Deutschland singt. Auch in Weimar
„Ihr habt erreicht, worauf wir noch so schmerzlich warten müssen“, sagten die beiden Südkoreaner, die gemeinsam in einem Wohnheimzimmer im Münsteraner Wasserweg 70 lebten. Ich wohnte auf demselben Flur und wir unterhielten uns über den Mauerfall. Das war in der Folge des 9. November 1989. Die meisten Emotionen verbinden sich mit diesem Tag. Es hätten ihn ja auch alle gern als Tag der Deutschen Einheit gehabt. Aber wir wissen ja, warum wir dieses Datum nicht auswählen konnten. Selbst schuld …
Jetzt haben wir also den 3. Oktober. Und auch wenn er als Datum von Anschluß oder Beitritt statt Wiedervereinigung in etlichen Menschen einen schweren Weg durch die 90er Jahre in Erinnerung ruft, scheint doch letztlich die Dankbarkeit über die veränderten Lebensmöglichkeiten zu überwiegen.
Den 9. November dürfen wir als Datum nur vielfältig begehen, nicht unbeschwert feiern. Mit dem 3. Oktober verbinden wir emotional nicht so wirklich etwas. Und so ist schon was dran, wenn die treibenden Kräfte hinter der „Initiative 3. Oktober“ als Aufmacher ihrer Internetseite feststellen:
Die Wiedervereinigung Deutschlands ist in ihren Geschehnissen einmalig und nicht nur von nationaler Bedeutsamkeit.
In den meisten Ortschaften und Städten gibt es allerdings bisher keine öffentliche Feiertradition der Bevölkerung – der 3. Oktober als Nationalfeiertag wird so gerade von der jungen Generation kaum mehr in seiner Bedeutung wahrgenommen.
Mit Unterstützung eines Vereins und gefördert durch die Bundesregierung tritt unter der Schirmherrschaft des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland der Bundesverband Chor & Orchester e.V. als Projektträger eines Open-Air-Feier-Abends am 3. Oktober 2020 auf. Denn das Projekt lebt weitgehend vom gemeinsamen öffentlichen Singen. Verschiedene Szenarien auf der sehr professionell gemachten Homepage der Veranstaltung sehen auch das Singen von den Balkonen während eines möglichen Totalverbots allen Zusammenkommens vor. Aber danach sieht es ja glücklicherweise nun nicht mehr aus.
Die Evangelische Allianz Weimar hat sich Anfang September ebenso kurzfristig wie mutig entschlossen, auch für Weimar die Teilnahme am deutschlandweiten Projekt zu ermöglichen. Die ACHAVA Festspiele Thüringen waren schnell ins Boot geholt – hatte doch Martin Kranz zum 9. November 2019 im Gewölbekeller unserer Stadtbücherei bereits eine Veranstaltung mit Film, Zeitzeugen und moderierter Diskussion angeboten. Und durch seinen Vater ist er zum Zeitzeugengespräch prädestiniert.
Über einen kurzen Umweg gelangte die Pressemitteilung in mein Emailpostfach, und da ich die Hauptorganisatorin, die Geigerin Ulrike Zinke, seit 15 Jahren kenne, erkundigte ich mich bei ihr, ob und wenn nein, warum nicht auch Vertreter der katholischen Pfarrei bei dem von „unterschiedlichen christlichen Gemeinden Weimars“ umgesetzten Vorhaben mit von der Partie seien. Die Lösung war einfach: Die Vorbereitungszeit war zu knapp gewesen. Sie hatte nur geschafft, in unserem Pfarrsekretariat einen Stapel Einladungskarten auf den Schreibtisch zu packen. Diese Karten hatten es in der Folge zwar in den Aufsteller des Kirchenvorraums, die Veranstaltung aber weder in die Dienstberatung, noch in die Vermeldungen oder das Pfarrblatt geschafft.
Aber wie es in unserer Pfarrei so ist – wenn eine Sache nicht zentral organisiert wird, läuft sie über persönliche Kontakte. Bekanntlich ist Weimar ein Dorf. Damit allerdings nicht wieder nur einer der kleinen Freundeskreise unserer Pfarrei, den ich an den zwei verbleibenden Tagen auf die Schnelle motivieren kann, als Vertretung unserer Gemeinde am
3. Oktober ab 19 Uhr auf dem Weimarer Marktplatz
erscheint, formuliere ich hier die herzliche Einladung an Sie alle, sich dem DIY-Open-Air-Konzert anzuschließen.
Die Lieder sind erstaunlich publikumsfreundlich ausgewählt (der Unterton dieser Formulierung rührt von unseren Erlebnissen am vergangenen Wochenende hier, als anläßlich der Firmung unseres Patenkindes in einer Dresdener Kirche eine Jugendband nicht enden wollende Lieder vortrug, von denen die Firmlinge hinterher selber sagten, sie kannten sie alle gar nicht. Das passiert Ihnen am 3. Oktober zuverlässig nicht.) Denn bei der Weimarer Auswahl aus den per Video-Tutorial vorgeprobten Vorschlägen handelt sich um „Dona Nobis Pacem“, „Nun danket alle Gott“, „Amazing Grace“ (aus dessen zweiter Strophe ich den Titel dieses Beitrags entnommen habe), „Über sieben Brücken mußt du gehn“, „Die Gedanken sind frei“, „Hevenu Shalom Alechem“, „Von guten Mächten“ und als Zugabe das wunderbare Abendlied von Matthias Claudius, „Der Mond ist aufgegangen“. Eigens für Weimar haben sich die Musikerinnen sogar noch für „Großer Gott wir loben Dich“ entschieden. Da ein professionell geleiteter Projektchor unter Claudia Zohm einen starken Kern von Sängerinnen und Sängern bilden wird, stelle ich mir das Singen in den drei- oder vierstimmigen Sätzen sehr schön vor. Und wir können es, nach der langen Zeit der Verbote, alle brauchen!
Cornelie Becker-Lamers
PS: Wer nicht kommen kann, kann sich übrigens per Livestream zuschalten. Es ist wirklich an alles gedacht.
PPS: Bringen Sie eine Kerze mit, sagen die Veranstalter. Und haben Sie bitte zur Not eine Mund-Nasen-Bedeckung in der Hosentasche – natürlich ging es wieder nicht ohne irgendwelche „Hygienekonzepte“ 🙄 .
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