… erscheint erneut erst heute am Sonntag, was Sie mir hoffentlich nachsehen wollen. 😉
Unser heutiges Buch ist bestimmt das originellste unter den drei Vorschlägen und, wobei die Psalmen natürlich außer Konkurrenz laufen, auch das schönste.
Es handelt sich um:
Eleanor Parker, Winters in the World: A Journey Through the Anglo-Saxon Year Reaktion Books, London 2022, gebunden 18,70 € ISBN-13: 978-1789147735
So sieht es aus:
E. Parker, Winters in the World (eigenes Bild)
“Winters in the world”, so nannte man unter den Angelsachsen die Lebensjahre eines Menschen, bezeichnenderweise nach der ernstesten Jahreszeit, und die Autorin nimmt diesen Ausdruck als Titel ihres Werkes, und um ihre “Reise durch das Jahr“ dann auch mit dem Winter zu beginnen.
Nur, warum sich überhaupt mit dem ‘Jahr der Angelsachsen’ beschäftigen? Ehrlich gesagt, die Antwort fällt gar nicht so leicht!
Am einfachsten ist es noch, einen Nebenaspekt zu fassen zu kriegen, wenn der auch für katholische Leser nicht unerheblich ist: Es war gerade die frühmittelalterliche, angelsächsische Literatur, die J.R.R. Tolkien zu seinen Werken inspiriert hat! Allen Dichtungen voran natürlich das Beowulf-Lied, aus dem auch E. Parker ausführlich zitiert, und so den Tolkienschen Kosmos immer wieder aufscheinen läßt. Denn so funktioniert das Buch: Verschiedene altenglische Texte werden im Original vorgestellt (und in neu-englischer Übersetzung, natürlich) und auf ihre Relevanz für das, was darin zum Ausdruck kommt, über das Zeit-Gefühl überhaupt und über die jeweilige Jahres-Zeit befragt.
Dabei kommt es zu einem intensiven Ineinander von agrarischer, poetisch erlebter und, natürlich ganz wesentlich, liturgischer Zeit.
Das Ergebnis ist, wie gesagt, gar nicht einfach zu schildern. Aber es ist absolut nicht trocken oder akademisch (obwohl Parker sehr ordentlich mit wissenschaftlichen Nachweisen arbeitet!)! Im Gegenteil, es stellte sich bei mir ein Lese-Erlebnis ein, das man gar nicht so oft hat und gar nicht hoch genug schätzen kann: Jedesmal, wenn ich das Buch aus der Hand lege, fühle ich Ruhe und Freude. Es ist im allerbesten Sinne ein Buch, das gute Laune macht. Wehmut bereitet es freilich auch, wenn es wieder und wieder heißt: ‘Der fragliche Brauch war bis in die XXiger Jahre des 20. Jahrhunderts präsent, bevor er durch “Reform” XY zum Erliegen kam. 🙁
Die Autorin hält sich dabei allerdings mit Wertungen stets vornehm zurück, ihr gelingt eine wirklich überaus angenehm ruhige und zurückhaltende Prosa, der man sozusagen ihre zweifellos vorhandene Begeisterung für den Gegenstand vor allem dann anmerkt, wenn man schon begonnen hat, dieselbe zu teilen! Erwähnenswert noch, daß Frau Parker was Fragen der christlichen Chronologie und Festentstehung angeht, auf dem neuesten Stand ist, Albernheiten, wie das scheinbar nicht auszurottende Gerücht vom heidnischen Ursprung der Weihnachtbeispielsweise braucht man bei ihr nicht zu gewärtigen…
Hingegen bringt sie eine für mich jedenfalls neue und wirklich sehr interessante Theorie zum Ursprung des Wortes “Ostern”; die Spur führt nach England, genauer nach Kent (S. 124 -27, bes. S. 125), aber ich verrate nichts, denn ich möchte ja wirklich, daß Sie das Buch kaufen. 😉
Sehr, sehr gerne läse man solch ein Buch auch über die nämliche Zeit in Deutschland (bzw. den Gegenden, die dann Deutschland werden sollten), aber so ein Buch kenne ich leider nicht. Es hilft aber sehr, wenn man versucht, sich die altenglischen Texte laut vorzulesen, denn dann merkt man, das ist nichts uns völlig fremdes, nein, das ist eben die Sprache eines “germanischen Sammelvolks” (vor der Überformung durch das Französische nach der normannischen Invasion) und zu der haben wir natürlich als Deutsche einen sprachgeschichtlich bedingten Zugang.
