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Der Notausgang

Der Notausgang – Folge 1/2

Ein Sketch für drei Personen

 

Wundersdorf im Oderbruch, Pfarrhof. Ein Zwischenhoch beschert ganz Berlin und Brandenburg einen herrlich blauen Himmel, klare kalte Nächte und sonnige Tage. So ist es verständlich, daß Edith und Emma, als sie sich vor dem Gemeindehaus treffen, für einen kurzen Meinungs- und Informationsaustausch ins Schwatzen kommen.

Emma (lehnt von innen am Pfarrhofzaun): Du weißt doch – die Grippewelle! Da hat es eben auch Herta erwischt, und da hat sie mich angerufen, ob ich kurzfristig einspringe und die Woche hier saubermache.

Edith (von außerhalb des Zauns): Und da hast du gleich zugesagt. Das ist ja nett von dir. Da wünsche ich dir nur, daß euch eine gewisse Alleinherrscherin hier nicht aus der spontanen Aktion einen Strick dreht. Irgend etwas findet sie ja eigentlich immer.

Emma (lacht): Ach! Da kann ich keine Rücksicht drauf nehmen! Wichtiger ist, daß der Laden läuft.

Edith: Das kannst du laut sagen! Um ein Haar hätte Corinna ja jetzt auch noch die Sternsingermütter vergrault.

Emma: Ja, erzähl doch mal, das habe ich nur so am Rande mitgekriegt, meine Kinder sind ja schon groß. Ihr durftet nicht selber zählen?

Edith: Jaja, so war es gedacht. Also erstmal: Fabian hatte doch gesagt, die Sammlungsbedingungen sind denen des Landes angepaßt

Emma: … des Landes? Was hat denn das Land mit dem Bistum oder gar mit dieser bundesweiten Aktion zu tun?

Edith: Hab ich damals auch gleich gedacht, aber egal: Er meinte, Bedingungen des Landes, und deshalb wären jetzt die Sammelbüchsen verplombt. Aber wir könnten ja Samstagabend trotzdem zählen, da bräuchte es halt nur vier Augen.

Emma: Klar!

Edith: So! Als ich Samstagabend von der Sammlung zurückkam und Süßigkeiten und Geld abgeliefert habe, hieß es plötzlich: Wir dürfen doch nicht zählen.

Emma: Boah!

Edith: Genau! Ich sage: Aber es sind doch zwo vier sechs Augen da! – Ja, aber „zwei Augen fehlen“.

Emma: Aha! „Punkt Punkt Punkt fehlt“!

Edith (lacht): So etwa.

Emma (gibt zu bedenken): Aber es ging ja auch durch die Zeitung, daß Sternsinger vor verschlossenen Türen standen, weil vorher schon ein paar Betrüger durchgekommen waren. Also die waren als Könige verkleidet, aber haben nicht für die Sternsinger gesammelt, sondern in die eigene Tasche gewirtschaftet.

Edith: Na, aber hör mal! Wenn ein paar Burschen die ganze Aktion vortäuschen und am Schluß mit der Büchse durchbrennen wollen, da hilft doch die beste Verplombung nichts!

Emma: Auch wieder wahr!

Edith: Für die Büchsen unterschrieben haben wir ja außerdem. Neineinein, das war ganz klar hier wieder eine Privatschikane unserer „Bischöfin“! Kam doch in der Messe raus: Petershagen hatte unverplombt gesammelt, die Kinder hatten schon zählen können und man wußte die Summe schon.

Emma: Stimmt, die haben sie genannt – 8.000 irgendwas.

Edith: Ja. Und die Woche drauf hab ich ein bißchen telefoniert und erfahren, daß sie nicht mal im Ordinariat verplombt gesammelt haben!

Emma: Meine Güte! Bei so viel ‚Vertrauen‘ seitens unserer „Gemeindeleitung“ kommt ja wirklich Freude auf!

Edith: Hat ja Merit auch genau so formuliert – und daraufhin prompt einen bösen Brief vom Pfarrer im Kasten gehabt!

