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„Ich hab die Nacht geträumet“ (3/3)

Der Rosmarin – der Rosmarien – der Rosmarinenbaum

Die Weimarer Rosmariengasse

In der englischen Sprache finden wir für das Wort Rosmarin regulär eine Form, die im Deutschen nur als Volksetymologie – um nicht zu sagen: Volksetymogelei – existiert, als solche aber immer wieder fröhliche Urständ feiert: Die Loslösung nämlich des Begriffs von seinem lateinischen Ursprung als „ros marinus“ – zu deutsch Meertau – und seine irrtümliche Herleitung aus den Worten (oder Namen) Rose und Maria: rosemary – Rosmarien mit „e“. Diese laut Lexikon definitiv eigentlich falsche Schreibung findet sich im Volkslied „Ich hab die Nacht geträumet“. Während Max Reger die notwendige Silbenzahl durch die Wendung „Rosmarinenbaum“ erreicht, schreibt das Volkslied schlicht und einfach „Rosmarienbaum“ (Abb. aus Erk/ Böhme s.o.)

Auch in der Weimarer Rosmariengasse findet sich rätselhafterweise diese Schreibung wieder.

Rosmariengasse Weimar nähe Herderplatz (eigenes Bild)

Niemand geringeres als der unlängst erst erwähnte Bernd Mende konnte mir nach einiger fruchtloser Recherche die Bedeutung dieser Gasse erklären. Zwar wußte auch er nicht, wie es zu der eigentlich falschen Schreibung kommt. Aber er wußte, wo die Bezeichnung als einziger Kräutername zwischen Karlstraße, Teichgasse und Eisfeld herrührt. Früher in der Nähe der Stadtmauer gelegen, wohnte in den Häusern der Rosmariengasse einst die käufliche Liebe.

 

Die „keuschen Blüten der Volkspoesie“

Und damit sind wir zurück bei den „keuschen Blüten der Volkspoesie“, deren Vertonung durch die „sinnenverwirrenden Farben der modernen Chromatik und Enharmonik“ Regers ein zeitgenössischer Musikrezensent so bedauerte. Wir sind bei den Kinderreimen – dem Unschuldigsten, was die Poesie hervorbringen kann. Oder? Da geht es doch schon wieder um Rosmarin und Thymian im Doppelpack:

Rosmarin und Thymian
wächst in unserem Garten.
Unser Gretchen ist die Braut,
kann nicht länger warten.

Roter Wein und weißer Wein –
morgen soll die Hochzeit sein.

 

Exkurs zu kurzen Kinderreimen

Ich bin versucht, in einem kleinen Exkurs vor kurzen Kinderliedern und Kinderreimen zu warnen. Man überlege sich, wozu Kinderlieder eigentlich gedacht sind: Sie sollen helfen, Kinder geistig zu beschäftigen und abzulenken, wenn sie einen weiten Weg mitgehen oder eine langweilige Arbeit wie Kirschen entsteinen verrichten sollen. Am besten eignen sich hierfür vielstrophige und wiederholungsreiche Lieder, in denen sich jeweils nur wenig Text ändert. Denn alle können sofort mitsingen. Denken Sie etwa an „Zeigt her eure Füße“ oder auch „Wer will fleißige Handwerker sehn“. Kurze Kinderlieder und Kinderreime aber sind – wie meine Tochter jetzt so treffend bemerkte – u.U. nur so unschuldig wie der Mensch, der sie liest oder erinnert. Sie sind zum Teil doppelt codiert und durchaus für Erwachsene. „Spannenlanger Hansl“ ist auch so eine einstrophige Bombe. Ich war deutlich im Erwachsenenalter, als ich begriff, was in diesem kurzen lustigen Lied eigentlich beschrieben ist.

