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Biographien der Befreiungstheologie, Nachtrag zum Erfurter Eschatologie-Symposium

Die Frage nach Bewertung und  Aktualität der Theologie der Befreiung im Kontext eschatologischer Überlegungen im allgemeinen und dem Werk Joseph Ratzingers sowie seinem kirchenpolitischen Wirken im besonderen hatte auf dem Erfurter Eschatologie-Symposium am vergangenen 1. Juni eine (für mich überraschend) große Rolle gespielt.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht von Interesse, kurz an die unterschiedlichen Lebensläufe der Brüder Leonardo (*1938) und Clodovis Boff, OSM (*1944) zu erinnern.
Beide waren und sind!, in je verschiedener Weise, prominente Vertreter der Theologie der Befreiung, beiden wurde (de facto) die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen – und beide erhielten sie zunächst zurück.
Jedoch: Während Leonardo Boff mittlerweile aus dem Franziskanerorden ausgetreten ist, geheiratet hat und de facto sozialistischer Politiker geworden ist, hat sein Bruder einen ganz anderen Weg genommen: Er brach im Jahr 2007 vollständig mit der anfangs auch von ihm vertretenen Richtung der Theologie der Befreiung, ist nach wie vor Mitglied des Servitenordens und lehrt weiterhin im kirchlichen Auftrag.

Clodovis Boff, OSM (Bild: Servitenorden)

In unserem Zusammenhang ist besonders interessant, was er vor kurzem in einem Interview gesagt hat:

«Ojalá hubiéramos hecho caso a Ratzinger»

Ach so, Sie können kein Spanisch?

Psssst, ich auch nicht! 😉 , aber Google Translate hilft manchmal eben doch:

“Ich wünschte, wir hätten Ratzinger zugehört

Das ist das Ergebnis, zu dem ein wirklich Beteiligter, ein Betroffener gelangt, der, es sei nochmals gesagt, den Grundelementen seines intellektuellen und spirituellen Weges gerade nicht untreu geworden ist, nicht hat untreu werden müssen.

Ja, es lohnt sich, Joseph Ratzinger zuzuhören, seinen Argumenten; ob wir wohl irgendwann einmal ähnliche öffentliche Eingeständnisse aus dem deutschen Sprachraum erleben werden?

Damit wollte ich eigentlich schon schließen, doch es gäbe noch vieles Interessante zu den Lebensläufen der Brüder zu sagen und zwei Bemerkungen würde ich gerne noch anfügen, die hoffentlich geeignet sind, bei der nächsten Erwähnung des Namens Leonardo Boff die gebotene Nüchternheit zu wahren.

Zunächst wird ja immer noch und immer wieder in den MSM (Mainstream-Medien) der ältere der Boff-Brüder als der vom ‚bösen Panzerkardinal Ratzinger‘ verfolgte und drangsalierte Vorkämpfer der Unterprivilegierten dargestellt, dem sich die herzlose Kirche in den Weg gestellt hat, die damit ihrem Auftrag untreu wurde, sich auf die Seite der Armen zu stellen.
Die Wahrheit ist, L. Boff hat sich von sich aus an die Glaubenskongregation mit der Bitte um Prüfung gewandt, die Gründe für das vorübergehende Schweigegebot (das obendrein vorfristig aufgehoben wurde) waren streng theologischer (insbesondere ekklesiologischer) Natur und hatten mit der „Option für die Armen“ in ihrem berechtigten Anliegen gar nichts zu tun (vgl. bloß den offenbar völlig positiv voreingenommenen Wikipedia-Eintrag, der insofern ausgesprochen „unverdächtig“ ist, hier). Wir haben es hier erneut mit einem typischen Fall einer „Schwarzen Legende“ zu tun und man kann nur wieder einmal zu dem Schluß kommen: „Glaub der Zeitung, dem Rundfunk oder gar dem Fernsehen nichts, einfach gar nichts, was Du über Kirche hörst, bevor Du es nicht selbst geprüft hast!“

Und zwar auch dann nicht, und damit kommen wir zum zweiten Punkt, wenn es im Gewand einer positiv gemeinten Meldung einherkommt. Erinnern Sie sich, wie L. Boff landauf, landab zitiert wurde mit seinen Einschätzungen über Papst Franziskus aus dem „Spiegel-Interview“ vom 18. Februar (hier)? Nun, inzwischen haben wir von diesem Hl. Vater viel Schönes gehört, was zu diesen ganz und gar veräußerlichten (um nicht zu sagen primitiv vergröberten) Vorstellungen einer Orientierung an den Armen  glücklicherweise nun überhaupt nicht paßt. Außerdem hat sich Leonardo Boff als „Prophet“ ohnehin bereits gründlich diskreditiert, spätestens, so sollte man meinen, als er 2003 mit dem umstrittenen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva „die Befreiungstheologie an die Macht“ gekommen sah.
Richtig ist, daß da Silva die in der Tat zunächst in seinem Umfeld tätigen Befreiungstheologen bald wegliefen. Mehrere Umweltkatastrophen und Korruptionsskandale später sehen Brasilienkenner in dieser von L. Boff hergestellten Verbindung von konkreter Politik und religiös aufgeladener Erwartung eine der größten Blamagen der Befreiungstheologie überhaupt, die dem Anliegen massiv geschadet habe.