Emma: Tja! Unser Pfarrer! Das ist wirklich ein Drama! Was der für ein Talent hat, sich in jeder Situation zielsicher den Notausgang zu versperren! Statt daß er da einmal den Müttern recht gibt! (Sie schüttelt fassungslos den Kopf.) Und Corinna hat dann montags also fröhlich alleine gezählt?

Edith (freudig): Neinein! Das war ja der Clou! Daß jede von den Frauen, die den Termin irgendwie freischaufeln konnte, am Montag zum Zählen im Pfarrbüro war!

Emma: Super! Und dann?

Edith: Dann gab’s erstmal Stunk und wir wurden aus dem Pfarrbüro geworfen, weil „keine Fremden im Pfarrbüro sein dürfen“ …

Emma (entsetzt): Keine „Fremden“?

Edith (grinst): Mhm! Vom feinsten, wa? Merit war schon vor 20 Jahren im Pfarrgemeinderat, die ist länger hier als der Pfarrer – und Frau Schramm war ja auch dabei … aber du weißt doch: „Wessi-freies Pfarrbüro“, den Zustand kann Corinna doch jetzt nicht wegen ein paar Sternsingerfrauen aufs Spiel setzen!

Emma: Wo der Kammerjäger grade erst durch ist … (beide lachen).

Edith: Jaja! „Schädlinge“, sag ich da nur. (Sie blinzelt in die Sonne, die eben jetzt hinter einer Mansarde hervorkommt.)

Emma: Schlimm, schlimm, schlimm! Aber sie fühlt sich vielleicht wirklich verantwortlich für die Finanzen der Pfarrei?

Edith (laut und eindringlich, als sagte sie es nicht zum ersten Mal): Sternsinger ist aber kein Projekt der Pfarrei, sondern eine bundesweite Aktion! Das hat doch insoweit mit der Pfarrei überhaupt nichts zu tun!

Emma: Ach so, stimmt ja …

Edith: Fabian muß ja auch das Porto für die Spendenquittungen jedes Mal von der gesammelten Summe abziehen. Das geht nicht aus der Gemeindekasse.

Emma: Hm! O.k.! Aber sag: Wie ging es aus, mit dem Zählen?

Edith (jovial): Naja, Corinna ist dann bald wieder hoch in die Pfarrerswohnung, wo sie ja auch hergekommen war zu dem Termin.

Emma: Und wer hat gezählt?

Edith: Na wir, wir Frauen und Fabian.

Emma: Na, das hätte man ja einfacher haben können!

Edith: Tja …

Emma: Und dann war doch noch was in der PGR-Sitzung …?

Edith: Wo Corinna Fabian bezichtigt hat, er hätte das alles falsch verstanden mit dem Zählen etc.

Emma: Also, das ist doch … Die läßt ja wirklich nichts aus!

Edith: Einfach superfeige! Naja – und Fabian läuft jetzt rum und rechtfertigt sich.

Emma: Klar! Mein Gott, in dessen Haut möchte ich aber auch nicht stecken! Jeden Tag mit Corinna zu tun zu haben …! Dienstlich!

Edith: Allerdings hat er auch noch nie für jemanden Partei ergriffen, der über den Tisch gezogen wurde. Der soll jetzt mal den Ball flach halten.

Emma: Nee, das nicht! Aber was draus lernen: Das Verrückte ist ja, daß alle jammern, was Corinna für erfundene Geschichten über sie verbreitet – aber kaum jemand zieht den Schluß, daß er dann das, was so über andere in Umlauf gebracht wird, auch nicht einfach so glauben und weitertragen sollte! Sondern mal bei den Betreffenden nachhören!

Edith (nickt): Guter Punkt! Apropos: Kennst du den schon? (Sie grinst.) Warum ist in Wundersdorf auch ein hölzerner Glockenstuhl einsturzgefährdet?

Emma (überlegt ein bißchen, grinsend): Na, warum?

Edith: Weil hier gelogen wird, daß sich die Balken biegen.

(Beide lachen, als plötzlich mit Blaulicht und Tatütata ein Feuerwehrauto um die Straßenecke gebraust kommt und mit quietschenden Reifen in den Pfarrhof einbiegt. Das Martinshorn wird abgeschaltet und der Fahrer springt heraus.)

Fortsetzung folgt

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

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