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Böse Wörter und was man (nicht) überprüfen kann

Wer großgeworden ist in dem geistigen Klima, das die ach so wunderbaren ‚Sechziger Jahre‘ hinterlassen haben, und das für viele einflußreiche ältere und leider auch nicht so ältere Herrschaften inner- wie außerhalb der Kirche, so will es scheinen, nach wie vor eine Art innerer Idylle ist, die zu verlassen sie ausgesprochen unwillig sind, wer, sage ich, unter diesen Bedingungen großwerden mußte, der begriff irgendwann, und zwar eher früher als später, daß die vielen „kleinen“ ’Befreiungen‘, ‚Tabubrüche‘ und ‚Modernisierungen‘, bzw. die „große“ ‚Emanzipation, die ihn täglich umgab, paradoxerweise eine ganze Hierarchie von Tabuisierungen und Schweigegeboten mit sich brachte.

Denn da gab es Begriffe, die wurden zwar vielleicht noch gelegentlich erwähnt, aber doch nur, um sie, meist begründungslos, als ‚überwunden‘, bzw. ‚nicht mehr zeitgemäß‘ (der „Klassiker“ schlechthin, bis heute…) zu kennzeichnen und zwar gerne in der besonders zersetzenden Form milden Spotts, statt wütender Ablehnung, der man ja immerhin den Respekt für die abgelehnte Sache noch hätte anmerken können.

‚Sonntagspflicht‘, war so ein Wort. ‚Fasten am Freitag‘, bzw. ‚Fastenzeit‘ (die echte, christlich begründete) waren andere und es gehört zu den großen und weithin jedenfalls individuell nach wie vor unbewältigten Heucheleien jener Epoche, bzw., ihrer intellektuellen Wortführer bis heute, daß das kritische Instrumentarium, das Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ schon vor Ende des zweiten Weltkriegs (!) zur Verfügung stellten, gerade mit ihrem Blick auf die Gewalt der Ökonomisierung, dort, wo es um Religion und religiös geprägte Kultur ging, keinesfalls zum Einsatz kommen durfte. Dabei waren doch beide Denker gewiß nicht der christlichen Apologetik verdächtig.

Doch „höher“ noch in der Hierarchie „böser“ Wörter standen diejenigen Begriffe, die sicherheitshalber vollends verschwiegen wurden, schon, weil man sich vor seinesgleichen ja lächerlich gemacht hätte, hätte man ernsthaft riskiert ‚eucharistische Nüchternheit‘ oder ‚Vorfastenzeit‘ in den Mund zu nehmen. Und auch die ‚vorkonziliare Messe‘ gehört natürlich genau hierher.

So kam es, daß ich z.B. von der ‚Vorfastenzeit‘ bewußt vermutlich erst jenseits meines 40ten Lebensjahrs gehört habe, obwohl (fast) alles um mich herum katholisch geprägt war.

Kam aber einer dieser wahren Spitzenreiter in der Hierarchie ‚böser Wörter‘ aus irgendeinem Grunde doch einmal vor, dann wurde der Ton schärfer, verschwand der milde Spott und größere Kaliber des Abwertungsdiskurses kamen zum Einsatz. ‚Angst-´ oder gleich ‚krankmachende‘ Mechanismen ‚vormoderne Rituale‘ oder gar ‚unmenschliche Unterdrückungsmethoden‘ waren es dann, mit denen die Kirche ‚die Menschen‘ jahrhundertelang gequält habe und daneben in der Liturgie doch nur „leeren Pomp‘ und ‚unverständliches Zeugs‘ produziert hätte.

Und wer, wie ich, gerade gegenüber den Hervorbringungen „jugendgemäßer“, „moderner“ Liturgie eine nachgerade instinktive tiefe Ablehnung und einen ästhetischen Horror empfand (ich rede hier natürlich nicht von einer ordnungsgemäß gefeierten Messe im novus ordo, aber ich rede vom NGL und ‚alternativen Gottesdienstformen‘!), der war eben ein wenig ‚zurückgeblieben‘, bzw. noch nicht recht erwachsen.

Bis heute hört man die gleiche Leier von der ‚Kälte‘, der ‚Leere‘, dem ‚Formalismus‘ und den ‚Übertreibungen‘ („Marienkult“…) der kirchlichen Hervorbringungen der Zeit „vor dem Konzil“ und das Heldenlied, wie doch gerade diese Generation, die in den „ Sixties“ jung war, das alles überwunden habe.

Ich gehe, angesichts dessen, was man in der nachkonziliaren Entwicklung beobachten mußte, davon aus, daß in der „Kirche von 1960“ nicht alles in Ordnung gewesen sein kann.
Nur, überprüfen kann ich nicht, was mir da von Fall zu Fall geschildert wird, an Symptomen dieses mangelhaften Zustands. Ich kann nicht überprüfen, ob die Andacht in der Messe vor, sagen wir 1965, wirklich so schlecht war. Ich kann nicht überprüfen, ob wirklich keiner was verstanden hat, bzw. signifikant weniger als heute, ich kann nicht überprüfen, wer und wie stark unter ‚starren Fastengeboten‘ gelitten hat und so weiter und so fort. Der ganzen Generation der nach ca. 1960 geborenen wurde zugemutet, das einfach für wahr zu halten, bzw. schlicht dem zu vertrauen, was ja „alle“ sagten. Da man sich ein eigenes Bild nicht mehr machen konnte/durfte, waren es Erfahrungen aus zweiter Hand, also gar keine Erfahrungen!, auf die gegründet man gutheißen sollte, was einem zuwider war. Bis heute.

Und dann wird man älter. Und man weiß immer noch nicht viel mehr von der Vorfastenzeit, als daß es sowas einmal gab. Und dann fällt einem auf, wie du dich gerade verhältst, wie du ißt und trinkst, nach dem Ende der weihnachtlichen Festzeit und mit dem Blick voraus auf die Fastenzeit, das ist genau das: Ein Vor-Fasten; du hast nichts gelesen und schon gar keine Vorschriften gemacht bekommen (von wem denn auch?), nein, du läßt einfach graduell das eine oder andere „Extra“ in der Ernährung auslaufen, weil du spürst, es ist dem gemäß, was jetzt ansteht, ja, es ist DIR gemäß. Das kann ich überprüfen.

Und du fragst dich, was ist menschlicher: Eine Institution, die aus jahrhundertelanger Erfahrung Regeln und Gründe gefunden hat, für das, was dir (dem Menschen) gemäß ist, oder unterbrechungslose Völlerei für unterbrechungslosen Umsatz?

Abstrakter gesagt: Wer hatte und hat die richtigere Anthropologie, das tauglichere Bild vom Menschen?

Werdet endlich ‚Vergangenheit, die vergeht‘, ‚Sechziger Jahre‘ und: Danke für gar nichts!

 

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