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Der Psalmen-Adventskalender, Tag/Psalm 9 „Confitebor tibi, Domine…“

1 In finem, pro occultis filii. Psalmus David.

12 Psallite Domino qui habitat in Sion; annuntiate inter gentes studia ejus,

13 quoniam requirens sanguinem eorum recordatus est; non est oblitus clamorem pauperum.

14 Miserere mei, Domine: vide humilitatem meam de inimicis meis,

15 qui exaltas me de portis mortis, ut annuntiem omnes laudationes tuas in portis filiæ Sion.

20 Exsurge, Domine; non confortetur homo: judicentur gentes in conspectu tuo.

21 Constitue, Domine, legislatorem super eos, ut sciant gentes quoniam homines sunt.

 

23 Dum superbit impius, incenditur pauper: comprehenduntur in consiliis quibus cogitant.

32 Dixit enim in corde suo : Oblitus est Deus; avertit faciem suam, ne videat in finem.

35 Vides, quoniam tu laborem et dolorem consideras, ut tradas eos in manus tuas. Tibi derelictus est pauper; orphano tu eris adjutor.

38 Desiderium pauperum exaudivit Dominus; præparationem cordis eorum audivit auris tua,

39 judicare pupillo et humili, ut non apponat ultra magnificare se homo super terram.

 

1 Zum Ende, für die Geheimnisse des Sohnes, ein Psalm Davids.

12 Lobsinget dem HErrn, der auf Sion wohnet! Verkündet unter den Heiden seine Rathschlüsse;

13 denn der Rächer ihres Blutes gedachte ihrer, er vergaß nicht das Geschreie der Armen.

14 Erbarme Dich meiner, o HErr! Sieh meine Erniedrigung durch meine Feinde,

15 der Du mich emporhebest aus den Thoren des Todes, damit ich All Dein Lob verkünde in den Thoren der Tochter Sions.

20 Steh auf, o HErr, es erstarke nicht der Mensch; vor Deinem Angesicht sollen gerichtet werden die Völker.

21 Setz, o HErr einen Gesetzgeber über sie; damit die Völker erkennen, daß sie Menschen sind.

 

23 So lange Uebermuth treibet der Gottlose, muß brennen der Arme; aber jener wird gefangen in den Anschlägen, die er ersinnet

32 Denn er spricht in seinem Herzen: Gott hat’s vergessen, hat abgewandt sein Angesicht, daß er’s nimmermehr sehe.

35 Du siehst es; denn Du schauest die Mühsal und den Schmerz, um sie Deiner Hand zu übergeben. Dir ist überlassen der Arme; der Waise bist Du Helfer.

38 Das Verlangen der Armen hat erhöret der HErr, Du hast bereitet ihr Herz, daß darauf höre Dein Ohr,

39 daß Du Recht schaffest der Waise und dem Niedrigen, daß der Mensch hinfüro sich nimmer groß mache auf Erden.

 

Wenn wir [den Psalm], auch unabhängig von bestimmten Situationen, als Christen beten, dann tun wir es unter der Voraussetzung, daß alle Schriften letz­ten Endes von Christus und von der Befreiung durch Ihn han­deln. […]
So ist die Wirklichkeit: nicht neutral gegen Gut und Böse, son­dern in ihrem Grund und Wesen gut. Auch der Richter ist Partei, für das Recht und damit für den, der Unrecht leidet, also den Armen, den Unterdrückten, den Bedrängten. Er ist »Bluträcher«. […]
Und nun: »Er vergißt nicht die Schreie der Armen.« Der Beter des Psalms meditiert die wahre Ordnung der Dinge. Er durchdringt betend den dichten Nebel der irdischen Maßstäbe. […]
Die Meditation über Gottes gerechtes Gericht führt indes nicht aus der irdischen Wirklichkeit heraus, in der die Not des Armen fortbesteht. Daher das Nebeneinander: Dank für das Gericht und Bitte um Gericht: […] Die Welt, wie sie ist, ist charakterisiert durch Hybris, durch den babyloni­schen Turmbau, die Selbstüberhebung des Menschen. Worin liegt die Hybris? Sie liegt darin, daß der Mensch unter dem Vorwand, das Recht zu interpretieren, sich selbst zur Quelle des Rechts und seiner Geltung macht. Solches Recht kann immer nur zur Bedrü­ckung der jeweiligen Armen fuhren, denn wo der Mensch herrscht, herrscht notwendigerweise der Stärkere, seien es Einzelne über Viele, seien es Viele über Einzelne. Aber Recht heißt: Unterordnung des Menschen unter ein Gesetz, das seinen Ursprung nicht in ihm selbst hat. Alles andere ist »Überhebung«. Frei ist der Mensch nur, wo Gott Richter der Volker ist. […]

Die Welt ist verkehrt. Der Psalm schildert die verkehrte Welt, in der der Frevler nicht nur sein Unwesen treibt, lügt, dem Armen auflauert, ihn ausplündert, mordet, sondern dies alles auch mit der Sicherheit dessen tut, der weiß, daß er nichts zu fürchten hat. […]
Und wieder die dem Gebet eigentümliche Wendung in den letzten Versen: Das Gebet selbst vermittelt die Gewißheit seiner Erhörung. Plötzlich heißt es: »Das Begehren der Armen hast Du vernommen.« […]
Die Hybris des Menschen, die ihn sich selbst an »Gottes Stelle setzen«, die ihn »Recht setzen läßt«, bedeutet: »Gewalt«. Gewalt ist das Gegenteil legitimer Herrschaft. […]
Die Auferstehung Christi ist der ostentative Bruch aller menschlichen Gewalt, denn das stärkste Instrument dieser Herrschaft ist der Tod. Wo die Macht des Todes gebrochen ist, da »übt ferner kein Mensch von der Erde Gewalt«. Als Menschen, die im Zeichen der Auferste­hung Christi leben, können wir mitten in der Welt der Gewalt des Menschen beten: »Das Begehren des Armen hast Du vernom­men, Herr.« (RS)

 

Mit dem heutigen Psalm, dem zehnten in der Zählung der Septuaginta und ihr folgend der Vulgata, läuft ihre Zählung mit der momentan aktuellen auseinander. In ihr handelt es sich um zwei Psalmen, Nr. 9 und Nr. 10. In den Büchern aus dem 19. Jahrhundert, die ich benutzt habe, heißt es dann für das, was hier der zweite Teil von Psalm 9 ist: „Psalm 10 nach den Hebräern“.

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Allioli-Bibel, „Ps 10 Nach den Hebräern“ (eigenes Bild)

Dies ist nicht der Ort, sich mit dem Für und Wider beider Zählweisen auseinanderzusetzen. In letzter Konsequenz ist es auch sicherlich (beinahe) egal. Aber ich möchte schon festhalten, daß es Gründe gibt, an der „alten“ Zählweise festzuhalten, m.E. sogar wissenschaftliche. Aber das zu begründen bin ich von Ausbildung nicht berufen und weiß noch nicht genug davon, um zum jetzigen Zeitpunkt etwas dazu zu sagen. Daß ich mich für den Adventskalender so entschieden habe, wie ich es entschieden habe, hat dennoch auch heute schon belastbare Gründe, die zu erkennen und nachzuvollziehen man kein Altphilologe sein muß: Wie schon in der Einleitung ausgeführt, bedeutet es mir sehr viel, diese Texte zu beten in dem Gefühl der Verbundenheit mit den Generationen von Betern vor unserer Zeit. Für mich ist das ein so gewichtiges Argument, daß ich die Weise, wie in der Allioli-Bibel die Zählung „ nach den Hebräern“ in Klammern angegeben wird

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Allioli-Bibel, „Ps 22 (23)“ (eigenes Bild)

gegenüber dem heutigen Verfahren, daß dies ja genau umgekehrt macht (also die Zählung der Vulgata in Klammern setzt), deutlich bevorzugen würde. Und wenn heute vielerorts der Bezug auf die lange bewährte Zählweise gar ganz weggelassen wird, dann frage ich mich schon, ob es den dafür Verantwortlichen eigentlich völlig „wurscht“ ist, wenn ein Augustinus oder eine Teresa von Avila, ein Robert Bellarmin oder eine Teresia Benedikta v. Kreuz (Edith Stein) nicht (sofort) verstanden hätten, was sie mit einem Bezug auf Ps. 23 meinen, weil sie ihn als Ps. 22 kannten. Mir ist das aber nicht egal.
Und auf einer anderen grundsätzlichen Ebene geht es darum erneut dem vulgären Vorurteil entgegenzutreten, das da lautet: „Alt = dumm; neu = schlau“. Das paßt gar nirgendwo, im Umgang mit heiligen Texten und ihrer Geschichte aber besonders schlecht.

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