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Eine Papstmesse ist eine Papstmesse, ist eine Papstmesse!

Und ich habe noch niemanden gehört, der dort war und den Weg bedauert hätte!

Aber in etlichen Gesprächen ist auch deutlich geworden: So manche(r) hatte nach Ende der Veranstaltung ein etwas diffuses Gefühl, so ein bißchen wie: „War’s das denn jetzt?“ bzw. „War das alles?“ Ich kann das gut verstehen und möchte einige Betrachtungen dazu mit Ihnen teilen.

Damit von vornherein kein Mißverständnis aufkommt: PuLa schmeichelt sich, der papstreueste Blog an der unteren Ilm zu sein (vielleicht sogar an der ganzen!) aber ich möchte auch einen nüchternen Blick wahren (und bin mir darin der Übereinstimmung mit dem Gelehrten Josef Ratzinger gewiß! ;-)).

Zu Beginn muß man einfach feststellen: Der Hl. Vater hat schon mitreißender gesprochen, er hat sich überdurchschnittlich oft „verhaspelt“ und er wirkte körperlich schwach, was viele mit Anteilnahme und Sorge zur Kenntnis genommen haben.

Nun, ich glaube zum letzten Punkt fällt die Beruhigung am leichtesten, denn wer anschließend die Bilder aus Freiburg gesehen hat, sah da einen viel frischeren Benedikt, der das dortige Mammutprogramm offenbar bestens durchgestanden hat.

Aber, so könnte man jetzt einwenden, das macht die Sache ja nur schlimmer: Hatte der Hl. Vater etwa nicht soviel Interesse an Erfurt?

Nein, so war es ganz gewiß nicht!

Aber betrachten wir doch zunächst einmal die äußeren Umstände. Hinter Benedikt lagen an diesem Samstagmorgen mit dem Augustinerkloster, vor allem aber der Begegnung mit den Mißbrauchsopfern zwei Termine mit ganz ungewöhnlicher Anspannung und, was den letzteren angeht, auch seelischer Belastung!

Und dann muß man doch eingestehen, daß die Begrüßung auf dem Domplatz eher höflich als begeistert ausfiel, oder? Das ist auch leicht erklärbar: Nicht nur hatten die Menschen vorher stundenlang in bitterer Kälte gestanden, nein, das sehr ordentliche und professionell gemachte aber eben auch typisch deutsche Vorprogramm (voller „Themen“ und auch  „Probleme“) war nicht gerade zum „Einheizen“ angetan…

Und schließlich sind sicherlich viele der begeisterungsfähigsten Katholiken gerade auch von außerhalb der Diözese nach Etzelsbach gefahren, was man ihnen angesichts der Erfurter Sicherheitsaufstands und der Platzbegrenzungen auch nicht verdenken kann. Ich habe auf dem Domplatz dementsprechend viele Menschen erlebt, für die das Ganze tatsächlich ein „Event“ war, die vielleicht evangelisch, in großer Zahl aber nichtgläubig waren. Und wie still und diszipliniert sich gerade auch diese Menschen während der langen Messe verhalten haben, das stellt ihnen ebenso ein gutes Zeugnis aus, wie der Fähigkeit Benedikts, auch Leute zu fesseln, die gar nicht so recht verstehen, was da eigentlich gesagt wird (unabhängig von der Frage übrigens, daß auch in Latein gebetet wurde, wozu es leider viele deplazierte Bemerkungen prominenter Protestanten gibt).

Ob weiterhin alles in der liturgischen und musikalischen Gestaltung der Messe den Papst besonders inspiriert hat, möchte ich dahingestellt sein lassen und lieber zum Kernpunkt kommen, der hier zu behandeln ist: Der Predigt.

Da ist ja nun auch gerade sogar in der FAZ wieder geschrieben worden: Dieser Papst schreibt alle seine Reden selbst. Das wären dann 18 Stück im Verlauf dieses Besuchs gewesen.

Mit Verlaub: Das halte ich für Unsinn und wenn es so wäre, müßte man den armen Hl. Vater bedauern und den Vatikan beschimpfen, denn das wäre wahrlich keine sinnvolle Zeiteinteilung für das Oberhaupt der Weltkirche!

