätsgefälle unter den Ehrenamtlern durch möglichst finales Vorenthalten […]

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