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„also: Weimarer“ – Teil VII

Abschließende Gedanken über das Zitat zum Tage (zum 3. Oktober 2020)

 

„Eine tolle Gemeinde.“ Beseelt tritt der Ruhestandspfarrer nach einer Abendmesse aus der Kirche. Mit Freunden stehe ich am Fuß der Treppe und so spricht er uns an. Das schöne finden wir, darüber sind wir uns einig, daß hier nach Weimar immer neue Leute hinzuziehen, die frischen Wind hineinbringen. Eine riesige Chance für eine Pfarrei. Irgend so ein Wind hatte auch besagte Abendmesse durchweht – ich kann mich nur nicht mehr genau erinnern. Denn was nun kam, nahm mich gefangen. „Das Problem sind die Alteingesessenen“, spricht der Priester unvermittelt weiter. „Diese festen Kreise, wo man nicht hineinkommt.“ Und er erzählt von einer alten Dame aus dem nördlicheren Thüringen, die schon vor geraumer Zeit – sicherlich zehn Jahre – nach Weimar zu ihrer Tochter und deren Familie gezogen ist. Er kennt sie aus seiner ehemaligen Pfarrei und sie hat ihm ihr Leid geklagt, wie schwer sie Anschluß finde. „Aber das ist überall so“, schließt er.

Dabei geht es den Senioren ja noch verhältnismäßig gut in unserer Pfarrei. Die beiden Seniorenkreise sind rege und treffen sich jeweils wöchentlich. Aber auch ich kenne die Geschichte einer Familie aus Görlitz, deren Mutter (etwa in meinem Alter) unter der geschlossenen Atmosphäre in einem der Kreise litt, den sie sich zur Mitarbeit ausgesucht und den sie dann wieder verlassen hatte.

Also: Es trifft keinesfalls nur die Zugezogenen aus den alten Bundesländern.

Aber so geht es nicht weiter. Im Wortsinne. Den oben, in meinem Text vom 3. Oktober 2020, erwähnten Bibelkreis der Erfurter Habilitandin hat deren emeritierter Hochschullehrer übernommen. Statt der jungen Kantoren von vor zehn Jahren singen heute wieder deren Eltern. Die junge Gemeindereferentin, die vor vier Jahren mit 1.000 Ideen und hochmotiviert hier ankam, strich nach zwei Jahren resigniert die Segel und überließ das Feld wieder ihrem 60-jährigen Kollegen. Und nach dem Festakt für die Elisabethschwestern am 3. Oktober 2019 fiel mir plötzlich auf, wer sich da außer mir musikalisch engagiert hatte: Meine beiden Vorgängerinnen im Ehrenamt einer Kinderchor- oder Instrumentalkreisleitung. Fast alles gute oder sogar hervorragende Leute. Aber Zukunftsfähigkeit sieht anders aus.

Was können wir tun?

Können nur Fremde andere Fremde integrieren? Ich halte es für denkbar. Weil nur die Fremden einfach noch freie Valenzen haben. Und weil nur sie (noch) wissen, wie es sich anfühlt, wenn man außer der Hortnerin niemanden kennt und nur mit Stadtplan den Kinderarzt findet. Die Gymnasialdirektorin, von der ich im Text am 3. Oktober 2020 schrieb, hatte in Eigeninitiative (ein ganz problematischer Impuls in Herz Jesu Weimar!) einen Brief verfaßt, der zum Willkommen neuer Gemeindemitglieder hätte verschickt werden können. Ihres und meines Wissens nach ist er nie zum Einsatz gekommen.

Aber wie sollen Menschen, die genügend Freunde haben, ja, die vielleicht manchmal nicht wissen, wie sie die Verwandtenbesuche in ihr Wochenende quetschen sollen – wie sollen diese Menschen auch noch Valenzen haben, um Zugezogene zu integrieren? Daß diese Zugezogenen sich untereinander integrieren können, muß aber organisiert werden – denn wie soll es wiederum Fremden gelingen, von anderen auch nur zu wissen?

Ein Problem in den vergangenen Jahren war, daß die Vernetzung der Zugezogenen eben tatsächlich in keiner Weise gewünscht war. Die „also: Weimarer“ glaubten, ein Autoritätsgefälle via Informationsvorsprung nötig zu haben und ließen Zugezogene nur als Farbtupfer zu: „Bunt und vielfältig“, wie der Pfarrer das im Interview formulierte. Nach dem Motto: Bunt ist ja mal ganz schön. Aber bitte zeitlich begrenzt. Nicht plötzlich als eigendynamischer Teil der Gemeinde! 

Schließen wir mit einem gedichtartigen Text, den ich aus gegebenem Anlaß am Abend des Rundfunkgottesdienstes mit Radio Horeb – jenem Rundfunkgottesdienst, dem unser Interview drei Tage vorausging – hier auf PuLa gepostet habe. Er paßt weiterhin.

 

Museum. Konjunktiv

 

Zur Langen Nacht der Museen singen wir geistliche Lieder
und machen Musik, sagen zwei Gruppen der Pfarrei.
Das gibt’s nicht, sagt der Pfarrer: Die Kirche ist kein Museum.
Sie bleibt in dieser Nacht geschlossen und ist nicht auf.

Was für eine vielversprechende Positionierung.

Denn das kann ja nur heißen, unser Pfarrer will sich
nun verstärkt um die Kinder- und Jugendseelsorge kümmern.

Denn wenn einer nicht für Nachwuchs sorgte bei den Kinderchören,
weil er meinte, wenn der Kinderchor eingeht, sei das kein Beinbruch,
und wenn er den Jugendchor eingehen ließe,
weil ihm egal wäre, wo die Jugendlichen Musik machen
und wenn er die Pfarrjugend einschlafen ließe, so daß
wenn man Glück hat, drei bis fünf Teilnehmer sich einfänden,
weil er den Mädchen, die ihm zum Amtsantritt
40 statt 4 Jugendliche zusammengetrommelt haben,
jegliche Unterstützung für die wöchentlichen Treffen versagte,

wenn einer so die Kinder- und Jugendseelsorge vernachlässigte,
dann wäre ja in zwanzig Jahren ein Museum
das beste, was man aus seiner Kirche noch machen könnte.

 

Bisher füllen die Federn der Hühnchen, die doch einige von uns mit den „also: Weimarern“ zu rupfen haben, nur die Kissen, auf denen der Kirchortrat weiterschläft.

Es wäre aber doch sehr wünschenswert, daß die schlimme Zeit, die in den Jahren von 2010-2015 kulminierte und immer noch wie Mehltau auf unserem Miteinander liegt, endlich einmal aufgearbeitet würde, um neuem Leben Luft zu verschaffen. Neuem Leben in einer sich erneuernden Pfarrei. Herz Jesu Weimar wäre es unbedingt wert.

 

Cornelie Becker-Lamers

 

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