Andererseits: Verglichen mit heutigem Sexualkundeunterricht, der in „Projekttagen“ für Grundschüler und Anatomievorlesungen voller lateinischer Begriffe für kaum schon Jugendliche theoretisches Wissen aufdrängt, bevor es die Adressaten wirklich interessiert, lobe ich mir die Kinderreime dennoch. Man hat sie im Kopf und versteht sie plötzlich, wenn das Verständnis dafür an der Reihe ist.

 

Aphrodites Rosmarin

Zurück zum Rosmarin: „Schon im Altertum wurde der Rosmarin im Mittelmeerraum hoch geschätzt. Er war der Göttin Aphrodite geweiht und symbolisierte die Liebe und die Schönheit. […] In mittelalterlichen Kräuterbüchern spielte er eine wichtige Rolle. […] Der Rosmarin ist eines der wenigen Kräuter, die niedrigen Blutdruck stärken können.“ Und so wurde der Rosmarin „nicht nur gegen allerlei Beschwerden empfohlen, sondern auch zur Stärkung der Potenz“, heißt es auf der Internetseite „Heilkräuter.de“.
Da haben wir mit der Durchblutungsförderung die lebenspendende Wirkung des Rosmarin. Denken Sie an das französische Dornröschen, der die Schläfen mit Rosmarin-Wässerchen eingerieben wurden, um sie aus ihrer Ohnmacht ins Leben zurückzuholen.

 

„Ich hab die Nacht geträumet“

Jetzt haben wir das Rüstzeug zusammen, um erneut auf den Text des „Schweren Traumes“ drauf zu schauen. Wenn hier der Rosmarin nicht den Tod, sondern die körperliche Liebe symbolisiert, wird klar, warum das lyrische Ich das Brechen der immergrünen Krone und das Abfallen der Blüten auf den Tod des Geliebten hindeutet. Da das Gold des Kruges auf Ewigkeitssymbolik – und das heißt eben immer auch Fruchtbarkeit als ewiges Leben in der Abfolge der Generationen – verweist, ein ausgeschütteter Krug gerne für die ‚verlorene Unschuld‘ steht und der Text mit den Perlen und den rosenroten Tröpflein wieder die Farbsymbolik der weißen und roten Tropfen liefert, haben wir die Deutung eigentlich in der Tasche. Und zwar so, daß Reger in seiner an verminderten Akkorden und Durchgangstönen – sprich: an unerhörter Chromatik reichen Vertonung keinesfalls in das Lied hineingelegt hätte, was der Text nicht schon in sich trüge.

Abschließend muß ich mich für diesen doch recht untypischen, aber ich hoffe dennoch nicht uninteressanten PuLa-Artikel entschuldigen. Der metaphysische Schluß von Regers Vertonung, der uns vom zyklischen Denken des erdgebundenen Ich in seinem Garten so unvermittelt weg und in die teleologische Perspektive der Ewigkeit reißt, hat es mir einfach sofort und nachhaltig angetan, als das Lied Anfang Februar in einer meiner WhatsApp-Gruppen herumgeschickt wurde.

Zuletzt habe ich nun noch eine besondere Interpetation des Volksliedes für Sie. Über Syntheziser-Klängen liest eine junge Frau mit geradezu psychedelischer Stimme den Text des „Schweren Traumes“. Ich muß sagen, ich kann da ausgesprochen gut zuhören und werde von der Stimme förmlich angesogen. Die Gruppe „Zeitfaktor“ tauft ihr Stück übrigens schlicht „Der Rosmarienbaum“. Enjoy 🙂 

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Die Rechtschreibung des deutschen Wortes „Rosmarin“ kann bei Theodor Ickler, Das Rechtschreibwörterbuch. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen, St. Goar: Leibniz Verlag 2000 [Hervorhebung im Original] auf S. 394 nachgeschlagen werden.

Zur weiterreichenden Symbolik der Perle siehe bei Interesse zwei einschlägige Aufsätze von Friedrich Ohly: „Tau und Perle“ und „Die Geburt der Perle aus dem Blitz“, in seinen Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977 S. 274-292 und 293-311. 

 

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