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Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 9

For example, Mr. Blatchford attacks Christianity because he is mad on one Christian virtue: the merely mystical and almost irrational virtue of charity. He has a strange idea that he will make it easier to forgive sins by saying that there are no sins to forgive. Mr. Blatchford is not only an early Christian, he is the only early Christian who ought really to have been eaten by lions. For in his case the pagan accusation is really true: his mercy would mean mere anarchy. He really is the enemy of the human race—because he is so human. (Ch. III, The Suicide of Thought)

Zum Beispiel: Mr. Blatchford attackiert das Christentum, weil ihn eine christliche Tugend verrückt macht: Die bloß mystische und fast irrationale Tugend der Nächstenliebe. Er hat da eine seltsame Idee, daß er es einfacher machen könnte, Sünden zu vergeben, indem er sagt, daß es keine Sünden zu vergeben gibt.
Mr. Blatchford ist nicht nur einer der ‚Frühen Christen’, er ist der einzige frühe Christ, der wirklich von den Löwen hätte gefressen werden sollen. Denn in seinem Fall trifft der Vorwurf des Heidentums wirklich zu: Seine Barmherzigkeit würde bloße Anarchie bedeuten.
Er ist wirklich ein Feind der Menschheit – weil er so menschenfreundlich ist.

(Kap. III, Der Selbstmord des Denkens)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 8

The modern world is not evil; in some ways the modern world is far too good. It is full of wild and wasted virtues. When a religious scheme is shattered (as Christianity was shattered at the Reformation), it is not merely the vices that are let loose. The vices are, indeed, let loose, and they wander and do damage. But the virtues are let loose also; and the virtues wander more wildly, and the virtues do more terrible damage. The modern world is full of the old Christian virtues gone mad. The virtues have gone mad because they have been isolated from each other and are wandering alone. Thus some scientists care for truth; and their truth is pitiless. Thus some humanitarians only care for pity; and their pity (I am sorry to say) is often untruthful. (Ch. III, The Suicide of Thought)

Die moderne Welt ist nicht böse; in mancher Hinsicht ist die moderne Welt viel zu gut. Sie ist voller wilder und vergeudeter Tugenden. Wenn ein religiöses System zerbrochen wird (wie das Christentum durch die Reformation zerbrochen wurde), werden nicht nur die Laster losgelassen. Die Laster werden tatsächlich losgelassen, sie wandern umher und richten Schaden an. Aber auch die Tugenden werden freigelassen; und die Tugenden wandern noch wilder umher und richten noch schrecklicheren Schaden an.
Die moderne Welt ist voller alter, verrückt gewordener christlicher Tugenden. Die Tugenden sind verrückt geworden, weil sie voneinander isoliert wurden und nun allein umherwandern. So legen manche Wissenschaftler Wert auf die Wahrheit; und ihre Wahrheit ist erbarmungslos. So legen manche humanistischen Wohltäter nur Wert auf Mitleid; und ihr Mitleid (es tut mir leid, das sagen zu müssen) ist oft unwahrhaftig. (Kap. III, Der Selbstmord des Denkens)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 7

As we have taken the circle as the symbol of reason and madness, we may very well take the cross as the symbol at once of mystery and of health. Buddhism is centripetal, but Christianity is centrifugal: it breaks out. For the circle is perfect and infinite in its nature; but it is fixed for ever in its size; it can never be larger or smaller. But the cross, though it has at its heart a collision and a contradiction, can extend its four arms for ever without altering its shape. Because it has a paradox in its centre it can grow without changing. The circle returns upon itself and is bound. The cross opens its arms to the four winds; it is a signpost for free travellers.
(Ch II, The Maniac)

So wie wir den Kreis als Symbol der Vernunft und zugleich des Wahnsinns genommen haben, können wir das Kreuz sehr wohl als Symbol des Mysteriums und der Gesundheit zugleich nehmen.
Der Buddhismus ist zentripetal, das Christentum aber ist zentrifugal: es bricht aus.
Denn der Kreis ist vollkommen und unendlich in seiner Natur; aber seine Größe ist für immer festgelegt; er kann nie größer oder kleiner werden.
Aber das Kreuz, obwohl es in seinem Herzen einen Zusammenstoß und einen Widerspruch hat, kann seine vier Arme für immer ausdehnen, ohne seine Form zu verändern. Weil es in seinem Zentrum ein Paradoxon hat, kann es wachsen, ohne sich zu verändern. Der Kreis kehrt zu sich selbst zurück und ist gebunden.
Das Kreuz öffnet seine Arme in die vier Winde; es ist ein Wegweiser für jene, die frei unterwegs sind.
(Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 6