Richtig ist, und das merkt man den Reden/Predigten Benedikts auch genau an, er macht sich die Texte, die er vorträgt in ungewöhnlicher Weise zu eigen und ja, etliche schreibt er bestimmt weitestgehend alleine. Aber das schließt doch selbstverständlich nicht aus, daß er auch von hilfreichen Geistern Entwürfe erhält, dafür gibt es doch Mitarbeiter!

Und genauso wirkt der vorab veröffentlichte Text der Erfurter Predigt: Wie ein solider Entwurf, in dem alles drin stand, was gesagt werden sollte und mußte (NS-Zeit, DDR, Dank für Standhaftigkeit, die Heiligen des Landes und Ermutigung). Aber ein inspirierter Text entsteht so nur sehr selten.

Meine These ist nun, daß der Hl. Vater dies erst relativ spät gemerkt hat, denn der inhaltliche Schwerpunkt für Thüringen lag eben im Augustinerkloster und das Treffen mit den Mißbrauchsopfern hat, am Abend zumal, stark belastet.

Man kann, wenn man den „Entwurf“ mit der Tonaufzeichnung vergleicht, ganz genau hören, wo Benedikt persönlich redigiert und ergänzt hat. An diesen Stellen verändert sich jeweils sein Vortrag und wird so, wie wir ihn kennen, leise, milde aber unglaublich lebendig und mitreißend. Aber zur Umgestaltung der ganzen Predigt fehlte, so glaube ich, schlicht die Zeit!

Und was war der Inhalt dessen, was er uns eigentlich noch intensiver hatte sagen wollen? Das war echter Benedikt; So typisch für diesen Papst wie nur etwas!

Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen, in den Abschnitten, in denen er besonders stark vom „Entwurf“ abgewichen ist:

„Liebe Schwestern und Brüder.“

Man beachte die Reihenfolge dieser ersten Anrede.

„Aber die Frage steht natürlich vor uns: Haben diese Möglichkeiten uns auch ein Mehr an Glaube gebracht? Ist der Wurzelgrund des Glaubens und des christlichen Lebens nicht tiefer als in der gesellschaftlichen Freiheit zu suchen? Viele entschiedene Katholiken sind gerade in der schwierigen Situation einer äußeren Bedrängnis Christus und der Kirche treu geblieben. Wo stehen wir heute?“

Wichtig hier ist die spezifische Vortragsweise des Hl. Vaters in Frage-Stellungen wichtig auch das „tiefer“, wo in mancher veröffentlichten Fassung ein „ ganz woanders“ steht, was ja nun ganz was anderes ist.

„Die heilige Elisabeth wird auch von evangelischen Christen sehr geschätzt; sie kann uns allen helfen, die Fülle des Glaubens, seine Schönheit und seine Tiefe und seine verwandelnde und reinigende Kraft zu entdecken und in unseren Alltag zu übersetzen.“

“Schönheit und Tiefe“ fehlen im „Entwurf“ und mancher veröffentlichten Fassung.

„Der Missionsbischof Bonifatius war aus England gekommen, und zu seinem Arbeitsstil gehörte es, daß er in wesentlicher Einheit und in enger Verbindung [wörtl. „Einheit“] mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des heiligen Petrus wirkte; er wußte, daß die Kirche eins sein muß um Petrus herum.“

Die Betonung der auch heute notwendigen Verbindung mit dem Petrusamt fehlt auch mal.

„Dieses große „Mit“, ohne das es keinen persönlichen Glauben geben kann, ist die Kirche. Und diese Kirche macht nicht vor Ländergrenzen halt, das zeigen uns die Nationalitäten der Heiligen, die ich genannt habe: Ungarn, England, Irland, Italien. Hier zeigt sich, wie wichtig der geistliche Austausch ist, der sich über die ganze Weltkirche erstreckt, er war grundlegend für das Werden der Kirche in unserem Land, er bleibt grundlegend für alle Zeiten: daß wir miteinander über die Kontinente hin glauben und voneinander glauben lernen.“

Nicht nur das „große“, sondern auch der Schluß des Abschnitts, der die Weltkirche betont und ihre, unsere!, heutige und immerwährende Öffnung auf das Glauben, die Glaubensweise in anderen Kontinenten, werden gern unterschlagen.

