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Sketch des Monats: Die Katastrophenübung

Ein Sketch für acht Personen und ein rundes Dutzend Schafe

Wundersdorf, in der Pfarrkirche Maria Hilf.
Noch immer ist das kleine Städtchen Zentrum eines Reservats für Ungeimpfte, das die Regierung im Herbst 2021 eingerichtet hat. Davon völlig unberührt, herrscht in der katholischen Kirche Betrieb. Eine achtköpfige Gruppe um Silke hat sich auf den Ministrantenstühlen vor einem ehemaligen Seitenaltar breit gemacht und steckt unter fortwährender munterer Unterhaltung eine schwer überschaubare Menge hölzerner Flöten unterschiedlichster Größen zusammen. Einige Schafe tummeln sich zu ihren Füßen. Etwas abseits lehnt ein junger Mann an der Säule, der die ganze Aktion mit gemischten Gefühlen zu beobachten scheint. Schummerig erhellt wird die Szenerie durch etliche Kerzen, die auf den Seitenaltären und dem Hauptaltar aufgestellt sind. Der ständige Luftzug bläst dicke Wachstropfen die Kerzen hinab und verwandelt die Leuchter in malerische Skulpturen.

Was ist los? Könnte vielleicht mal jemand Licht machen? Oder wird hier gleich eine Roratemesse nachgeholt?

 

Karl (betritt die Kirche, stutzt, bekreuzigt sich aber selbstverständlich erst einmal ordentlich, bevor er an die Musikgruppe herantritt): Guten Abend!

Die Musikerinnen und Musiker (durcheinander): N’Abend! – Grüß dich, Karl! – Guten Aaaabend! – Na, wie ist die Lage ‚draußen‘? – Schön, dich zu sehen! (Silke klappt einen Notenständer auseinander.)

Karl (zu Silke): Auch hier? (Er lächelt.)

Silke (legt den Finger auf den Mund): Psst! Ganz geheim. Ausnahmsweise mal! Du weißt ja … die katholische Kirche hat damals auch immer einiges möglich gemacht, was von Staats wegen nicht ging (sie blinzelt Karl zu.)

Karl (nickt): Verstehe! Sehr schön! (Er dreht sich zu dem jungen Mann an der Säule um und reicht ihm die Hand): Guten Abend! Schwarz.

Der junge Mann: Weiß.

Ralf: Herr Weiß ist von Pfarrer Finke als Kantor mitgebracht worden.

Karl (freudig überrascht): Wir haben jetzt hier eine Kantorenstelle?

Silke: Nein. Aber durch die fehlende Jugend-, Senioren- und sonstwas-Arbeit ist so viel Geld übrig, daß Pfarrer Finke jetzt auf Stundenbasis Musiker bezahlt. (Sie strahlt.)

Karl: Gute Idee! Woanders plätteln sie mit dem Geld die Pfarrhöfe und tauschen die Schlösser an den Kirchentüren aus … Aber sagt mal … hat die Regierung euch jetzt den Strom abgedreht?

Edith (steckt ihre Flöte unter den Wintermantel, um sie anzuwärmen): Zuzutrauen wär’s ihnen … „als Anreiz, sich impfen zu lassen“ (sie lacht.)

Ralf: Aber das ist es nicht.

Silke: Wir proben den deutschlandweiten Black Out.

Karl: Den wie bitte was? Pfarrer Finke hat wohl kein Vertrauen in die erneuerbaren Energien? (Er lacht.)

Antonia: Zum einen das …

Lisa: … zum andern … hast du nicht gelesen? Die österreichische Regierung rechnet damit, daß das durch den Ukrainekonflikt ganz schnell gehen kann.

Freddy: Cyberangriff und zack aus!

Karl: Ach je! Und jetzt? Was macht ihr hier jetzt?

Silke: Wir proben mit Unterstützung unseres neuen Kantors einen Gemeindegesang ohne Orgel (sie grinst.)

Karl: Mit den Schafen? (Die Schafe blöken ein bißchen.)

Lisa (lacht): Nein, die haben Pause.

Antonia: Die sorgen für ein bißchen Fußwärme.

Karl: Ah! Na, das ist ja altbewährt. Aber ohne Licht?

Ralf: Zum Glück ist es ja nicht das erste Mal, daß wir in einer dunklen Kirche spielen.