The sane man knows that he has a touch of the beast, a touch of the devil, a touch of the saint, a touch of the citizen. Nay, the really sane man knows that he has a touch of the madman. But the materialist’s world is quite simple and solid, just as the madman is quite sure he is sane. The materialist is sure that history has been simply and solely a chain of causation, just as the interesting person before mentioned is quite sure that he is simply and solely a chicken. Materialists and madmen never have doubts.
(Ch II, The Maniac)

Der geistig gesunde Mensch weiß, daß er etwas von einem Tier, etwas vom Teufel, etwas vom Heiligen und etwas vom Bürger in sich trägt. Ja, der wirklich vernünftige Mensch weiß sogar, daß er etwas von einem Verrückten in sich trägt. Die Welt des Materialisten jedoch ist ganz einfach und solide, genau wie der Verrückte ganz sicher ist, dass er geistig gesund ist. Der Materialist ist sicher, daß die Geschichte einfach und ausschließlich eine Kausalkette war, genau wie die zuvor erwähnte interessante Person ganz sicher ist, daß sie einfach und ausschließlich ein Huhn ist.
Materialisten und Verrückte haben nie Zweifel.
(Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 5

 There is a sceptic far more terrible than he who believes that everything began in matter. It is possible to meet the sceptic who believes that everything began in himself. He doubts not the existence of angels or devils, but the existence of men and cows. […] That publisher (vgl. Tag 1) who thought that men would get on if they believed in themselves, those seekers after the Superman who are always looking for him in the looking-glass, […] all these people have really only an inch between them and this awful emptiness. Then when this kindly world all round the man has been blackened out like a lie; when friends fade into ghosts, and the foundations of the world fail; then when the man, believing in nothing and in no man, is alone in his own nightmare, then the great individualistic motto shall be written over him in avenging irony. The stars will be only dots in the blackness of his own brain; his mother’s face will be only a sketch from his own insane pencil on the walls of his cell. But over his cell shall be written, with dreadful truth, „He believes in himself.“ (Ch II, The Maniac)

Es gibt einen Skeptiker, der weitaus schrecklicher ist als der, der glaubt, daß alles mit der Materie begann. Es ist möglich, dem Skeptiker zu begegnen, der glaubt, daß alles in ihm selbst begann. Er bezweifelt nicht die Existenz von Engeln oder Teufeln, sondern die Existenz von Menschen und Kühen. […]
Dieser Verleger (vgl. Tag 1), der dachte, dass die Menschen weiterkommen würden, wenn sie an sich selbst glaubten, diejenigen, die nach dem Übermenschen Ausschau halten, und ihn immer im Spiegel suchen, […] all diese Menschen haben in Wirklichkeit nur einen Zoll zwischen sich und dieser schrecklichen Leere.
Wenn dann diese freundliche Welt rund um den Menschen schwarz wie eine Lüge geworden ist; wenn Freunde zu Geistern verblassen und die Grundfesten der Welt versagen; wenn dann der Mensch, der an nichts und an niemanden glaubt, allein in seinem eigenen Albtraum ist, dann wird das große individualistische Motto in rachevoller Ironie über ihn geschrieben werden.
Dann, wenn die Sterne nurmehr Punkte in der Schwärze seines eigenen Gehirns sind und das Gesicht seiner Mutter nichts als eine Skizze von seinem eigenen verrückten Bleistift an die Wände seiner Zelle gekritzelt.
Dann aber soll über seiner Zelle mit schrecklicher Wahrhaftigkeit geschrieben stehen: „Er glaubt an sich selbst.“ (Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 4

[…] I have described at length my vision of the maniac for this reason: that just as I am affected by the maniac, so I am affected by most modern thinkers. That unmistakable mood or note that I hear from HanwellI hear also from half the chairs of science and seats of learning to-day; and most of the mad doctors are mad doctors in more senses than one. They all have exactly that combination we have noted: the combination of an expansive and exhaustive reason with a contracted common sense. They are universal only in the sense that they take one thin explanation and carry it very far. But a pattern can stretch for ever and still be a small pattern. They see a chess-board white on black, and if the universe is paved with it, it is still white on black. Like the lunatic, they cannot alter their standpoint; they cannot make a mental effort and suddenly see it black on white. (Ch II, The Maniac)

Ich habe meine Sicht auf den Wahnsinnigen aus folgendem Grund so ausführlich beschrieben: So wie mich der Wahnsinnige berührt, so werde ich auch von den meisten modernen Denkern berührt. Diese unverwechselbare Stimmung, diese spezielle Note, die ich aus Hanwell wahrnehme, ich höre sie heute auch von der Hälfte der Lehrstühle der Naturwissenschaft und den Sitzen höherer Bildung; und die meisten der Irrenärzte sind in mehr als einer Hinsicht Irre(n)-Ärzte. Sie alle weisen genau die Kombination auf, die wir festgestellt haben: die Kombination einer umfassenden und erschöpfenden Vernunft mit einem eingeschränkten gesunden Menschenverstand.
Sie sind nur in dem Sinne universell, dass sie eine dünne Erklärung nehmen und sehr weit mit ihr laufen. Aber ein Muster kann sich endlos ausdehnen und dennoch ein kleines Muster sein. Was sie sehen, ist ein Schachbrett weiß auf schwarz, und wenn das Universum damit gepflastert wäre, es wäre immer noch weiß auf schwarz.
Wie der Wahnsinnige können sie ihren Standpunkt nicht ändern; sie können keine geistige Anstrengung unternehmen und es plötzlich schwarz auf weiß sehen. (Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 3

Imagination does not breed insanity. Exactly what does breed insanity is reason. Poets do not go mad; but chess-players do. Mathematicians go mad, and cashiers; but creative artists very seldom. I am not, as will be seen, in any sense attacking logic: I only say that this danger does lie in logic, not in imagination. Artistic paternity is as wholesome as physical paternity. (Ch II, The Maniac) 

 

Künstlerische Vorstellungskraft führt nicht zum Wahnsinn. Was den Wahnsinn hervorbringt, ist genau die Vernunft. Dichter werden nicht verrückt; Schachspieler schon. Mathematiker werden verrückt und Kassierer; aber kreative Künstler sehr selten. Ich greife, wie man sehen wird, die Logik in keiner Weise an: Ich sage nur, dass diese Gefahr in der Logik liegt, nicht in der Vorstellungskraft. Künstlerische Vaterschaft ist etwas ebenso gesundes wie körperliche Vaterschaft. (Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 2

This is why ordinary people have a much more exciting time; while odd people are always complaining of the dulness of life. This is also why the new novels die so quickly, and why the old fairy tales endure for ever. The old fairy tale makes the hero a normal human boy; it is his adventures that are startling; they startle him because he is normal. But in the modern psychological novel the hero is abnormal; the centre is not central. Hence the fiercest adventures fail to affect him adequately, and the book is monotonous. You can make a story out of a hero among dragons; but not out of a dragon among dragons. The fairy tale discusses what a sane man will do in a mad world. The sober realistic novel of to-day discusses what an essential lunatic will do in a dull world. (Ch II, The Maniac)

 

Aus diesem Grund haben gewöhnliche Menschen eine viel aufregendere Zeit, während sich geistig seltsame Menschen immer über die Eintönigkeit des Lebens beschweren. Aus diesem Grund überleben auch die neuen Romane nie lange, und aus diesem Grund halten die alten Märchen für immer aus. In den alten Märchen ist der Held ein normaler, menschlicher Junge; seine Abenteuer sind es, die ihn erschrecken; sie erschrecken ihn, weil er normal ist.
Doch im modernen psychologischen Roman ist der Held anormal; das Zentrum ist nicht zentral. Daher versagen die wildesten Abenteuer dabei, ihn ausreichend zu berühren, und das Buch ist eintönig. Man kann von einem Helden unter Drachen eine Geschichte schreiben, aber nicht von einem Drachen unter Drachen. Im Märchen geht es darum, was ein vernünftiger Mensch in einer verrückten Welt tun würde. Der nüchterne, realistische Roman von heute befaßt sich damit, was ein im Grunde Wahnsinniger in einer langweiligen Welt tun würde. (Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 1