„Wir wollen, wie die Heiligen Kilian, Bonifatius, Adelar, Eoban und Elisabeth von Thüringen als Christen auf unsere Mitbürger zugehen und sie einladen, mit uns die Fülle der Frohen Botschaft, ihre Gegenwart und ihre Lebenskraft und Schönheit zu entdecken.“

„Gegenwart“, „Lebenskraft“ und „Schönheit“ werden manchmal weggelassen.

„Sie [sc. die Gloriosa] möge uns dazu ermuntern, nach dem Beispiel der Heiligen das Zeugnis sichtbar und hörbar zu machen in der Welt, die Herrlichkeit Gottes hörbar und schaubar zu machen und so zu leben in einer Welt, in der Gott da ist und Leben schön und sinnvoll werden läßt. Amen.“

Die „Herrlichkeit“, das „schöne und sinnvolle Leben“ und der „anwesende Gott“  ganz zum Schluß der Predigt fehlen ebenfalls gelegentlich.

Hinzu kamen etliche Stellen, an denen der Hl. Vater durch kleine Veränderungen den Vortrag viel lebendiger (manchmal vielleicht auch „bayerischer“) gemacht hat, und an denen er häufig im Vortrag „hängengeblieben“ ist. Für mich ein deutliches Anzeichen von handschriftlicher Überarbeitung „im letzten Moment“, die ja nun einmal die Lesbarkeit des Vortragsmanuskripts nicht erhöht!

Also, die Weltkirche und ihre Folgerungen, die heute notwendige Verbindung mit dem Petrusamt sowie Schönheit, Tiefe und Herrlichkeit des Lebens aus dem Glauben, das waren die Elemente, die, musikalisch gesprochen „Themen“, der großen Gesamt-Ansprache an die deutsche Kirche, die sich der Papst für Erfurt vorgenommen hatte.

Und damit hat er ganz präzise Dinge angesprochen, die uns hier in der Diaspora in besonderer Weise drängen (sollten)! Hier hören wir gelegentlich auch aus dem Mund von Geistlichen das Wort von den „weltkirchlichen Vorgaben“ als seien diese eine Last und nicht Aufgabe und Chance! Hier kennen wir die Menschen, die meinen, die Renovierung des Kirchenfußbodens sei doch eigentlich das gleiche wie die ihres Küchenbodens, was ja nun unter fast jedem denkbaren Aspekt Unsinn ist und wir kennen vor allem die Menschen, die denken „Schönheit“ sei ja nicht „wesentlich“ bzw. eigentlich sogar ein bißchen verdächtig.

Und wer jetzt denkt, „Da sieht er ja wieder Gespenster…“, der möge mir die Frage beantworten, warum die „gekürzte“ Wiedergabe der Predigt in der heutigen (1. Oktober) Beilage zum „Tag des Herren“ akkurat die o.g. Teile rausgekürzt hat! Allein dreimal (!) „Schönheit“, bzw. „schön“ fehlen, obwohl aber nun wirklich jeder, der sich auch nur einen Hauch mit der Theologie J. Ratzingers/Benedikt XVI. beschäftigt hat, weiß, das Thema ist für ihn gerade keine Nebensache! Zufall?

Im Leben nicht!

Ach ja, zum Schluß könnte sich die Frage stellen, woher ich mich denn so gut im Arbeitsablauf vor so einer Rede auskenne. Vertraulicher Anruf aus Rom?? 😉 Nein, aber ich war einige Jahre zuständig für die Regierungserklärungen unseres Ministerpräsidenten (B. Vogel), will sagen, ich habe selbst Entwürfe für Texte von vergleichbarer Komplexität geschrieben und ich kenne die Abläufe drumherum daher wirklich gut.

