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„Bey stiller Nacht“ (1/2)

Friedrich Spees „Trawrgesang von der Noth Christi am Oelberg in dem Garten“ und Brahms‘ romantische Klage

„In stiller Nacht“ heißt ein wunderschönes Klagelied, das seine verhältnismäßig hohe Popularität heutzutage vermutlich dem Chorsatz von Johannes Brahms verdankt. Hören Sie es hier einmal (wieder) in einer Interpretation des RIAS Kammerchors:

Wenn Sie bis zu Ende geschaut haben, wird Ihnen ab Minute 2:43 das Schlußbild von Carl Heinrich Bloch aufgefallen sein. Es illustriert die nur bei Lukas (Lk 22,43) überlieferte Tröstung, die Jesus im Garten Gethsemane durch einen Engel erfährt. Wie kommt solch ein Bild an den Schluß dieses inhaltlich doch so unbestimmten romantischen Klageliedes?

Das Volkslied, das Brahms‘ kleinem Meisterwerk zugrunde liegt, hat textlich seinen Ursprung in einem Gedicht des Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635), das sehr konkret den Klagenden wie den Grund seiner Klage nennt. Es ist der „Trawrgesang von der Noth Christi am Oelberg in dem Garten“, den Spee um 1630 geschrieben hat und der in seiner „Trutz-Nachtigal 1649 (posthum) in Köln erstmal im Druck erschien:

Bey stiller nacht/ zur ersten wacht
Ein stimm sich gund zu klagen.
Ich nam in acht/ waß die doch sagt;
That hin mit augen schlagen.

Ein junges blut/ von sitten gut
Alleinig ohn geferdten/
In großer noth/ fast halber todt
Im Garten lag auff Erden.

Es wahr der liebe Gottes-Sohn
Sein haupt er hat in armen.
Viel weiß- vnd bleicher dan der Mon
Eim stein es möcht erbarmen.

Ach Vatter/ liebster Vatter mein
Vnd muß den Kelch ich trincken?
Vnd mags dan ja nit anders sein?
Mein Seel nit laß versincken.

Ach liebes kind/ trinck auß geschwind;
Dirs laß in trewen sagen:
Sey wol gesinnt/ bald vberwind/
Den handel mustu wagen.

Ach Vatter mein/ vnd kans nit sein?
Vnd muß ichs je dan wagen?
Wil trincken rein/ den Kelch allein/
Kan dirs ja nit versagen.

Doch sinn/ vnd muth erschrecken thut/
Sol ich mein leben lassen?
O bitter Tod! mein angst/ vnd noth
Ist vber alle massen.

Maria zart/ Jungfräwlich art/
Soltu mein schmertzen wissen;
Mein leiden hart zu dieser fahrt/
Dein hertz wär schon gerissen.

Ach mutter mein/ bin ja kein stein;
Das hertz mir dörfft zerspringen:
Sehr große pein/ muß nehmen ein/
Mit todt/ vnd marter ringen.

Adé/ adé zu guter nacht
Maria mutter mildte!
Ist niemand der dan mit mir wacht/
In dieser wüsten wilde?

Ein Creutz mir für den augen schwebt/
O wee der pein/ vnd schmertzen!
Dran soll ich morgen wern erhebt/
Daß greiffet mir zum hertzen.

Viel Ruthen/ Geissel/ Scorpion
In meinen ohren sausen:
Auch kombt mir vor ein dörnen Cron;
O Gott/ wem wolt nit grausen!

Zu Gott ich hab geruffen zwar
Auß tiefen todtes banden:
Dennoch ich bleib verlassen gar/
Ist hilff noch trost vorhanden.

Der schöne Mon/ wil vndergohn/
Für leyd nit mehr mag scheinen.
Die sternen lan jhr glitzen stahn/
Mit mir sie wollen weinen.

Kein vogel-sang/ noch frewden-klang
Man höret in den Lufften/
Die wilden thier/ trawrn auch mit mir/
In steinen/ vnd in klufften. (Quelle)

Sie werden die Eingangsverse und die beiden Schlußstrophen aus der Brahmsvertonung wiedererkannt haben. Ich stieß auf den Zusammenhang dieser Texte in dem hier schon häufiger erwähnten Sammelband „Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder“. Hierin hat Alex Stock einen neun Seiten langen Beitrag verfaßt (S. 207-215), in dem er den alten Text und die ursprüngliche Melodie, Quellen und Parallelstellen des „Trawrgesangs“ benennt, aber auch eine Interpretation und die Wirkungsgeschichte des Liedes anreißt. Zur Motivation des Dichters vermutet Stock aufgrund der stark dialogischen Anlage des Textes den Katechismusunterricht für Kinder, der damals mit szenischen Darstellungen angereichert zu werden pflegte (S. 210). Im mündlichen Austausch mit einem anderen theologisch wie kunsthistorisch ausgewiesenen Fachmann erfuhr ich von der weiten Verbreitung von Ölbergandachten, wie sie in der Zeit der großen Volksfrömmigkeit um 1500 alldonnerstäglich nach der Marienvesper vor eigens hierfür ausgestatteten Altären oder Figurengruppen abgehalten wurden. Mein Gesprächspartner vermutete daher den Einfluß dieser barocken Andachten auf das Werk Friedrich Spees.

Woher auch immer der Anstoß zur Dichtung kam – das Lied blieb bis ins 18. Jh. populär und wurde im 19. und 20. Jh. fester Bestandteil der katholischen Kirchengesangbücher. Nach dem Zweiten Weltkrieg, schreibt Stock (S. 214), fehlte es in keinem. Erst 1975 sortierte das Gotteslob das Lied aus. Etwa ein Drittel der Bistümer hielt dennoch daran fest, darunter Erfurt, in dessen Bistumsanhang das Lied mit seiner ursprünglichen Melodie und sieben von 15 Strophen unter der Nr. 915 verzeichnet war. Erst seit der Neuauflage aus dem Jahr 2013 fehlt es auch hier.

Im vierten Band der Publikation „Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen“ von Wilhelm Bäumker (1842-1905) in einer Ausgabe aus dem Herderverlag von 1911 habe ich die originale Melodie neben einer Version gefunden, die wie eine Vorstufe zu der Melodie wirkt, die Johannes Brahms in einer Volksliedsammlung vorfand, schauen Sie:

Spees Lied im Original und in textlicher wie melodischer Abwandlung (Wilh. Bäumker, Das kath. dt. Kirchenlied IV; eigene Bilder)

Über weitere Verbindungen von Text und Melodie lesen Sie morgen im zweiten Teil dieses Beitrags.

 

Fortsetzung folgt morgen

 

Cornelie Becker-Lamers

 

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