Thoroughly worldly people never understand even the world; they rely altogether on a few cynical maxims which are not true. Once I remember walking with a prosperous publisher, who made a remark which I had often heard before; it is, indeed, almost a motto of the modern world. Yet I had heard it once too often, and I saw suddenly that there was nothing in it. The publisher said of somebody, „That man will get on; he believes in himself.“ And I remember that as I lifted my head to listen, my eye caught an omnibus on which was written „Hanwell.“ I said to him, „Shall I tell you where the men are who believe most in themselves? For I can tell you. I know of men who believe in themselves more colossally than Napoleon or Caesar. I know where flames the fixed star of certainty and success. I can guide you to the thrones of the Super-men. The men who really believe in themselves are all in lunatic asylums.“ […]
And to all this my friend the publisher made this very deep and effective reply, „Well, if a man is not to believe in himself, in what is he to believe?“ After a long pause I replied, „I will go home and write a book in answer to that question.“ (Ch II, The Maniac)

 

Durch und durch weltliche Menschen verstehen nicht einmal die Welt; sie verlassen sich ganz und gar auf ein paar zynische Maximen, die nicht wahr sind. Ich erinnere mich, einmal mit einem wohlhabenden Verleger spazieren gegangen zu sein, der eine Bemerkung machte, die ich schon oft gehört hatte; es ist in der Tat beinahe ein Motto der modernen Welt. Doch ich hatte es einmal zu oft gehört und sah plötzlich, daß es hohl war. Der Verleger sagte über jemanden: „Dieser Mann wird weiterkommen; er glaubt an sich selbst.“ Und ich erinnere mich, daß, als ich meinen Kopf hob, um zuzuhören, mein Blick auf einen Omnibus fiel, auf dem „Hanwell“ stand. Ich sagte zu ihm: „Soll ich Ihnen sagen, wo die Männer sind, die am meisten an sich selbst glauben? Denn ich kann es Ihnen sagen. Ich kenne Männer, die kolossaler an sich selbst glauben als Napoleon oder Cäsar. Ich weiß, wo der Fixstern der Gewißheit und des Erfolgs brennt. Ich kann Sie zu den Thronen der Übermenschen führen. Die Männer, die wirklich an sich selbst glauben, sind alle in Irrenanstalten.“ […]

Und auf all das gab mein Freund, der Verleger, diese sehr tiefgründige und wirkungsvolle Antwort: „Nun, wenn ein Mensch nicht an sich selbst glauben soll, woran soll er dann glauben?“ Nach einer langen Pause antwortete ich: „Ich werde nach Hause gehen und als Antwort auf diese Frage ein Buch schreiben.“ (Kap. II, Der Wahnsinnige)

Der Chesterton-Adventskalender 2024, Vorabend

Ja, ich weiß. Wir hatten hier schon einmal einen Chesterton-Adventskalender. Das war im Jahr 2011 und es war der erste Adventskalender auf PuLa überhaupt, hier.

Und ich will ehrlich sein, dies ist tatsächlich “Plan C” für die 24 “Türchen” dieses Jahres.
“Plan A” war die Beschäftigung mit Person und Werk Heinr…
Aber halt, das verrate ich lieber doch nicht und füge nur hinzu, daß “Plan B” war, aus einem faszinierenden und weitgehend vergessen gemachten (!) Werk katholisch geprägter deutscher Geschichtsschreibung des 19 Jahrhundert (ja, so etwas gab es!!) zu berichten.
Auf beides hatte ich richtig Lust und habe sie im Prinzip natürlich immer noch, aber da ich mich ja immer noch nicht in Pension befinde 😉 , sondern im Gegenteil gerade mehr und vor allem intensiver arbeite, als die letzten Jahre (eine Langzeitvertretung) hatte ich schlicht weder Zeit noch Kraft für die zwingend erforderliche Recherche, denn zu beiden Themen gibt es nichts, aus dem man einfach Auszüge zurecht machen könnte.

Also habe ich ein bißchen muffelig, wenn Sie so wollen, wieder angefangen, ganz wie vor 13 Jahren auf den täglichen Zugfahrten nach und von Erfurt in einem Werk Chestertons zu lesen, näherhin in “Orthodoxy” (1908), das ich zwar natürlich kannte, aber auch schon wieder Jahre nicht gelesen hatte.

