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Das Herz verschenken

Es war wieder ein „echter Riethmüller“, gestern in der Abendmesse: Ein Nebensatz, mit Understatement vorgetragen; schnodderig eingeschoben und mit einer Geste der rechten Hand auch sofort schon wieder weggewischt; ein Nebensatz, der dennoch eine ganze Welt erklärt.

Ja, es steht auch im „Kleinen Stowasser“, dem seit Jahrzehnten gängigen Schulwörterbuch im Fach Latein. Man hätte es also immer schon wissen können. Ich wußte es trotzdem nicht. „Credere, credo“ schaut man halt nicht im Wörterbuch nach, sondern weiß es irgendwie einfach. Großer Fehler!

Der Stowasser (Ausgabe 1980) schreibt, „credere“ leite sich sprachgeschichtlich vom altindischen „çrad-dhā“, zu deutsch „das Vertrauen“, ab, und meine eigentlich „das Herz (cor) auf jemanden setzen“. Jemandem glauben heißt, ihm vertrauen. Klar – banal. Aber glauben heißt im Lateinischen eben wörtlich: das eigene Herz verschenken. Das klingt doch schon ganz anders. Wenn das Wortfeld rund um das Herz mitzuschwingen beginnt, versteht man doch erst so richtig, welches Ergriffensein des Glaubenden mit seinem Glauben verbunden ist. Es geht zumindest seelisch um Leben und Tod – wenn nicht gar körperlich.

Die sprachgeschichtliche Entwicklung ist einfach zu erklären: die Laute „l“ und „r“ können um den Stammvokal eines Wortes herumwandern, ohne daß die Wortbedeutung sich ändert. Das entwickelt sich gemäß dem jeweiligen Dialekt, in dem den Menschen einer bestimmten Gegend ‚der Schnabel wächst‘. Das ist ganz bekannt und jedem geläufig – ein Paradebeispiel sind im Deutschen die Wörter Born und Brunnen. Das Phänomen nennt sich Liquidmetathese, weil „l“ und „r“ als Liquide – flüssige, weil prinzipiell immer weiterrollende Halbvokale – bezeichnet werden. Unbetonte Vokale werden alle zum e hin abgeschliffen, so daß aus dem „cor dare“ – das Herz verschenken – „credere“ werden konnte bzw. im „credere“ das „cor dare“ noch hindurchscheint.

Wie armselig nimmt sich da die Sprachgeschichte des deutschen Wortes „glauben“ aus! Seit dem 8. Jahrhundert belegt, bedeutet es zwar auch „vertraut, Vertrauen erweckend“, wird aber tatsächlich mit dem Wort „Laub“ in Verbindung gebracht: „Vermutlich gehört dieses Wort zu Laub in der Bedeutung ‚Laubbüschel als Futter und Lockmittel für das Vieh‘ und bedeutet dann ursprünglich ‚zutraulich, folgsam, handzahm‘ (wie das Vieh, dem ein Laubbüschel hingehalten wird)“, schreibt der „Kluge“, das etymologische Wörterbuch in seiner 23. Auflage aus dem Jahr 1995. Oh je! Da war aber jemand skeptisch gegenüber den Missionaren! Aufs Folgsame sollte sich Glauben nun wirklich nicht reduzieren!

Wie gut, daß es Fremdsprachen gibt, in denen sich Wortbedeutungen manchmal tiefer erschließen als im Deutschen.

Jedenfalls: Danke, lieber Herr Pfarrer Riethmüller, mal wieder für einen Ihrer berühmten ‚Nebensätze‘! 🙂

Cornelie Becker-Lamers

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