Im Ergebnis dürfen wir also beruhigt feststellen, daß der Hl. Vater sich über unsere besondere Situation ganz genau Gedanken gemacht hat, daß er der Predigt in Erfurt im Crescendo der Ermahnung an die Kirche in Deutschland präzise ihren besonderen Platz zugewiesen hat und so kann sich auch jeder, der sich zurecht von seinem Dank für die Standhaftigkeit angesprochen fühlen darf, darüber herzlich freuen!

Meine Empfehlung ist, drucken Sie sich den folgenden Predigttext aus, den PuLa (auf Basis von Kathnet, Danke!) erstellt hat aus und hören Sie sich die Predigt noch einmal in Ruhe an (am besten hier auf domradio). Sie werden sehen, die Rede gewinnt und, so hoffe ich zuversichtlich, Sie werden noch lieber an dieses große Erlebnis zurückdenken!

 

Predigt auf dem Domplatz (gesprochenes Wort/kathnet/PuLa)

Liebe Schwestern und Brüder!

 

„Preiset den Herrn zu aller Zeit, denn er ist gut“. So haben wir eben vor dem Evangelium gesungen. Ja, wir haben wirklich Grund, Gott von ganzem Herzen zu danken. Wenn wir uns in diese Stadt zurückversetzen in das Elisabethjahr 1981 vor 30 Jahren, zur Zeit der DDR – wer hätte geahnt, daß wenige Jahre später Mauer und Stacheldraht an den Grenzen fallen würden? Und wenn wir noch weiter zurückgehen, etwa 70 Jahre, bis in das Jahr 1941, zur Zeit des Nationalsozialismus, im großen Krieg – wer hätte voraussagen können, daß das „Tausendjährige Reich“ schon vier Jahre später in Schutt und Asche versinken sollte?

Liebe Brüder und Schwestern, hier in Thüringen und in der früheren DDR, habt ihr eine braune und eine rote Diktatur ertragen müssen, die für den christlichen Glauben wie saurer Regen wirkte. Viele Spätfolgen dieser Zeit sind noch aufzuarbeiten, vor allem im geistigen und im religiösen Bereich. Die Mehrzahl der Menschen in diesem Lande lebt mittlerweile fern vom Glauben an Christus und von der Gemeinschaft der Kirche. Doch zeigen die letzten beiden Jahrzehnte auch gute Erfahrungen: Ein erweiterter Horizont, ein Austausch über Grenzen hinweg, eine gläubige Zuversicht, daß Gott uns nicht im Stich läßt und uns neue Wege führt. „Wo Gott ist, da ist Zukunft“.

Wir alle sind davon überzeugt, daß die neue Freiheit geholfen hat, den Menschen größere Würde und vielfältige neue Möglichkeiten zu eröffnen. Viele Erleichterungen dürfen wir seitens der Kirche dankbar hervorheben, seien es neue Möglichkeiten der pfarrlichen Aktivitäten, seien es Renovierung und Erweiterung von Kirchen und Gemeindezentren, seien es diözesane Initiativen von pastoraler oder kultureller Art. Aber die Frage steht natürlich vor uns: Haben diese Möglichkeiten uns auch ein Mehr an Glaube gebracht? Ist der Wurzelgrund des Glaubens und des christlichen Lebens nicht tiefer als in der gesellschaftlichen Freiheit zu suchen? Viele entschiedene Katholiken sind gerade in der schwierigen Situation einer äußeren Bedrängnis Christus und der Kirche treu geblieben. Wo stehen wir heute?

Diese Menschen haben persönliche Nachteile in Kauf genommen, um ihren Glauben zu leben. Danken möchte ich hier den Priestern und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus jener Zeit. Erinnern möchte ich besonders an die Flüchtlingsseelsorge unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg: Da haben viele Geistliche und Laien Großartiges geleistet, um die Not der Vertriebenen zu lindern und ihnen eine neue Heimat zu schenken. Aufrichtiger Dank gilt nicht zuletzt den Eltern, die inmitten der Diaspora und in einem kirchenfeindlichen politischen Umfeld ihre Kinder im katholischen Glauben erzogen haben.