Advent, Advent (ok, noch nicht ganz…)

Und wenn ich 2011 über die Lektüre von “The everlasting man” geschrieben habe: 

Noch nachträglich bitte ich meine Mitfahrer in den Zügen zwischen Erfurt und Weimar um Nachsicht, wenn ich gelegentlich über der Lektüre laut losgeprustet habe, kann aber ehrlicherweise nicht versprechen, es nicht wieder zu tun!”

dann kann ich heute nur feststellen, daß sich insoweit nichts geändert hat – glücklicherweise! Denn Chesterton-Lektüre führt unwillkürlich dazu, daß man vor Lachen innehalten muß, innehalten, weil man ruckartig Distanz gewonnen hat zu dem Irrsinn, der einen, nicht zuletzt kirchlicherseits, gerade umgibt.

Was sich sehr geändert hat, sind hingegen die “Produktionsbedingungen”! Mußte ich damals jedes Stückchen Text händisch eingeben, so findet sich heute der englische Text auf “Project Gutenberg” quasi sofort, hier.

Und während damals die elektronische Übersetzung doch noch arg in den Kinderschuhen steckte, so liefert sie heute auf Anhieb recht ordentlich verwertbare Ergebnisse, egal, was man vom allgegenwärtigen Schlagwort “KI” so halten mag. Nacharbeit ist schon immer noch erforderlich, aber sie fällt leichter und macht so mehr Spaß.

Tatsächlich habe ich von “Orthodoxy” sogar eine deutsche Übersetzung zur Verfügung, sie ist im Jahr 2000 als sehr hübsches Buch

„Orthodoxie“, Frankfurt, Main, 2000

in der sehr verdienstvollen Reihe: “Die andere Bibliothek” im Eichborn Verlag erschienen.

„Orthodoxie“, Frontispiz

Aber ich habe nicht nur viel zu viel Achtung vor der schutzwürdigen (und geschützten) Leistung des damaligen Übersetzerpaares, nein, ich strebe auch, wie damals schon, eher weniger eine “literarisch” geglättete, sondern vielmehr eine eher wörtliche (wenn auch daher manchmal vielleicht holprige) Übertragung an, die uns näher an den englischen Ausgangstext bringt; und manchmal bin ich auch einfach nicht einverstanden mit den damaligen Übersetzungsentscheidungen. 

Martin Mosebach schreibt in seinem Vorwort zu der deutschen Ausgabe:

Zu der Spannung, die [Chestertons] Buch belebt, gehört die radikale Subjektivität, mit der er die radikale Antisubjektivität seines Gegenstandes preist.

Das ist sehr gut gesehen und es handelt sich um eine heitere und eine heilsame Spannung, die sich, s.o., nicht zufällig immer wieder in einem befreienden Lachen entlädt!

Und so gilt auch für das jetzt beginnende neue Kirchenjahr wieder:

Kostprobe gefällig?

I freely confess all the idiotic ambitions of the end of the nineteenth century. I did, like all other solemn little boys, try to be in advance of the age. Like them I tried to be some ten minutes in advance of the truth. And I found that I was eighteen hundred years behind it. […] It may be, Heaven forgive me, that I did try to be original; but I only succeeded in inventing all by myself an inferior copy of the existing traditions of civilized religion. […] I did try to found a heresy of my own; and when I had put the last touches to it, I discovered that it was orthodoxy.

Ich gestehe offen all die idiotischen Ambitionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein. Ich habe, wie alle anderen feierlichen kleinen Jungen, versucht, der Zeit voraus zu sein. Wie sie habe ich versucht, der Wahrheit etwa zehn Minuten voraus zu sein. Und ich stellte fest, daß ich achtzehnhundert Jahre hinter ihr zurückgeblieben war. […] Es mag sein, der Himmel möge mir vergeben, daß ich versucht habe, originell zu sein; aber es ist mir lediglich gelungen, ganz auf mich allein gestellt, eine minderwertige Kopie der bestehenden Traditionen zivilisierter Religion zu erfinden. […]
Ich habe versucht, meine eigene Häresie zu begründen; und als ich ihr den letzten Schliff gegeben hatte, entdeckte ich, daß es Orthodoxie war.

 

Morgen geht’s los!

 

Gereon Lamers