Leonardo Boff hat offenbar wirklich „Ratzinger niemals zugehört“ – zum Nutzen für die Armen war das gewiß nicht.

PS: Sorry, dieser Beitrag hat sich über mehrere Tage geschrieben und nun muß ich noch was loswerden: Wie sehr einem nämlich selbst bei so kurzer Beschäftigung mit einem Thema die damit verbundenen Menschen naherücken und sich Gefühle von Sympathie oder Antipathie einstellen.

Leonardo Boff kam bei mir leider immer schlechter weg und zwar aus stilistischen Gründen:
Wenn ein Priester seiner Berufung nicht mehr folgen kann, seinen Stand verläßt und heiratet, das ist immer traurig, aber, leider, nicht völlig ungewohnt. Doch was soll man davon halten, wenn das nach jahrelanger „Affäre“ mit der Frau eines Freundes geschieht?
Und was soll man über solch melodramatische Äußerungen in Richtung seines Bruders denken wie: „Seine Absicht ist für mich das Äquivalent dazu, als wolle er sagen: ‚Mein Bruder, ich gebe Dir einen Stich ins Herz, aber entspann Dich, es ist zu Deinem eigenen Besten.‘“
Und wie soll man schließlich den Vorwurf finden, Clodovis Boff habe sich „mit Leib und Seele“ dem Ansatz der Bischofskonferenz von Aparecida, 2007 (vgl. hier, hier und hier) verschrieben und zwar voller „naivem Optimismus und jugendlichem Enthusiasmus“? (Quelle der Zitate hier)

Das fand ich zunächst richtig übel, bis mir klar wurde: Man muß vielmehr Mitleid haben mit Leonardo Boff!
Für ihn gilt offenbar derVers:
‚Inveteravi inter omnes inimicos meos‘ (Ps. 6, 8 Vg): ‚Ich bin gealtert inmitten meiner Feinde‘
, während auf seinen Bruder das wunderbare Wort zutrifft:
‚Qui replet in bonis desiderium tuum * renovabitur ut aquilae iuventus tua‘ (Ps. 102, 5 Vg)‚ Der dein Sehnen mit Gutem erfüllt, deine Jugend wie die des Adlers erneuert‘

Wer seinem Bruder dieses Erleben öffentlich mißgönnt und sich darüber lustig macht, kann Gebet gebrauchen, nicht Antipathie…

PPS: Noch ein Nachtrag… Am 21. Juni 2013 meldet der Blog ‚Vaticaninsider‘ der italienischen Tageszeitung La Stampa, daß das in Deutschland schon 2004 erschienene Buch „An der Seite der Armen“ (Gustavo Gutiérrez, Gerhard Ludwig Müller, An der Seite der Armen: Theologie der Befreiung, Augsburg (St. Ulrich) 2004) nun auch auf italienisch erschienen ist (hier). Da unterdessen ein Lateinamerikaner den Thron Petri bestiegen hat und Erzbischof Müller Präfekt der Glaubenskongregation ist, ein nicht ganz unbedeutendes Faktum!
Hm, ich fürchte, das Buch muß auf die Sommerlektüreliste; dürfte der bitte 8 Wochen dauern? 😉 (und nein, ich kann auch kein Italienisch, aber, s.o., die Übersetzungshilfen im Netz sind so schlecht nicht! Kleiner Tip: lassen Sie ins Englische übersetzen, das funktioniert häufig besser)

2 Kommentare

  1. Elisabeth Palzkill schrieb:

    Ich vermisse in Ihrem Blog eine Vorstellung
    von Ihnen.

    Freundliche Grüße
    Elisabeth Palzkill

    Donnerstag, 27. Juni 2013 um 15:48 | Permalink
  2. Sehr geehrte Frau Palzkill,

    auf eine ausdrückliche Vorstellung habe ich absichtsvoll verzichtet, so wichtig nehme ich mich, jedenfalls in diesem Zusammenhang, einfach nicht.

    Aber ich glaube, aus diesen Seiten wird dennnoch einiges über mich deutlich. Haben sie den Beitrag über das Glaubenszeugnis in Eilsleben gelesen?

    Besten Gruß

    GL

    PS: Der Dank für den Hinweis auf diesen Beitrag (ich bin nicht mal selbst drauf gekommen!) geht an den wunderbaren „Frischen Wind“!

    Samstag, 29. Juni 2013 um 21:26 | Permalink

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