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Sketchlet zum Nikolaustag: Die lebendige Tradition

Kohle, Wolle, Flocke und die anderen Schafe stehen auf ihrer Weide vor den Toren von Wundersdorf und scharren zwischen den Schneeflecken nach den letzten Hälmchen. Da kommt der uns schon bekannte Pritschenwagen den Feldweg entlang getuckert, hält neben der Herde an, läßt Fixi und Huf abspringen und fährt dann weiter. Die beiden Lämmchen, jedes mit einem kleinen Rucksack auf dem Buckel, laufen schnell zur Herde und beginnen atemlos drauflos zu plappern.

Die lebendige Tradition

Ein Sketch für drei Schafe, zwei Lämmchen und beliebig viele Schafstatisten

 

Fixi: Stellt euch vor: Ob er überhaupt geboren ist, weiß man nicht, aber gestorben ist er 432!

Huf: Und Myra war eine griechische Stadt, aber jetzt ist sie türkisch und heißt Demre und Harun al-Rashid hat sie erobert.

Fixi: Deswegen haben auch Händler aus Bari den Leichnam mitgenommen.

Huf (wichtig): Da fließt Öl raus, das heilt!

Fixi: Und der 9. Mai was fast 888 Jahre lang ein kirchlicher Festtag halt wegen dem transdingsbums …

Huf: … latio!

Fixi: … genau! Der translatio Sancti Nicolai.

Huf: Ratet, wer den Feiertag abgeschafft hat!

Kohle: Das Zweite Vatikanum?

Huf: Der Kandidat hat 100 Punkte… (Er setzt seinen Rucksack ab.)

Wolle: (die schon eine Weile von einem zum andern geschaut hat): Sagt mal, wovon redet ihr eigentlich?

Flocke: Die Kleinen waren doch heute in der Bibliothek.

Kohle: Ich hab sie zum Recherchieren geschickt zum Thema Nikolaus.

Wolle: Na, du hast Nerven!

Fixi (fällt den Alten ungeduldig ins Wort): Aber das Krasseste fand ich mit der Artemis das.

Huf: Der Diana.

Fixi: In Ephesos.

Huf: Kommt schon in der Apostelgeschichte vor, daß die Missionierung da nicht so richtig voranging wegen ihr.

Fixi: Edith sagt, es gibt Leute, die sagen, Nikolaus sei bloß erfunden worden, um jemanden zu haben, dem man den Sieg über den Artemiskult zuschreiben kann.

Kohle: Wo habt ihr denn Edith getroffen?

Fixi: Die war auch grad in der Bibliothek.

Kohle: Naja – was Edith immer alles so sagt …

Huf: Es stimmt aber: Er hat ihren Tempel gar nicht eingerissen, der ist beim Erdbeben eingestürzt.

Fixi: Hundertfünfzig Jahre vorher oder so.

Huf: Und außerdem heißt Nikolaus „Sieg über das Volk“!

Kohle (runzelt die Stirn): So? Ich dachte: „Sieg des Volkes“?!

Fixi: Hm. Man liest beides. Der Krünitz hat „Volksbesieger“.

Huf: Jedenfalls hat er „ihr“ Datum – 6. Dezember – übernommen und ihre Farben rot und weiß.

Wolle: Die sind von Coca Cola.

Fixi: Sind sie nicht. Die haben sich nur geschickt draufgesetzt! Die Farbsymbolik ist viel älter.

Huf: Und das Schwarz des Todesaspektes ist auf Knecht Ruprecht ausgelagert.

Flocke: Das steht alles in den Büchern?

Fixi: Äh, nö, das war jetzt wieder von Edith …

Kohle: Also, ich glaube, ich muß mal mit Edith sprechen … sie darf euch Kinder nicht so überfordern …

Huf (abschließend): Aber, Kohle, ich glaube, da kriegen wir kein Lied draus geschrieben!

Fixi: Das ist alles viel zu viel …

Huf: Da bräuchte man drei Lieder:

Fixi: Über das mit der Artemis …

Huf: … dann das mit dem heimlichen Schenken und den drei goldenen Kugeln …

Fixi: … und dann eins über Knecht Ruprecht, der eigentlich die Rauh-Percht ist …

Huf: … die rauhe Perchta, die Fruchtbarkeitsgöttin der Germanen …

Fixi: … weswegen auch das mit der Rute ursprünglich ein Haselzweig war und der war zum Segnen!

Wolle: Puuuuh! Mir brummt der Kopf!

Flocke: Ich sag dir: Wenn die lebendige Tradition erstmal abgerissen ist …

Fixi: Dein Lied kannst du jedenfalls selber machen – hier: Ich hab dir ein bißchen Literatur herausgeschrieben (er wirft Kohle seinen Rucksack mit einigen Notizzetteln vor die Füße; zu Huf): Komm! Wir gehen was trinken!

Huf: Ich komme! (beginnt zu singen): „Morgen kommt der Weihnachtsmann…“

Beide (im Davonspringen): „ … kommt mit seinen Gaaaaaben.“

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

Ja, so geht’s zu rund um Wundersdorf. Diese Schafe! Bloß gut, daß in Weimar gelegentlich in Liedern, sogar in Kinder-Liedern!, eine Schneise durch das Dickicht der Legenden geschlagen, und Heiligenviten vermittelt werden. (Freilich haben die „Gemeindeleitung“ und die Gemeindeleitung diese Aktivitäten aus Herz-Jesu-Weimar verbannt. Ob sie was gegen Heilige haben? 😉 )

Für alle jedenfalls, die mehr über Nikolaus, sein Herkommen und seine Derivate wissen wollen, hier Fixis Literaturliste:

Jacobus de Voragine, Legenda Aurea. Heiligenlegenden, Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Jacques Laager, Zürich: Manesse 1990.

Manfred Becker-Huberti, Der Heilige Nikolaus. Leben, Legenden und Bräuche, Köln: Greven 2005.

Karlheinz Blaschke, Sankt Nikolaus und die Städte Europas, in: FAZ Nr. 280 (2.12.2009) S. N3.

Thomas Hauschild, Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte, Frankfurt a.M.: Fischer 2012, heute rezensiert von Jürgen Kaube in der FAZ Nr. 285, S. 29.

 

6 Trackbacks/Pingbacks

  1. […] ungeduldig auf die beiden Lämmchen, von denen sie eine ja nun schon zur Tradition gewordene (hier und hier) spannende Geschichte zum Thema Nikolaus erwartet. Haben sie es auch in diesem Jahr […]

  2. […] Fest der Geschenke in Erinnerung an die guten Taten des Hl. Bischofs von Myra (vgl. hier und hier), da gibt es natürlich auf PuLa etwas extra. Wir haben sie zum „Vorabend“ schon […]

  3. Pulchra ut Luna › Der Herrschekloes on Mittwoch, 6. Dezember 2017 um 22:12

    […] Wolle: Fixi und Huf kommen aus der Bibliothek zurück! […]

  4. […] Daß der Name eine Liquidmetathese aus Rauh-Percht, der rauhen Perchta […]

  5. […] Heute gibt es, aus besonderem Anlaß außer der reihe, ein PuLa-Reloaded am Montag! Ursprünglich erschien dieser Tet zum Nikolaustag bereits am 6. Dezember 2012 (hier). […]

  6. Pulchra ut Luna › Der Ersatzmann on Dienstag, 6. Dezember 2022 um 14:31

    […] Huf: (Platzt heraus): Bisher kannten wir Sie nur aus Büchern. […]

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