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“O thou who changest not, abide with me” (1/3)

Bleiben

 

Heute, am Oktavtag des Ostermontag, möchte ich hier noch ein paar Musikvideos zusammenstellen, deren Kompositionen das „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ der Emmausjünger zum Thema haben:

Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. (Lk 24,29).

Was mich an diesen Stücken schon immer fasziniert hat, ist die Tatsache, wie durch die Dekontextualisierung des Zitats aus einer Floskel der Gastfreundschaft – Sie wollen doch nicht jetzt bei der Dunkelheit noch weiter?! Bleiben Sie hier, im Schutz unseres Hauses, und essen Sie mit uns – ein Gebet zum Herrn wird. Plötzlich ist nicht mehr der fremde Wanderer der Einsame, der potentiell Bedrohte und Schutzbedürftige, sondern wir, die wir die Bitte Christus gegenüber aussprechen: Bleib bei uns. Aus dem schlicht tageszeitlichen „Abend“ der Bibelstelle wird die Dunkelheit im metaphorischen Sinne. Aus dem „Abend“ wird der Tod.

Ich möchte nicht chronologisch vorgehen, sondern nach meinen Vorlieben. Daher kommt hier als erstes das Abendlied, das Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901) mit knapp 16 Jahren schrieb. Es kommt aber nicht in der Version, die ich lange immer gehört habe (von den Cambridge Singers), sondern als Livemitschnitt eines Sofioter Kammerchors. Und zwar WEIL um Minute 1.00 herum jemand hustet. Studioaufnahmen haben wir satt. Das Bewußtsein, daß hier jemand dem Singen zuhören durfte, hat bewirkt, daß mir diese Einspielung des Abendliedes vor allen andern lieb geworden ist. Also: Enjoy 🙂

Das älteste Musikstück, was ich zu diesem Thema zum Nachhören gefunden habe, stammt von dem Thüringer Komponisten Michael Praetorius (eigentlich Schulteis) aus Creuzburg, der ganz irre Lebensdaten hat. Er wurde nämlich am 15. Februar 1571 geboren (hatte also dieses Jahr 450. Geburtstag) und verstarb 1621 (also heuer zugleich 400. Todestag) und zwar ebenfalls am 15. Februar! Wie wir wissen, herrschte in der Antike die Vorstellung, der perfekte Mensch sterbe am Jahrestag seiner Geburt. Also hören wir in die Komposition dieses Auserwählten unbedingt hinein! Der Text der kleinen Motette lautet:

„Bleib bei uns, Herr, denn es will Abend werden,
laß dein Licht leuchten auch zu unsern Zeiten,
dafür wir deinen Namen wolln loben ewig, Amen.“

Und hier kommt die Musik. Enjoy!

Dann hat sich natürlich auch Johann Sebastian Bach im Rahmen seiner Kantatenzyklen für jeden Sonn- und Feiertag im Jahreskreis dieses Themas annehmen müssen. Er hat eine ganze Kantate daraus gemacht: BWV 6 aus dem sogenannten zweiten Leipziger Kantatenjahrgang, also im Frühjahr 1725. Den Text der Kantate finden Sie hier.

Enjoy!

Der erste Chor bringt (wie auch in anderen Kantaten Bachs) das unveränderte Bibelzitat. Im Choral nach der folgenden Arie wird dann die theologische Botschaft der Kantate auf den Punkt gebracht: Das Licht, das die angebrochene Dunkelheit erhellen soll, ist Gottes Wort, zu dessen Befolgung wir Beständigkeit vom Herrn erflehen. Die Trauer um den Abschied vom auferstandenen Herrn dominiert den ersten Chor, und die Musikwissenschaft schlägt aufgrund von gleicher Tonart (c-moll), Motivverwandtschaft (kleiner absteigender Terz) und Grundstimmung die Brücke zum „Ruhet wohl“, das die Johannespassion beendet. Hören Sie deshalb auch in diesen Chor einmal hinein:

„Man spürt, dass Bach beim Komponieren dieser Kantate [BWV 6] den Schlußchor seiner Johannespassion vielleicht nicht mehr auf dem Schreibpult, aber auf jeden Fall noch im Ohr hatte“, hält John Eliot Gardiner in seinem 2016 bei Hanser erschienenen Buch „Bach“ fest (S. 417). Mehr noch: „Während der Epilog der Passion elegisch und tröstlich ist, schwingt in der Kantate die Traurigkeit über den schmerzlichen Verlust mit. […] Die Grundstimmung ist die des Niedergangs und der Verlassenheit“ (ebd.), wozu in BWV 6 die Besetzung mit der Oboe da caccia beiträgt. Sie dient in der durchsemantisierten Klangwelt Johann Sebastian Bachs dem „Ausdruck von Kummer und Pein“ und kommt zum Einsatz, „wenn es großes Leid in Töne zu fassen gilt“ (S. 419). 

 

Fortsetzung folgt

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Ein Trackback/Pingback

  1. […] für den zweiten Teil meines Beitrags über die „Bleib-bei-uns“-Stücke möchte ich die Chronologie unterlaufen und […]

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