Mit Dankbarkeit möchte ich an die Religiösen Kinderwochen in den Ferien erinnern sowie an die fruchtbare Arbeit der katholischen Jugendhäuser „Sankt Sebastian“ in Erfurt und „Marcel Callo“ in Heiligenstadt. Besonders im Eichsfeld widerstanden viele katholische Christen der kommunistischen Ideologie. Gott möge die Treue im Glauben allen reich vergelten. Das mutige Zeugnis und das geduldige Leben mit ihm und das geduldige Vertrauen auf die Führung Gottes sind wie ein kostbarer Same, der für die Zukunft eine reiche Frucht verheißt.

Die Gegenwart Gottes zeigt sich immer besonders deutlich in den Heiligen.

Ihr Glaubenszeugnis kann uns auch heute Mut machen zu einem neuen Aufbruch. Denken wir hier vor allem an die Schutzheiligen des Bistums Erfurt: die Heiligen Elisabeth von Thüringen, Bonifatius und Kilian. Elisabeth kam aus einem fremden Land, aus Ungarn, auf die Wartburg nach Thüringen. Sie führte ein intensives Leben des Gebets, verbunden mit dem Geist der Buße und der Armut des Evangeliums. Regelmäßig stieg sie aus ihrer Burg hinab in die Stadt Eisenach, um dort persönlich Arme und Kranke zu pflegen. Ihr Leben auf dieser Erde war nur kurz – sie wurde nur vierundzwanzig Jahre alt –, aber die Frucht ihrer Heiligkeit reicht über die Jahrhunderte hin. Die heilige Elisabeth wird auch von evangelischen Christen sehr geschätzt; sie kann uns allen helfen, die Fülle des Glaubens, seine Schönheit und seine Tiefe und seine verwandelnde und reinigende Kraft zu entdecken und in unseren Alltag zu übersetzen.

Auf die christlichen Wurzeln unseres Landes weist auch die Gründung des Bistums Erfurt im Jahre 742 durch den heiligen Bonifatius hin. Dieses Ereignis bildet gleichzeitig die erste urkundliche Erwähnung der Stadt Erfurt.

Der Missionsbischof Bonifatius war aus England gekommen, und zu seinem Arbeitsstil gehörte es, daß er in wesentlicher Einheit und in enger Verbindung [wörtl. „Einheit“] mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des heiligen Petrus wirkte; er wußte, daß die Kirche eins sein muß um Petrus herum. Wir verehren ihn als „Apostel Deutschlands“; er starb als Märtyrer. Zwei seiner Gefährten, die das Blutzeugnis für den christlichen Glauben mit ihm teilten [wörtl. „weitergaben“], sind hier im Erfurter Dom begraben: die Heiligen Eoban und Adelar.

Schon vor den angelsächsischen Missionaren hat der heilige Kilian in Thüringen gewirkt, ein Wandermissionar aus Irland. Gemeinsam mit zwei Gefährten starb er in Würzburg als Märtyrer, weil er das moralische Fehlverhalten des dort ansässigen thüringischen Herzogs kritisierte. Und nicht vergessen wollen wir schließlich den hl. Severus, den Schutzheiligen der Severi-Kirche hier am Domplatz: Im vierten Jahrhundert war er Bischof von Ravenna; seine Gebeine wurden im Jahre 836 nach Erfurt gebracht, um den christlichen Glauben in dieser Gegend tiefer zu verankern. Von den Toten ging doch das lebendige Zeugnis der immerwährenden Kirche hinaus, des Glaubens, der alle Zeiten befruchtet und der uns den Weg des Lebens zeigt.

Fragen wir: Was haben diese Heiligen gemeinsam? Wie können wir das Besondere ihres Lebens beschreiben und doch verstehen, daß es uns angeht und in unser Leben hineinwirken kann?

Die Heiligen zeigen uns zunächst, daß es möglich und gut ist, in der Beziehung zu Gott zu leben und diese Beziehung radikal zu leben, sie an die erste Stelle zu setzen, nicht irgendwo auch noch ein Eck für ihn auszusparen.

