Zurüruck zum Inhalt

„das als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist“

 

Am 1. und am 14. September denkt man an Ruth, die Ahnfrau Davids.

 Nachdem zum heutigen Fest Kreuzerhöhung in der Morgenandacht des Deutschlandfunks alles Wesentliche in Erinnerung gerufen wurde und PuLa das Fest außerdem erst unlängst zum Namenstag der Heiligen Helena erwähnt hat, können wir uns heute der alttestamentlichen Gestalt Ruth (Schreibung in der neueren Forschung: Rut ohne h, vgl. hier) zuwenden. Abgesehen von den literarischen Qualitäten, die Johann Wolfgang Goethe in seinen „Noten und Abhandlungen zum West-Östlichen Divan“ so überraschend eindeutig herausgestellt hat (wir zitierten ihn in der Überschrift: Johann Wolfgang Goethe, Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans, Goethes Werke Band II, München: Beck 1981 [= Hamburger Ausgabe] S. 128.), ist das Buch Rut wohl wie kein zweites Buch der Bibel geeignet, Stellung in der Frage zu beziehen, die derzeit mit dem Schlagwort „Flüchtlingsproblematik“ umschrieben wird.

Seit dem Schiffsunglück, das Anfang Oktober 2013 Hunderte von Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa das Leben kostete, reißt die Diskussion um eine veränderte Asylpolitik der Europäischen Union nicht ab. Abgeordnete aller Parteien treibt die Frage um nach dem gerechten Umgang mit Asylbewerbern und Migranten, mit politisch Verfolgten, Kriegs- und sog. Wirtschaftsflüchtlingen. Zu letzteren wären übrigens Ruts Schwiegereltern Noomi und Elimelech zu zählen, die mit ihren Söhnen Machlon und Kiljon Betlehem wegen einer Hungersnot in Richtung des „Grünlands Moab“ verlassen.

Die Frage des Umgangs einer Gesellschaft, aber auch des Umgangs des Einzelnen mit Fremden und mit wahrgenommener Fremdenfeindlichkeit ist nicht neu. Nachdem das Buch Deuteronomium (5. Buch Mose) zunächst die Abgrenzung des Volkes Israel von seinen Nachbarvölkern vorschreibt (weil sie sie beispielsweise beim Exodus nicht durch ihr Land ziehen ließen), nimmt das Buch Rut das Heiratsverbot gegenüber Moabiterinnen zurück. Ja, es führt dieses Verbot regelrecht ad absurdum: Dürfte, wie im alten Gesetz festgelegt, „nicht einmal die zehnte Generation von ihnen [sc. Ammonitern und Moabitern] in die Gemeinde des Herrn eintreten“ (Dt. 23,4), stünde es schlecht um den großen König des geeinten Israel: Obed, Ruts Sohn, ist der Großvater König Davids. Das sind nur drei Generationen. Das Buch Rut also nimmt dieses Verbot zurück und zeigt, daß die Zugehörigkeit zum Volk Gottes einzig und allein auf der Entscheidung jeder und jedes Einzelnen für Gott beruht.
Rut
ist (allzu) häufig als ein rein literarischer Text bezeichnet und wohl auch gerne verharmlost worden worden. Dazu besteht allerdings, auch wenn aktuell kein konkretes historisches Ereignis bekannt ist, das der Erzählung zugrundeliegen könnte, kein Anlaß (vgl. auch hier).

Die Entstehung des Buches, dessen Handlung um 1000 v. Chr. anzusiedeln ist, wird von der Forschung in die nachexilische Zeit gelegt. Eine nennenswerte zeitliche Differenz zwischen erzählter Zeit und Niederschrift ist allein schon dem Umstand abzulesen, daß feste Bräuche im Löserecht bei der Leser- oder Zuhörerschaft der Erzählung offenbar nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden können: „In einem Fall von Lösung oder Tausch gab es früher in Israel diesen Brauch, um jede Angelegenheit gültig zu machen: Der eine zog seinen Schuh aus und gab ihn dem anderen. Dies war in Israel die Bestätigung vor Zeugen.“ (Rut 4, 7)

Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Das Buch Rut, 2.500 Jahre alt, behandelt im Kern das Thema der Integration von Zugezogenen. Die komplexe Anlage der Erzählung läßt die Titelfigur zu wildfremden Verwandten „heimkehren“: Machlon, Ruts früh verstorbener Mann, war als Kind mit seinen Eltern Noomi und Elimelech aufgrund einer Hungersnot von Betlehem ins Land Moab ausgewandert. Nach dem Tod von Mann und Söhnen beschließt Noomi 10 Jahre später, nach Betlehem zurückzukehren. Ihren beiden Schwiegertöchtern Orpa und Rut stellt Noomi frei, sie zu begleiten. Während Orpa sich für ihre Herkunftsfamilie entscheidet, will Rut ihre Schwiegermutter nicht allein lassen und legt ihre eigene Zukunft, den Heiratsregeln des Volkes Israel gemäß, in die Hände von Noomis Verwandtschaft. Während die berühmten Worte, mit denen Rut Noomi ihrer Treue versichert, mittlerweile zum beliebten Hochzeitsspruch avanciert sind („Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du bleibst, will auch ich bleiben; dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ Rut 1, 16), hat der dramatische Moment, in dem Orpa sich von der Gruppe trennt und für die Rückkehr in ihre Heimat entscheidet, Künstler zu wunderschönen Gemälden inspiriert; schauen Sie z.B. hier!

Rut und Noomi ziehen also alleine weiter, um das Tote Meer herum nach Nordwesten. Bei der Ankunft beider Frauen in Betlehem „geriet die ganze Stadt in Bewegung“ (Buch Rut 1, 19). Das unerwartete Erscheinen der einstigen Nachbarin löst unter den Frauen freudigen Trubel aus. Doch als Rut eine unbestimmte Zeit später aufs Feld geht, um, dem jüdischen Witwenrecht entsprechend, bei der Ernte liegengebliebene Ähren aufzulesen, sind zwischen den Zeilen zunächst andere Erlebnisse herauszulesen. Denn Boas, der Besitzer des Feldes, fühlt sich genötigt, den Arbeitern zu verbieten, Rut zu bedrängen und anzuschreien (Rut 2, 9.16). Er lädt Rut zum Essen mit der ganzen Gruppe ein und schenkt ihr Korn.

Rut. Ein Kindermusical über Vertrauen und Verantwortung, fremd sein und Heimat finden.
Nach dem gleichnamigen Buch des Alten Testaments

Das Kindermusical „Rut“, das 2011 in Weimar uraufgeführt wurde und das die Cäcilini Weimar wie auch zwei Schulklassen der Edith-Stein-Schule Erfurt derzeit gerade wieder einstudieren, setzt mit dem Aufbruch der drei Frauen aus Moab ein und arbeitet die Szenen der bejubelten Ankunft in Betlehem wie der Belästigung und Ausgrenzung bei der Feldarbeit scharf heraus. So reflektiert es aktuelle politische Themen wie den Umgang mit Fremden und die Idee von Vertrauen und gegenseitiger Verantwortung zwischen den Generationen. Der Stoff macht die Kinder und Jugendlichen mit einer fremden Gesellschaftsform – feste Großfamilienstrukturen, spezielle Heiratsregeln und Vorstellungen, heute ungewohnte Rechtsbräuche – bekannt und gibt damit indirekt Denkanstöße, das eigene kulturelle Umfeld und unsere Formen des Zusammenlebens bewußter wahrzunehmen.

Im zeitlichen Umfeld der Uraufführung thematisierte die katholische Religionslehrerin für die Weimarer Grundschulen das Buch Rut und ließ die Kinder dazu malen:

„Rut und Noomi freuen sich über viel Getreide“ (Pauline, 7 Jahre; eigenes Bild)

„Rut und Noomi freuen sich über viel Getreide“ (Pauline, 7 Jahre; eigenes Bild)

 

„Rut“ wurde am 26. Juni 2011 in Weimar uraufgeführt (vgl. hier) und erlebte seither weitere Aufführungen in Erfurt, Weimar und der Landgemeinde Apfelstädt. So integrierte bspw. die Erfurter Edith-Stein-Schule 2012 eine Rut-Aufführung durch zwei 6. Klassen als Abendveranstaltung in ihre Festwoche zum 20jährigen Schuljubiläum. Die nächste Weimarer Aufführung mit Kindern und Jugendlichen der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde ist für den 1. November 2015 geplant.

 

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

Ein Trackback/Pingback

  1. Pulchra ut Luna › „Macht ihr euch voll Vertrauen auf“ on Donnerstag, 1. September 2016 um 13:57

    […] Jahr hatten wir um diese Zeit auf den Gedenktag von Ruth, der alttestamentlichen Ahnfrau Davids, hingewiesen und die Ouvertüre des gleichnamigen Kindermusicals eingestellt. Der 1. September ist aber auch der […]

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