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Die Sonntagsmesse

Die Sonntagsmesse

Ein Sketch für neun Personen und unglaublich viele Statisten

 

Wundersdorf, Oderbruch. Vor der katholischen Kirche Maria Hilf! Nach Ende der Sonntagsmesse. Der einen Sonntagsmesse, die es jetzt vormittags gibt. Jedenfalls in der Pfarrkirche. Die Gottesdienstbesucher strömen auf den Kirchvorplatz. Es sind ganz ganz viele („Strom“ darf man ja nicht mehr sagen). Es nimmt schier kein Ende. Edith und Richard suchen Teresa und Emily, die sich ins Seitenschiff zu ein paar Freundinnen gesetzt hatten.

Edith: Puh!

Richard (abgesetzt): Zu voll! (Sie begrüßen nach allen Seiten verschiedene Bekannte. Hedwig kommt auf sie zu und gibt ihnen die Hand.)

Hedwig: Guten Morgen! Und einen schönen Sonntag!

Edith: Grüß dich! (Sie schaut an Hedwig herunter) Du bist ja heute so groß.

Hedwig (hebt einen Fuß an und betrachtet den Absatz): Du, ich hab mir extra Schuhe mit hohen Hacken gekauft. Sieben Zentimeter. Das hatte ich noch nie. (Sie stellt sich zusätzlich auf die Zehenspitzen.)

Richard: Aber schick!

Hedwig: Danke! Aber das ist nicht der Punkt. Ich hatte die Faxen dicke, in der Messe nichts mehr zu sehen!

Edith: Das ist echt ein riesen Problem, seit es nur noch den einen Gottesdienst gibt. Entweder du bist um halb da oder du sitzt wie die Ölsardinen in der letzten Reihe.

Silke: Guten Morgen! (Sie gibt allen die Hand.)

Hedwig: Oh! Neue Brille?

Silke (nimmt die Brille ab und betrachtet sie selbst): Ich habe festgestellt, daß ich mit der vorherigen in der Messe nichts mehr gesehen habe. Ging nicht mehr!

Herr Schiffbauer (prononciert): Guten Morgen!

Alle (durcheinander): Guten Morgen, Herr Schiffbauer. – Einen schönen Sonntag! – Schön haben Sie gesprochen, am Dienstag.

Herr Schiffbauer (reicht Edith ein Gotteslob): Das hat mir Ihre Tochter freundlicherweise zur Verfügung gestellt, (mit gespielter Verzweiflung) und nun kann ich sie nicht mehr finden.

Edith: Kein Problem. Ich nehm’s.

Hedwig: Als Sie kamen, standen wohl schon keine Bücher mehr da?

Herr Schiffbauer (winkt ab; jovial): Ha! Die waren natürlich läääängst alle weg. Vielleicht sollte ich doch über kurz oder lang ein eigenes erwerben. (Er lächelt, verbeugt sich leicht und verabschiedet sich.)

Teresa (kommt mit Emily angerannt): Können wir nächsten Sonntag nach Hinterfichtewalde fahren? Zur 9 Uhr Messe?

Edith: Liebes, ich fürchte, nächsten Sonntag seid ihr mal wieder zum Ministrieren eingeteilt …

Emily: Na gut, da sehen wir ja wenigstens was.

Teresa (echt betrübt): Ich bin ganz traurig, weil ich bei der Elevation den HErrn nicht gesehen habe!

Richard: Nach der Wandlung?

Teresa: Ja. Weil da so eine toupierte Blondine vor mir saß.

Edith (zu Richard): Wir haben so ein frommes Kind …

Richard (bloß scheinbar ironisch): Wie haben wir das bloß angestellt?

Emma (hält sich den hochgeklappten Mantelkragen zu): Mein Gott, ist das kalt, hinten an der Tür.

Hedwig: Klar! Da zieht‘s wie Hechtsuppe. (Sie klippert Emma ein paar kleine Eiszapfen vom Mantelkragen.)

Silke: Ich glaube, ohne Kopfbedeckung kommt man da nicht aus (sie rückt an ihrem Filzhut).

Herr Hanslik (schnarrt): Da müssen Sie früher aufstehen, Frau Doktor! Schalom! (Er zieht seinen Hut.)

Silke: Guten Morgen, Herr Hanslik. Ganz herzlichen Dank für ihren guten Rat. (Sie grinst)

Edith: Es ist doch erstaunlich, wer so alles von der Streichung der 9 Uhr Messe profitiert: Die Uhrmacher …

Richard (verdutzt): Hm?

Edith (lacht): Weil wir jetzt alle einen Wecker brauchen.

Emma (steigt in das Spiel ein): … die Hutmacher …

Hedwig (hebt einen Fuß): … die Schuhmacher …

Silke (zeigt auf ihre Brille): … die Optiker …

Richard (hebt Teresas Gotteslob hoch): … der Bennoverlag …

Emily: … die OPEC …

Emma (lacht): … und die Journalisten.

Silke: Stimmt! Die waren die ersten!

Hedwig: Drei Artikel ohne eine Minute Recherche!

Edith: Da sage noch mal einer, die Kirche besäße keine gesellschaftliche Relevanz!

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Bloß gut, daß hier in Weimar die Journalisten ja so (selbst-) kritisch mit ihrer eigenen Zunft umgehen…

 

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