Die Heiligen verdeutlichen uns die Tatsache, daß seinerseits Gott sich uns zuerst zugewandt hat. Wir könnten nicht zu ihm hinreichen und uns irgendwie ins Unbekannte hinein ausstrecken, wenn er nicht zuerst uns geliebt hätte, wenn er nicht zuerst uns entgegengegangen wäre. Nachdem er schon den Vätern in den Worten der Berufung entgegengegangen war, hat er sich uns in Jesus Christus selbst gezeigt und zeigt sich uns immerfort in ihm. Christus kommt auch heute auf uns zu, er spricht jeden einzelnen an, wie er es eben im Evangelium getan hat, und lädt jeden von uns ein, ihm zuzuhören, ihn verstehen zu lernen und ihm nachzufolgen. Diesen Anruf und diese Chance haben die Heiligen genutzt, den konkreten Gott haben sie anerkannt, ihn gesehen und gehört und sind auf ihn zugegangen, mit ihm gegangen; sie haben sich von innen her sozusagen von ihm anstecken lassen und haben sich ausgestreckt auf ihn – in der beständigen Zwiesprache des Gebets – und von ihm das Licht erhalten, das ihnen das wahre Leben erschließt.

Glaube ist immer auch wesentlich ein Mitglauben. Niemand kann allein glauben. Wir empfangen den Glauben – so sagt uns Paulus – durch das Hören, und Hören ist ein Vorgang des Miteinanderseins, geistig und leiblich. Nur in dem großen Miteinander der Glaubenden aller Zeiten, die Christus gefunden haben, von ihm gefunden worden sind, kann ich glauben. Daß ich glauben kann, verdanke ich zunächst Gott, der sich mir zuwendet und meinen Glauben sozusagen „anzündet“. Aber ganz praktisch verdanke ich meinen Glauben meinen Mitmenschen, die vor mir geglaubt haben und mit mir glauben.

Dieses große „Mit“, ohne das es keinen persönlichen Glauben geben kann, ist die Kirche.

Und diese Kirche macht nicht vor Ländergrenzen halt, das zeigen uns die Nationalitäten der Heiligen, die ich genannt habe: Ungarn, England, Irland, Italien. Hier zeigt sich, wie wichtig der geistliche Austausch ist, der sich über die ganze Weltkirche erstreckt, er war grundlegend für das Werden der Kirche in unserem Land, er bleibt grundlegend für alle Zeiten: daß wir miteinander über die Kontinente hin glauben und voneinander glauben lernen.

Wenn wir uns dem ganzen Glauben in der ganzen Geschichte und dessen Bezeugung in der ganzen Kirche öffnen, dann hat der katholische Glaube auch als öffentliche Kraft in Deutschland Zukunft. Zugleich zeigen uns die Heiligengestalten, von denen ich sprach, die große Fruchtbarkeit eines Lebens mit Gott, die Fruchtbarkeit dieser radikalen Liebe zu Gott und zum Nächsten. Heilige, selbst wo es nur wenige sind, verändern die Welt, und die großen Heiligen bleiben verändernde Kräfte alle Zeiten hindurch.

So waren die politischen Veränderungen des Jahres 1989 in unserem Land nicht nur durch das Verlangen nach Wohlstand und Reisefreiheit motiviert, sondern entscheidend durch die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit.

Diese Sehnsucht wurde unter anderem durch Menschen wachgehalten, die ganz im Dienst für Gott und den Nächsten standen und bereit waren, ihr Leben zu opfern. Sie und die erwähnten Heiligen geben uns Mut, die neue Situation zu nutzen. Wir wollen uns nicht in einem bloß privaten Glauben verstecken, sondern die gewonnene Freiheit verantwortlich gestalten. Wir wollen, wie die Heiligen Kilian, Bonifatius, Adelar, Eoban und Elisabeth von Thüringen als Christen auf unsere Mitbürger zugehen und sie einladen, mit uns die Fülle der Frohen Botschaft, ihre Gegenwart und ihre Lebenskraft und Schönheit zu entdecken.

