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Das Unterstanding (1/4) Ein Sketchlet zum Ersten Advent

Das Unterstanding

Ein Sketchlet zum Ersten Advent für fünf Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

 

Wundersdorf/ Oderbruch. Die allseits bekannte Schafweide.

Wie?

Oh ja, die gibt es freilich noch! Und die dazugehörige Herde selbstverständlich auch. Mit denselben Schafen, die übrigens nicht zu altern scheinen; und den immer gleichen Lämmchen, die niemals groß werden. Tja – in der Literatur geht so etwas eben, und dann wollen wir das auch weidlich ausnutzen: Die Wundersdorfer Schäfchen bestehen bekanntlich nur aus Sprache und die altert – von einigen wenigen Modewörtern abgesehen – nur seeeeehr sehr langsam. Wenn man bedenkt, welch robuster Gesundheit sich die eine oder andere früher so genannte Tote Sprache erfreut – weshalb man ja heute auch eher von Corpus-Sprachen redet, also Sprachen, die man aufgrund einer großen Menge schriftlicher Textzeugen bestimmen, abgrenzen und erlernen kann – dann wird einem klar, daß Sprache einfach niemals sterben wird. Und das ist gut so. Denn wie uns Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau lehrt, definiert sich das Mensch-Sein nicht über den aufrechten Gang auf zwei Beinen, sondern über die Sprache. Die kleine Meerjungfrau hat ihren aufrechten Gang mit ihrer Stimme bezahlt und scheitert prompt in der menschlichen Gemeinschaft. Man braucht beides: Den aufrechten Gang und eine aufrichtige Sprache.

Aber ich schweife ab. Ich wollte doch nachsehen, wie es auf der Wundersdorfer Schafweide derzeit so zugeht. Im Gegensatz zu den nicht alternden Schäfchen folgt die Landschaft um Wundersdorf herum dem Lauf der Natur. Es ist November und obwohl der Herbst sehr mild war, sind etliche der Laubbäume bereits kahl. Im Gras gehören die Löwenzahnblätter zu den letzten Leckerbissen und die Sonne scheint täglich nur noch für kurze Zeit über die Wipfel der südlich stehenden dicken Rotbuchen hinweg. Wenn sie überhaupt scheint. Heute tut sie das zum Beispiel gar nicht.

Die Schäfchen lassen es sich nicht verdrießen. Offenbar planen sie schon wieder irgendeine größere Aktion. Um Kohle, Wolle, Flocke, Grauchen und Blütenweiß herum wuselt es ganz tüchtig durcheinander. Scheinbar völlig unabhängig davon finden wir Fixi und Huf in einer Art Prüfungssituation:

Fixi: Vielleicht?

Huf: Mäh bi.

Flocke (kommt geschäftig heran): Was macht ihr denn Schönes?

Fixi: Ich höre Huf englische Vokabeln ab.

Flocke (reißt die Augen auf): Englische Vokabeln? Ihr schreibt wohl jetzt in der Vorweihnachtszeit noch Arbeiten?

Huf (kühl): Wir schreiben immer Arbeiten!

Fixi (leichthin): Ich schreibe die letzte am 22. Dezember – (zu Huf) Bürgermeister?

Huf: Mäher.

Flocke (für sich): Der heimische Dialekt schlägt ja doch immer sehr durch … (zu den Lämmchen) An der Aussprache könntet ihr noch feilen.

Fixi: Unsere Lehrerin kann das auch nicht besser.

Flocke: Ist das vielleicht ein Maßstab?

Fixi (unbeirrbar): Amtsvergehen?

Huf: Mählfiesnz.

Wolle, Kohle, Grauchen und Blütenweiß kommen zu der Gruppe hinzu.

Kohle: Na? Wie steht’s?

Flocke (seufzt): Sie sind vollauf mit Hausaufgaben beschäftigt. Hier brauchen wir nicht auf Hilfe für unsere Adventsaktion zu hoffen …

Kohle: Schade! Ich dachte, ihr hättet vielleicht eine gute Idee, wie wir das ganze Ding nennen. So ein griffiger Name ist immer die halbe Miete.

Fixi (überrascht): Aber wir sind doch schon dabei! Das hier ist doch für unsere Adventsaktion.

Huf (empört): Ihr glaubt doch nicht, daß wir für die Englischarbeiten in der Schule zu Hause lernen müssen …

Grauchen: Ist ja schon gut!

Kohle: Na – dann mal raus mit der Sprache: Habt ihr eine Idee?

Fixi (stolz): Wir dachten an Unterstanding (Sie blickt siegesgewiß in die Runde).

Die großen Schafe schauen sich etwas ratlos an.

Blütenweiß (unsicher): Unterstanding?

Huf: Na klar!

Fixi: Es ist ein Wortspiel!

Huf: Versteht ihr? Von „Unterstand“ und „understanding“.

Wolle: Weil wir die Neuankömmlinge in den Unterstand einladen wollen …

Fixi: … und es ums gegenseitige Verstehen geht! Genau!

Kohle (skeptisch): Unterstanding … klingt ja ein bißchen wie ein bayerischer Grenzort …

Grauchen: Kohle! Nun sei mal nicht so!

Blütenweiß (aufgeräumt): Ich finde die Idee eigentlich ganz gut.

Wolle: Und es ist ein griffiges Wort.

Flocke: Dann geb ich das so an den Pfarrsekretär für die Vermeldungen.

Fixi (springt mit allen Vieren in die Luft): Ich glaube, das wird gut!

Huf (stupst sich das Vokabelheft mit der Schnauze zurecht): Jetzt hör ich dich ab. Abweichler, Rebell?

Fixi: Mähwerick.

FORTSETZUNG FOLGT

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

[…] dann wird einem klar, daß Sprache einfach niemals sterben wird.

Was recht verstanden einfach wörtlich wahr ist:

Den ersten Vers der Genesis, den ersten Vers der Heiligen Schrift überhaupt abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. […] Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre Synthese finden. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist.

(Benedikt XVI., „Regensburger Rede“, 12. September 2006, hier)

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › Sketch des Monats: Die Planierraupe on Sonntag, 24. Januar 2016 um 21:35

    […] Tage haben die Schafe im Unterstand verbracht, weil es draußen mit minus 15 Grad doch zuweilen recht frisch war. Auch am Tag. Gegen […]

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