So bin ich sicher, Sie werden die Anschaffung, bzw. das Verschenken dieses Buchs nicht bedauern, falls Sie, oder die zu beschenkende Person, irgendeinen Sinn für das haben, was ich gerade versucht habe zu schildern. Es gibt inzwischen auch eine Taschenbuchausgabe, die aber nur etwas fünf Euro preiswerter ist, ich würde das Hardcover empfehlen. Nur “ganz leise” und im Grunde ungern füge ich hinzu: Der örtliche Buchhandel, den es sonst immer zu stärken gilt!, ist nach meiner Erfahrung in der Beschaffung fremdsprachiger Literatur immer mal wieder etwas umständlich und vor allem langsam, daher bietet sich hier vielleicht doch der elektronische Versandhandel an, vor allem, wenn man bedenkt, Weihnachten ist schon nächsten Sonntag!
Nicht zu der Sonne frühen Reise,
Nicht wenn die Abendwolken landen,
Euch Kindern, weder laut noch leise,
Ja, kaum uns selber sei’s gestanden,
Auf welch geheimnisvolle Weise
Dem Leben wir den Traum entwanden
Und ihn mit Weingewinden leise
An unsres Gartens Brunnen banden.
Hugo v. Hofmannsthal, “Dichter sprechen”
Getwittert von Gereon Lamers, @GGLamers am 10.6.2021
Die Kirche will gehäutet sein?
Ich sehe nur:Man läutet ein
des synodalen Weges Schisma
als Aortenaneurisma,
das die Kirche dort zerreißt,
wo sie zu Recht noch Kirche heißt.
Cornelie Becker-Lamers, Gelegenheitsgedicht
Getwittert von C Becker-Lamers, @Jucobela am 16.9.2021
Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.
Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,
Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.
Reinhold Schneider
Getwittert von A G N E S, @MsViridiVestis am 25.2.2021
Got, dîner Trinitâte,
die ie beslozzen hâte
dîn fürgedanc mit râte,
der jehen wir, mit drîunge
diu drîe ist ein einunge,
Ein got der hôhe hêre;
sîn ie selbwesende êre
verendet niemer mêre.
nu sende uns dîne lêre.
uns hât verleitet sêre
die sinne ûf mange sünde
der fürste ûz helle abgründe.
(Gott, von deiner Trinität, die von je dein Vorausdenken weise vereinigt hatte, bekennen wir: die Drei ist mit der Dreiheit eine Einheit,
Ein Gott, der hohe Heilige; seine von je durch sich selbst seiende Ehre nimmt nimmermehr ein Ende. Nun schick uns deine Unterweisung! Unsern Geist hat der Fürst aus dem Höllenabgrund zu mancher Sünde schmerzlich irregeführt)
Walter von der Vogelweide, Der Leich 3.1-8,3
Getwittert von Agnes, @MsViridiVestis am 25.3. 2021
…sollte heute erscheinen, kann es aber nicht, weil ich nach mehreren Wochen außergewöhnlicher und ungeplanter dienstlicher Belastung einfach zu müde bin, um den Text heute noch zu schreiben. Daher wird er morgen im Laufe des Tages nachgeholt.
So hieß es gestern, und heute (Sonntag) ist es soweit, abends erst, natürlich. 😉
War das Buch über die Lateinischen Psalmen unzweifelhaft das “katholischste” der Bücher, die ich Ihnen in diesem Advent ans Herz legen möchte, so ist das heutige vor der Hand nicht einmal besonders christlich. Obwohl…
Es handelt sich um die Biographie, die R. Safranski 2019 zum 250. Geburtstag (1770 – 1843) von Friedrich Hölderlin herausgebracht hat:
Rüdiger Safranski, Hölderlin
Komm! ins Offene, Freund! Biographie
Carl Hanser Verlag, München 2019
ISBN 9783446264083
Gebunden, 336 Seiten, 28,00 EUR
So sieht es aus:
R. Safranski, Hölderlin (eigenes Bild)
Warum es lohnt, sich mit Hölderlin zu beschäftigen, muß ich, glaube ich, niemandem erklären, der auf die Idee kommt, einen Adventskalender, der aus einer Ansammlung von Gedichten besteht, zu lesen. Aus der Reihe seiner Dichterkolleginnen und -kollegen aus jener reichen Umbruchszeit zur Wende des 18ten zum 19ten Jahrhundert, ragt er mit seinem ganz eigenen Ton heraus – und mit seinem besonderen Schicksal, hat er doch die zweite Hälfte seines Lebens, sechsunddreißig Jahre (!) nach 1806 in einer, wie auch immer näher zu fassenden, Form der geistigen (oder soll man sagen, ‘seelischen’?) Umnachtung zugebracht, ab dem Jahr 1807 im berühmt gewordenen “Turm” des Schreinermeisters Zimmer in Tübingen (bzw. später dessen Tochter).