Edith: Damals war sie noch viel dunkler! Bei der Taschenlampenführung. Bloß unsere kleinen Lämpchen an den Notenständern …

Antonia (in dozierendem Tonfall): Das ist das A und O im Katastrophenschutz! Vorbereitet sein! (Sie klappt triumphierend ihren Notenständer auseinander.)

Lisa: Gut, daß wir auch im Lockdown immer weiter geprobt haben … das haben wir fürchte ich sämtlichen Kirchenchören im Land voraus.

Karl: Ein ganzer Kirchenchor im Wohnzimmer wäre ja nun auch wirklich zu viel verlangt …

Silke (mißmutig): Aber im Ensemble in dem großen Kirchenraum hätte man schon einiges machen können! Man muß halt nur wollen …

Karl: Da sagst du was!

Herr Weiß (stößt sich von der Säule ab): So! Kann‘s losgehen? Stellen wir uns unter die Vierung?

In die Gruppe kommt Bewegung und das kleine Holzbläserensemble nimmt vor dem Chorraum Aufstellung. Die Schafe hinterher. Karl setzt sich im Mittelschiff in die Bank.

Herr Weiß (bestätigend): „Alle Tage sing und sage“ (Er hebt die Hände und gibt einen Einsatz. Ein schlichter Choralsatz erklingt. Danach, sichtlich überrascht) Ja … Das klingt ja gar nicht so schlecht!

Silke: Sie haben das Lied aber auch schön gesetzt für unsere Gruppe …

Herr Weiß (verlegen): Naja … einfach übertragen aus den Noten, die ich hatte … Aber ich muß sagen, ich staune, wie schön das klingt, hier in der Kirche. Als ich hörte: Blockflötenensemble … (Er treibt die ihm um die Füße wuselnden Schafe ein wenig auseinander.)

(Die Musikerinnen und Musiker lachen.)

Silke: Na, dann wissen Sie ja, mit welchem Vorurteil Sie ab jetzt bei Ihren Kollegen aufräumen müssen!

Edith: Auf Orgeln ist nun mal im Katastrophenfall strukturell kein Verlaß.

Ralf: Ja! Man kann so schlecht mit ihnen fliehen.

Antonia (lacht): Und die Umrüstung auf Kalkanten ist so aufwendig.

Lisa: Bei Stromausfall unbrauchbar …

Silke: Also mir war dieser ausgeliehene Atem ja schon immer suspekt.

Freddy: Könnten wir jetzt mal weitermachen?

Silke: Entschuldigung. Natürlich. Sie haben sehr schön dirigiert, Herr Weiß.

Herr Weiß: Danke! Ich hab‘s im Studium immer gehaßt …

Edith (gutmütig): Nanana! So ein böses Wort!

Lisa: Aber nun sehen Sie, wie wichtig es ist, daß man auch Tonsatz und Orchesterleitung kann.

Herr Weiß: Da haben Sie recht! Und so schön wie es klingt, bin ich ja auch schon ganz versöhnt mit dieser Aktion hier. Es erinnert mich an eine Exkursion, die wir im Studium mal nach Thüringen hatten. In Schmalkalden im Schloß steht eine der ältesten noch spielbaren Renaissanceorgeln der Welt. (Er macht eine Kunstpause.) Nur Holzpfeifen.

Edith: Und? Was hat das mit unserem Ensemble zu tun?

Herr Weiß: Sie klingen zusammen fast wie diese Orgel …

Die Gruppe stöhnt, lacht dann aber und nimmt sich das nächste Stück vor.

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß auch unsere Instrumentalkreise sich durch vergleichbare Projekte genau heute vor drei Jahren schon auf den Katastrophenfall vorbereitet haben. Und einige wenige Orgeln für den Black Out gibt es beruhigenderweise irgendwo auch noch. Hier ist ein schöner kleiner Film im Netz. Enjoy 🙂

Auch den oben eingebetteten Film über die Renaissanceorgel Schmalkalden legen wir ihnen ganz ausdrücklich ans Herz. Zusätzlich zu Musik und Klangbeispielen u.a. von Martin Sturm, dem Orgelprofessor der HfM Weimar, liefert er eine interessante historische Einordnung der ganzen Schloßanlage durch den Museumsdirektor Dr. Kai Lehmann.

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