Dann gleichen wir der berühmten Glocke des Erfurter Domes, die den Namen „Gloriosa“ trägt, die „Glorreiche“. Sie gilt als größte freischwingende mittelalterliche Glocke der Welt. Sie ist ein lebendiges [wörtl. „lebendes“] Zeichen für unsere tiefe Verwurzelung in der christlichen Überlieferung, aber auch ein Signal des Aufbruchs und der missionarischen Einladung. Sie wird auch heute in dieser Festmesse an ihrem Ende erklingen. Sie möge uns dazu ermuntern, nach dem Beispiel der Heiligen das Zeugnis sichtbar und hörbar zu machen in der Welt, die Herrlichkeit Gottes hörbar und schaubar zu machen und so zu leben in einer Welt, in der Gott da ist und Leben schön und sinnvoll werden läßt.

Amen.

5 Kommentare

  1. Frischer Wind schrieb:

    Vielen Dank für die interessanten Hinweise!

    Gruß und einen gesegneten Sonntag
    Frischer Wind

    Samstag, 1. Oktober 2011 um 22:11 | Permalink
  2. Danke! Sie waren aber schnell! 😉

    Der Zuspruch tut gut, auch weil dieser Text echt Arbeit gemacht hat…

    Besten Gruß

    G. Lamers

    Montag, 3. Oktober 2011 um 19:56 | Permalink
  3. Stanislaus schrieb:

    Danke für diese ausführliche Darlegung. Die etwas müde Predigt ist mir auch aufgefallen. Das mit den Inhalten in so kurzer Zeit natürlich nicht. Bezeichnend nur, daß in den Nachrichten überall ausgerechnet der O-Ton mit der „Hl. Elisabeth von Tübingen“ gebracht wurde …

    Dienstag, 4. Oktober 2011 um 19:21 | Permalink
  4. Danke! Und was die Inhalte angeht: Auf die Erwähnung von „Schönheit“ bin ich beim Hl. Vater gewissermaßen „geeicht“…, aber der eigentliche eye-opener kam beim Vergleich mit der Wiedergabe im Tag des Herren, die ich, von allem anderen abgesehen, nachgerade für eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht halte.

    Mittwoch, 5. Oktober 2011 um 08:37 | Permalink
  5. fortitudo schrieb:

    Herzlichen Dank für diesen sehr erhellenden Text, der manch leisen Zweifel (war ihm Erfurt vielleicht nicht so wichtig?) beseitigt hat. Es ist so wohltuend zu wissen, daß sich der Hl. Vater um uns paar Diaspora-Katholiken ernsthaft sorgt!
    Und dem „Tag des Herrn“ sollte man ohnehin kein Vertrauen mehr schenken (siehe den Text: „Unsere Kirche. Unsere Zeitung?“ unter http://elsalaska.twoday.net/stories/42989978/)

    Dorothea Sperling

    Donnerstag, 6. Oktober 2011 um 12:15 | Permalink

6 Trackbacks/Pingbacks

  1. Pulchra ut Luna › Ein Sonntagmorgen voller guter Laune! on Sonntag, 26. Februar 2012 um 18:44

    […] “möglich und gut [GL: Und „schön“!, vgl. z.B. den Abschnitt über die Hl. Elisabeth, hier] ist, in der Beziehung zu Gott zu leben”, nicht zuletzt durch “die beständige […]

  2. […] (Zur Predigt auf dem Domplatz mit ganzem Text auf PuLa: hier) […]

  3. […] bewiesen hat, wie gut er die Kirche in Deutschland, auch die in der mitteldeutschen Diaspora,  kennt, nichts […]

  4. Pulchra ut Luna › Erwartbares und weniger erwartbares on Donnerstag, 10. Januar 2013 um 22:58

    […] der Berichterstattung zur Papstpredigt auf dem Erfurter Domplatz im September 2011 abgegeben hat (hier) und wundern sich […]

  5. Pulchra ut Luna › Ist Maria nur was für Rentner? on Montag, 27. August 2018 um 20:57

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  6. Pulchra ut Luna › „Ich hatte eine Farm in Afrika“ on Sonntag, 21. Juli 2019 um 23:19

    […] Papst Benedikt XVI. auf dem Erfurter Domplatz am 24.September 2011, Hervorhebungen von mir, vgl. hier und […]

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