Und wenn man sich auch großer Dichtung nicht notwendig besser naht, in dem man über die Lebensumstände dessen, der sie hervorgebracht hat, Bescheid weiß, so entsteht doch auch sie nicht in einem Vakuum, kann, partiell!, von ihrem Umfeld her beleuchtet werden, wie sie, vor allem, umgekehrt ihre Zeit häufig erst ins “rechte Licht” rückt.
Freilich, wie das “Licht” beschaffen ist, mit dem der “Scheinwerfer Hölderlin” leuchtet, das ist eine Frage, mit der ich auch nach der Lektüre dieser Biographie keineswegs fertig bin. Aber ich weiß nun noch mehr, daß ich es besser verstehen möchte!
Safranskis, wie bei diesem Autor gewohnt, flüssig und gut lesbar geschriebenes Buch enthüllte für den Leser aus Thüringen zunächst die unerwartet große Nähe seines Gegenstands zu diesem Landstrich, das zeitweise enge Verhältnis zu Schiller, die Aufenthalte in Jena und die Zeit als „Hofmeister“ (Hauslehrer) in dem zwar heute bayerischen (und nicht etwa gothaischen) Waltershausen in der Rhön.
Safranski geht den von allerlei Raunen umgebenen und tatsächlich ja auch immer wieder überraschenden Lebensumständen und -wendungen in angenehm nüchterner Art und Weise nach, geheimnist von sich aus nichts hinein, verschweigt aber auch nicht die diversen Deutungsansätze, die es, seit die Beschäftigung mit Hölderlin im 20. Jahrhundert recht in Gang kam, gegeben hat.
Daß er dabei den (welt-) politischen Umständen ebenso Rechnung trägt, wie er immer wieder versucht, die philosophischen Strömungen der Zeit, an denen Hölderlin so regen Anteil nahm, ja, die ihm vermutlich existenziell wichtig waren, in ihrer Wirkung auf seinen Gegenstand zu berücksichtigen, hätte man vom Verfasser des von mir sehr geschätzten Buchs über die Romantik (“Romantik. Eine deutsche Affäre”, 2007) nicht anders erwartet.
Dennoch, gerade hier fehlt mir auch etwas. Zum Beispiel finde ich, die Wirkung der Kantischen Philosophie, die der noch werdende Dichter in der Zeit seines Studiums, des evangelischen Theologie-Studiums mit dem eigentlich verpflichtenden Berufsziel „Pfarrer“!, erlebte (erlitt?), wird nicht so deutlich, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber ob das an mangelnder Präzision Safranskis liegt, oder einfach daran, daß er hierzu schlicht nicht zu einer eindeutigen Meinung gelangt ist, halte ich mit ein wenig Abstand für offen. Hier gilt es wohl ebenso selber weiterzudenken und zu folgern, wie in Bezug auf das Verhältnis Hölderlins zur sich entwickelnden (Früh-) Romantik.
Warum, so fragt sich der katholische Leser und Freund der Dichtung, hat Hölderlin, dieser wohl sehnsuchtsvollste und erhabenste Sänger des Göttlichen in seiner Zeit, nicht das Kernanliegen der Romantiker ergreifen können, die ‘Rückverzauberung der Welt’? Warum mußte er “verrückt” werden und konnte nicht, wie so viele der besten Köpfe der Romantik, den Weg zur Kirche, den Weg nach Rom finden?
Wer sich dergleichen Gedanken auch machen will, dem kann ich die Biographie von Safranski jedenfalls ehrlich empfehlen und anhand des folgenden Videos können wir Hölderlins gedenken; Hyperions Schicksalslied: